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Musik

Lous and the Yakuza

Lous and the Yakuza
Tiny Desk Concert

Es ist jetzt schon ein paar Tage alt und vielleicht habt ihr es schon gesehen, wir müssen euch aber trotzdem unbedingt noch das Lous and the Yakuza Tiny Desk Concert ans Herz legen!

Es herrscht elegante Stimmung im Hôtel Grand Amour in Paris, als Lous and The Yakuza dort in der Book Bar ihr Tiny Desk Concert spielen. Doch während die Musik streckenweise sehr sachte, beschwingt und warm klingt, ist das, was sich in Lous Hintergrundgeschichte und in ihren französischen Texten, verbirgt, manchmal tiefgründig und aufwühlend.

Lous – ein Anagramm für “Seele” – ist Marie-Pierra Kakoma, eine 24-jährige Künstlerin, die ihr Heimatland Demokratische Republik Kongo wegen des Krieges verließ, in Ruanda aufwuchs und heute in Belgien lebt. Ihr Tiny-Desk-(Haus-)Konzert eröffnet sie mit ihrer 2019 veröffentlichten Single “Dilemme”. Das Lied beschwört Erinnerungen an ihre Jugend im Kongo und in Ruanda herauf: “Das Leben verfolgt mich, alles, was mich umgibt, hat mich gemein gemacht”, singt sie auf Französisch. Lous Lieder sind oft zu kongolesischen Rumba-Rhythmen vertont, gefüllt mit Resilienz, Schönheit und Widerstand.

RosaMag

Im Interview erzählt Lous von der Arbeit an ihrem Album “Gore”. Sie spricht über die BLM Proteste in Belgien diesen Sommer, die sie mitorganisierte und ihr Morddrohungen einbrachten. Außerdem erzählt sie von den Herausforderungen als Schwarze Frau in einer weißen Industrie …
Die auf dem Konzert gespielten Lieder stammen vom 2020 erschienenen Album Gore, indem sie musikalisch die Traumata von Krieg, Flucht und Trennung von ihrer Familie, aber auch ihren Rauschmiss aus dem Elternhaus in Belgien adressiert. Lous war ein aufgewühlter Teenager und verbrachte eine Zeit lang auf der Straße, bevor sie ihr Leben wieder in den Griff bekam und sich der Musik und Kunst widmete. Von dieser Künstlerin werden wir noch sehr viel hören!
SET-LISTE Tiny Desk Concert:
“Dilemme”
“Bon Acteur”
“Dans La Hess”
“Solo”
“Amigo”

Die Verdammten dieser Erde

Die in Kamerun geborene und in den USA lebende Schriftstellerin Imbolo Mbue lässt in ihrem zweiten Roman ein Dorf in Kamerun von seinem Kampf gegen Ausbeutung und Verrat berichten.

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Musik Verschiedenes

Garey Godson

Garey Godson

Ein Gespräch über Schönheit, den Room of Understanding und die Geburtstunde eines neuen Nigerias

Gare Anighoro alias Garey Godson ist ein in Berlin lebender nigerianischer Künstler, Musikproduzent und Creative Writer. Mit seinem von ihm als Afrofusion bezeichneten Sound und seinem unabhängigen Plattenlabel Room of Understanding bahnt er sich abseits von den Erwartungen, die die Musikindustrie an afrikanische Millenials stellt, seinen eigenen Weg zum Erfolg. Mit Akono hat er über die aktuelle Lage in Nigeria, seine künstlerischen Freundschaften in Deutschland und über verschiedene Begriffe von Schwarzer Schönheit gesprochen.

A: Was ist eigentlich genau Afrofusion?

G: Unter Afrofusion verstehe ich einen befreienden und zukunftsweisenden Weg für afrikanische Millennials, sich auszudrücken, ohne notwendigerweise dem Status quo der Erwartungen der Industrie zu erliegen. Es ist eine futuristische Perspektive auf Musik, da sie afrikanische Melodien mit westlichen Einflüssen verschmilzt. Sie kombiniert Rhythmen aus R’n’B, Hip-Hop, Soul & Afro-Beats. Alle diese Musikrichtungen haben im Kern ihre Wurzeln in Afrika, aber was ich meine, ist, dass sie durch westlichen Einfluss rekommerzialisiert wurden. Aber die ursprünglichen afrikanischen Klänge, Farben und Melodien kann man in meiner Musik hören, und man merkt, dass dies nicht amerikanisch und nicht westlich ist, was die Interpretation und den Gesang betrifft. Aber die Produktion ist in gewisser Weise eine Verschmelzung von allem. Sie ist einfach sehr klar oder frei. Mein Album Still I Rise ist von Maya Angelous gleichnamigen Gedicht inspiriert, da es gefühlvoll und rhythmisch ist und Ideen wie Belastbarkeit, Selbstliebe, Stärke und Schönheit bei Afrikaner:innen in der Diaspora und darüber hinaus fördert. Meine musikalischen Einflüsse stammen von internationalen und nigerianischen Künstler:innen wie Jay Z, Lauryn Hill, Nipsey Hussle, Kanye West, Tuface Idibia, T-Pain, Jesse Jags, Odunsi The Engine, Nonso Amadi und Burna Boy.

A: Wie bist du denn bei diesem Sound angelangt? Erzähl uns bitte etwas über deinen musikalischen Werdegang.

Musik war ein wichtiger Teil meiner Erziehung. Mein Vater hatte eine sehr umfangreiche Plattensammlung von internationalen und heimischen Künstler:innen. Bei uns zuhause liefen immer Platten von Fela Kuti, Barry Wonders, Marvin Gaye, Majek Fashek, Prince und Michael Jackson. Ich bin in einem evangelischen Elternhaus aufgewachsen und war als Teenager Mitglied im Kirchenchor. So ungefähr mit 19 Jahren habe ich dann begonnen, mich für Musikproduktion zu interessieren und habe Songs geschrieben, selbst gesungen und für lokale Künstler:innen in Nigeria produziert. Nach meinem Abschluss bin ich nach Europa gezogen und habe an der TU Ilmenau einen Master in Kommunikations- und Medienwissenschaften gemacht. Dort habe ich meinen Freund und Co-Produzenten Hannes alias HKMK kennengelernt. 2018 haben wir zusammen das Plattenlabel Room of Understanding gegründet. Zuerst war es die Freundschaft, die uns zusammengebracht hat, und dann die Musik. Je mehr Zeit wir miteinander verbrachten, desto mehr haben wir verstanden, wie unterschiedlich wir im Sinne unserer kulturellen Erfahrungen sind. Als wir dann beschlossen, gemeinsam Musik zu machen, fingen wir an, offene Konversationen über politische und kulturelle Themen zu sprechen, die uns auf unterschiedliche Art und Weise betrafen. Menschen, die in Deutschland aufgewachsen sind, haben häufig Wissen und eine Haltung, die sie nur ungerne hinterfragen. Ich habe versucht, einige Dinge in Frage zu stellen, und wir haben gemeinsam auf freundschaftliche Art und Weise versucht, voneinander zu lernen. Dieser Raum der Verständigung wurde dann zum Room of Understanding, in dem gemeinsame Musik entstand. Vieles davon durchbricht die Mauern dessen, was die Leute denken, wie wir aussehen oder klingen sollten, und schafft einen Raum, in dem sich Menschen jedes Glaubens oder jeder Sexualität frei fühlen können, sich auszudrücken. Der durchschnittliche Nigerianer wie ich ist auf so viele Arten unterdrückt worden. Vor allem diejenigen von uns, die in Nigeria leben. Aus der Unterdrückung gibt es immer zwei Wege der Flucht: Entweder man wird selbst zum Unterdrücker, wenn man die Gelegenheit dazu hat, oder man versucht, etwas zu tun, um Unterdrückung zu hinterfragen. Ich für meinen Teil will mit meiner Arbeit Dinge hinterfragen und ein positives Beispiel abgeben. Der Room of Understanding wurde deshalb auch geschaffen, um andere aufstrebende Kreative dabei zu unterstützen, ihre Stimme zu finden und ihre Kunst der Welt zu präsentieren.

Zwei Männer
Room of Understanding, HKMK und Garey Godson. Foto: © Max Judge

A: Du hast gerade so ein tolles T-Shirt an, auf dem Afro Beauty steht. Du hast auch einen Text verfasst, der An Ode to the Black Skin heißt. Magst du etwas erzählen über Vorstellungen von Black Beauty, die deine Musik unterfüttern?

Am Gymnasium hatte ich einen tollen Literaturlehrer, der sich gut mit Geschichte auskannte, uns zu Gedichtlesungen und Theatervorstellungen mitnahm und uns in die Welt Schwarzer Schriftsteller:innen wie Léopold Sédar Senghor, Maya Angelou, Wole Soyinka und anderen einführte. Ein wiederkehrendes Thema in deren Werken war das des Schwarzen Stolzes und der Schwarzen Schönheit. Ich hatte das Privileg, etwas über mein kulturelles Erbe zu erfahren und darüber, dass wir vor der Ausbeutung des afrikanischen Kontinents Könige und Königinnen waren. Die Negritude-Bewegung, die im frankophonen und karibischen Raum schon lange vor meiner Geburt begann, half mir, die Tatsache zu begreifen: Black is beautiful. Dieses Wissen gab mir auch einen besseren Einblick in den Beitrag Afrikas zu den globalen Künsten und Wissenschaften.

Es ist ein Privileg, als Künstler die Möglichkeit zu haben, Erzählungen zu definieren und umzugestalten. In Zeiten wie diesen bin ich davon überzeugt, dass Literatur, Musik und Kunst in allen Formen wichtige Werkzeuge für gesellschaftliche Veränderungen sind. Für Schwarze auf der ganzen Welt war dieses Jahr ein Schlüsselmoment für Reflexion und Aktion. Ich glaube, es ist an der Zeit, den Status quo aufzurütteln, indem wir uns auf sinnvolle Gespräche einlassen und die Erzählung durch Agenden, die Veränderungen bewirken, neu gestalten. Wir können durch unsere Stimme, unsere Plattformen und unsere Solidarität mit unseren Schwarzen Brüdern und Schwestern auf lokaler und internationaler Ebene eine Rolle bei der Gestaltung der Zukunft spielen.

A: Eine Zeile aus deinem Song Tha Juice geht „When you come from where I come from you know that we don’t give up” und du beziehst dich immer wieder auf das Gedicht “Still I Rise” von Maya Angelou. Was bedeutet es für dich im Leben, Hindernisse zu überwinden?

G: Ja, tatsächlich stammt das Gedicht aus einer Zeit, in der extrem starke Segregation herrschte und ist eine Ode ans Schwarzsein und die Fähigkeit, sich über Hindernisse im Leben zu erheben. In Nigeria muss man immer einen Weg finden. Das kann ich nicht schönreden. Wenn man das Gefühl hat, dass die Regierung nicht hinter einem steht, muss man einen Weg finden. Es gibt viele junge Menschen in Nigeria, die sich die Dinge von Grund auf selbst erschaffen haben oder Dinge zusammenfügen oder auslagern. Es ist uns also in die Wiege gelegt, uns unseren eigenen Weg zu bahnen. Das ist der Kampfgeist.

A: Lass uns nochmal über Nigeria sprechen. Wie ist deine Einschätzung der aktuellen Ereignisse?

Junge Nigerianer:innen haben sich zu den #endSARS Protesten versammelt, um ihre Stimme für Polizeireformen zu erheben, um Korruption ein Ende zu setzen und staatliche Umstrukturierung zu fordern, vor allem was den Zugang zu Bildung und Beschäftigung von jungen Menschen angeht. Ich denke es handelt sich hier auch um einen intergenerationalen Konflikt: Viele junge Menschen haben das Gefühl, von der älteren Generation im Stich gelassen worden zu sein. Aber erst jetzt, da wir bei Themen von sozialer Gerechtigkeit an vorderster Front stehen, beginnen wir mehr von der Dynamik zu verstehen, die viele Ältere dazu gebracht hat, aufzugeben und sich in diesem System einzurichten. Aber wir sind durch neue Technologien und den Kontakt in verschiedene Teile der Welt befähigt, Dinge zu ändern. Das heißt nicht, dass man Ältere, die sich wirklich leidenschaftlich für ihr Land einsetzen, auschließen sollte vom gesellschaftlichen Veränderungsprozess. Wir brauchen Leute, die mit anpacken wollen, egal welchen Alters, welcher Religion oder welchen Geschlechts.

Aber was die Regierung angeht, ist es mal wieder allzu bezeichnend, was während der Proteste passiert ist. Drei große nigerianische Nachrichtensender, die über die Proteste berichteten, wurden wegen ihrer Berichterstattung mit einer Geldstrafe belegt. In den nächsten Wochen oder Monaten werden die Massenmedien, die größtenteils von der Regierung kontrolliert werden, daher versuchen, die öffentliche Aufmerksamkeit von dem, was wir in der Nacht der Schüsse am Lekki-Gate gesehen haben, abzulenken, die Erzählung umzugestalten und eine Regierungsbeteiligung sogar ganz zu leugnen. Aber unsere kollektiven Stimmen und Energien haben ein neues Bewusstsein ausgelöst. Das verlangt von uns, den Staffelstab zu ergreifen und loszulaufen. Es liegt jetzt an uns, an diejenigen zu erinnern, die ihr Leben für ein besseres Nigeria verloren haben. Wir sollten das alles als Antrieb nutzen, um den Kampf für Gerechtigkeit fortzusetzen. Wir sollten uns an die Namen der Toten erinnern, sie in unsere Kunst einbetten und ihre Geschichten unseren Kindern erzählen. Das ist für die Geburt eines neuen Nigerias von entscheidender Bedeutung. Auch Nigerianer:innen in der Diaspora haben ihre Solidarität in Ländern wie den USA, Deutschland, Großbritannien, Kanada, Finnland und Österreich gezeigt, indem sie sich an friedlichen Protesten beteiligten und auf die Ungerechtigkeiten in Nigeria aufmerksam machten.

Freiheit ist nichts, was einem gegeben wird. Man muss sie sich erkämpfen. Die Ereignisse der letzten Wochen zeigen, dass es in Nigeria einen Aufbruch gibt.

Mann mit Fahne

Immortalizing the lost lives: A vital key in the awakening of a new Nigeria.

It’s exactly one week since the shootings at the Lekki toll gate in Lagos occurred. The 20th of October 2020 was a day that shook many citizens as well as international sympathizers and raised so many questions about the so-called democracy of Africa’s most populous nation Nigeria….

Garey Godson veröffentlichte sein zweites Studioalbum Still I Rise im Jahr 2020, das u.a. die Lieder Koko und Kairo enthielt. Aktuell arbeitet er an seiner EP Lucid Thoughts, die im nächsten Jahr erscheinen soll.

Instagram: Garey Godson

Foto im Header: © Max Judge

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Musik

Sampa the Great

Sampa the Great
The Return

Great state I'm in, in all states I'm in, I might final form in my melanin

Auf ihrem selbstbewussten und starken Debütalbum “The Return” begibt sich Sampa the Great auf eine musikalische Heimkehr nach Sambia und Botswana. Nicht nur mischt sie Soul und Funk Elemente mit Klängen ihrer Kindheit, sondern sie dreht auch Videos mit farbenfroher Ästhtetik auf den Straßen Sambias und lässt sogar ihre Eltern in einem Clip auftreten.

Nach ihrem bereits allseits auf Anerkennung gestoßenen Gospel und Neo-Soul Mixtape “Birds and the BEE9” legt die Hip-Hop Künstlerin noch einmal nach und beweist ihr Kaliber mit tollen Produktionen und und klar definierten politischen Botschaften. 19 göttliche Tracks.

Funky und entspannt sind die Beats der meisten Stücke, auf denen Sampa in Lauryn Hill Manier lässig zwischen Rap und Gesang wechselt und in ihre Jugend zurückreist oder mit der australischen Musikindustrie und rassistischen Gesellschaften abrechnet. “OMG” ist nicht nur ein Stück, bei dem wohl niemand still sitzen kann, mit seinem treibenden Beat und Bläser-Samples, sondern auch als Video eine absolute Augenweide.

Auch wenn ihre Musikkarriere auf in Jazz-Hip-Hop-Freestyle Sessions auf den Straßen Australiens begann und viele dort geschmeidete Allianzen ihre Karriere befeuert haben, so fühlte sich Sampa the Great doch nach eigener Aussage in der australischen Musikindustrie zur Außenseiterin gemacht. In einem Interview beschreibt sie, wie sich die Heimkehr anfühlte:

„Das war es, was mich ursprünglich zu diesem Album inspiriert hat: dieses Gefühl von Heimweh, obwohl meine Karriere so super lief. Mal hat mich dieses Gefühl fast gelähmt. Dann hatte ich die Idee, Dinge oder Elemente, die mich an zu Hause erinnern, in mein jetziges Leben zu integrieren. Das hat mir geholfen, meine Karriere überall auf der Welt voranzubringen.“

In “Final Form” rappt Sampa vor einer gefühlvollen 70er-Jahre-Funk-Vibes Kulisse und sendet eine Botschaft von Black Power.
Das lebhafte und farbenfrohe Video zum Lied wurde auf Märkten und Straßen in den Gegenden, in denen Sampa aufwuchs, gedreht. Will Sampa mit dem Titel andeuten, dass sie als Künstlerin bereits zur Vollendung gelangt ist?
OkayAfrica erzählte sie:

"Es ist leicht, sich in dem ständigen Geschwätz um einen herum zu verfangen, dass man 'noch nicht da ist', dass man 'es vielleicht nicht schafft. Bei "Final Form" geht es darum, sich selbst zu erweitern und jede Negativität gegenüber diesem Wachstumsprozess abzulehnen. Als Künstlerin erkenne ich jetzt mein Niveau des Zwischenstadiums; manchmal fällt es ab und manchmal steigt es an, aber ich liebe es, dass ich jede Sekunde auf eine höhere Ebene komme. Vielleicht schaffe ich es morgen sogar zur vollendeten Form".

Sampa the Great wurde von großen Acts wie Kendrick Lamar zur Zusammenarbeit gebeten und stand auf dem Line-Up für Coachella 2020. So ein steiler Karriereweg lässt Grund zur Hoffnung, dass wir bald noch viel mehr von ihrer Musik hören werden.

Sampa the Great, Foto © Barun Chatterjee

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Musik Verschiedenes

Eine Stadt auf dem Hügel

Eine Stadt auf dem Hügel
-
von William Shoki

Die virale Sensation “Jerusalema” und die dazugehörige Dance Challenge offenbaren eine tiefe Sehnsucht danach, die Welt neu zu imaginieren.

Obwohl Afrika für immer als ihr Herz der Finsternis verdammt bleiben wird, ist der Welt weiterhin schleierhaft, wie der Kontinent anscheinend glimpflich davon gekommen ist in der Covid-19 Pandemie. Als das Virus Anfang des Jahres in anderen Teilen der Welt wütete und sich bereit machte, auch auf den Kontinent vorzudringen, waren die Vorhersagen ernst. Es wurde weithin angenommen, dass die ärmlichen und dicht gedrängten Lebensumstände in Afrika, die weite Verbreitung anderer Krankheiten wie HIV und Tuberkulose und der Mangel an gut ausgestatteten Gesundheitssystemen dazu führen würden, dass das Virus dort am tödlichsten verlaufen würde. Trotz ihres katastrophalen Charakters waren diese Vorhersagen angesichts der Verzweiflung anderswo nicht mal unvernünftig. Merkewürdig ist jedoch das Gefühl der perversen Enttäuschung darüber, dass dieser Fall nicht eingetreten ist. Noch merkwürdiger ist, dass auf dem Höhepunkt des Untergangs und der Finsternis wenig internationale Unterstützung geleistet wurde, um die erwarteten schlimmsten Folgen zu verhindern.

Africa is a country

Dieser Artikel erschien im Original bei Africa is a Country unter dem Titel “A city on a hill” von William Shoki.

Auf der anderen Seite feiert die Welt mal wieder die Leichtigkeit des Kontinents, wenn auch auf die klischeehafteste Art und Weise – über seine Musik und seinen Tanz. Seit Mitte des Jahres begeistert der gospel-inspirierte südafrikanische House Track „Jerusalema“ von DJ und Produzent Master KG und Sängerin Nomcebo Zikode ein weltweites Publikum. Besonderen Aufschwung erfuhr der Track durch seine Entwicklung zur #JerusalemaDanceChallenge, die durch eine Gruppe angolanischer Freund:innen ausgelöst wurde, die sich selbst mit Tellern voll Essen filmten, während sie eine Variation des Line Dance zu dem Song aufführten. Im Anschluss daran wurden ähnliche Clips von Menschen, die zu diesem Lied tanzten, von allen möglichen Gruppen ausgetauscht – von normalen Menschen, Nonnen und Priestern, Mitarbeiter:innen im Gesundheitswesen und anderen wichtigen Bereichen, Polizei und Soldat:innen, Tankwartinnen und -wärtern, um nur einige zu nennen. Für die Afrikanische Union ist Jerusalema “ein Lied, das seine nationalen Grenzen und den Kontinent überwunden hat und zu dessen lebhaftem Rhythmus Menschen auf der ganzen Welt tanzen”.

Die südafrikanische Regierung stellte sicher, dass die Dance Challenge koordiniert wurde und verwandelte das meist spontane und unkoordinierte Phänomen in eine staatlich geförderte Wohlfühl-Erzählung. Als Präsident Cyril Ramaphosa den Übergang Südafrikas zur niedrigsten Corona Lockdown-Stufe ankündigte, drängte er alle Südafrikaner:innen, sich an der Tanzherausforderung im Rahmen der Feierlichkeiten zum Tag des Kulturerbes, die Ende September stattfanden, zu beteiligen. (Der Feiertag selbst hat eine merkwürdige Geschichte; er ersetzte den Shaka-Tag und ist jetzt hauptsächlich eine Ausrede zum Grillen). Urplötzlich wurde ein Land, das vorher ein Pulverfass der Unzufriedenheit gewesen war, das traumatisiert war von der Ungerechtigkeit und dem Leid, das es über den Lockdown erlitten hatte, und das doch gleichzeitig uneins darüber war, wer daran die Schuld trug, in fröhlichen Darbietungen vereint, als es so schien, dass alles wieder normal ist. Und „normal“ bedeutet für Menschen aus Südafrika in der Lage zu sein, zu verdrängen, dass normal das Problem ist. Es bedeutet, ganz bequem von der Empörung über die Brutalität der Polizei im Juni zum Beifall für ihre Darbietungen des Jerusalema-Tanzes im September überzugehen.

Aber vielleicht ist Jerusalema anders, denn die Hoffnung, die es zum Ausdruck bringt, ist nicht einfach eine Rückkehr zur Normalität, sondern der Wunsch, darüber hinauszugehen. Der Text selbst (übersetzt aus isiZulu) enthält die Zeilen: “Jerusalem ist meine Heimat, rette mich, nimm mich mit… Mein Platz ist nicht hier, mein Königreich ist nicht hier”. Doch die tatsächlich existierende Stadt Jerusalem, die “Stadt des Friedens” bedeutet und von allen abrahamitischen Glaubensrichtungen beansprucht wird, die jedoch von Israel kontrolliert werden, ist alles andere als eine ebensolche.

Es besteht eine Kluft zwischen der religiösen Bildsprache, die durch das Lied hervorgerufen wird, und dem Zustand der heutigen religiös motivierten Praxis. Die Tatsache, dass Master KG selbst nicht besonders religiös ist, zeigt, dass das Lied eine tiefere Sehnsucht in der menschlichen Existenz anspricht, die unterhalb von religiösen Gefühlen liegt. Und als Zionist:innen (nicht die südafrikanische Version des afrikanisch inspirierten Christentums, sondern Unterstützer:innen Israels) an einem gewissen Punkt versuchten, sich die Botschaft des Liedes als Unterstützung für Israel anzueignen, arbeiteten palästinensische Solidaritätsaktivist:innen mit palästinensischen Jugendlichen in Jerusalem und südafrikanischen Jugendlichen in Durban zusammen, um zwei Videos zu produzieren, die das Profil der afrikanisch-palästinensischen Gemeinschaft und die Solidarität zwischen Südafrika und Palästina schärften. Junge palästinensische Aktivist:innen wie Janna Dschihad und Ahed Tamimi schickten Videobotschaften, in denen sie Master KG einluden, nach Palästina zu kommen, und es gab eine Reihe von Aufklärungsgesprächen mit dem Künstler und seinem Management über die Politik des palästinensischen Kampfes.

Dass Jerusalema als Idee eine Sehnsucht nach mehr als bisher darstellt, könnte vielleicht auch die merkwürdige Abwesenheit der Amerikaner:innen von der Tanzherausforderung, die gerade die Welt verrückt macht, erklären (worauf die Schriftstellerin Michelle Chikaonda in einer kürzlich erschienenen Episode von AIAC Talk hingewiesen hat).

Es war der Kolonisator John Winthrop aus Massachusetts, der die Vision eines neuen Jerusalem aus dem Matthäus-Evangelium in das Bild der Vereinigten Staaten einfügte; der grundlegende Exzeptionalismus, auf dessen Grundlage sich die Vereinigten Staaten für immer als ein Leuchtturm der Hoffnung und des Fortschritts für den Rest der Welt verstehen würden. Da sich die Vereinigten Staaten nun entschieden als gescheiterter Staat erweisen, machen sie die Mehrheit der Welt – die mit Gewalt oder Zwang ihre Version des Liberalismus übernommen hat – ebenfalls zu gescheiterten Staaten, wobei die globale Unfähigkeit, mit einer Pandemie fertig zu werden, das sicherste Testament ist.

Was also ist Jerusalema, wenn nicht die feinste Destillation eines globalen Wunsches nach einer anderen Stadt auf einem Hügel? Und nicht, indem man sich einfach einer anderen Großmacht als Amerikas bereitwilligem Ersatz zuwendet – China ist nicht der Retter der Welt -, sondern einer, die wie die tänzerische Herausforderung selbst an die Möglichkeit einer kollektiven Subjektivität glaubt. Natürlich kann diese Subjektivität in Formen zusammenbrechen, die eher reaktionär als emanzipatorisch sind. Wie Zwide Ndwandwe schreibt, gibt es nicht viel, was den Regenbogen-Nationalismus, zu der die Dance Challenge Südafrikaner:innen erhebt und die Fremdenfeindlichkeit, die gleichzeitig in den sozialen Medien grassiert und die fordert, dass die Regierung Südafrikaner:innen an erste Stelle stellt, trennt: #PutSouthAfricansFirst. Es reicht nicht aus, dass es eine weit verbreitete Unzufriedenheit über unsere Gesellschaft gibt, da sie durch den Wunsch nach etwas Besserem unterstrichen wird – man muss dem, was das Bessere sein könnte, auch Inhalt geben.

In einer kürzlich erschienenen Episode von AIAC Talk, die sich dem Gespräch über die vergangenen Wahlen in Malawi widmete, wandten Sean Jacobs und ich uns mit einer Frage an die Diskussionsteilnehmer:innen, in der es darum ging, dass der neue Anführer Malawis, Lazarus Chakwera, ein Theologe ist, von dem man weiß, dass er die Bürger:innen als Teil seiner “Herde” bezeichnet. Wir fragten dies, um zu verstehen, ob dies ein Zeichen dafür ist, dass Malawi möglicherweise auf dem Weg zu mehr von derselben demagogischen und autokratischen Führung ist, die für den Rest des Kontinents so charakteristisch ist. Doch in den Augen von Chikaonda und des Medienwissenschaftlers Jimmy Kainja war diese Tatsache über den neuen Präsidenten nicht bemerkenswert – obwohl Malawi ein religiöses Land ist, wurde Chakwera nicht deshalb gewählt. Mit Kainjas Worten: “Malawi ist jetzt ein anderer Ort. Sein Volk hat keine Zeit für den üblichen Unsinn der politischen Klasse, den es seit seiner Unabhängigkeit ertragen musste, und vertraut nun auf seine Kompetenz als Bürger un Bürgerinnen. Es ist dieser Geist der Selbstbestimmung, der Malawi umhüllte und in dem die einfachen Bürger eine aktive Rolle bei der Überwachung und Beaufsichtigung der Wahlen ohne ausländische Beobachter spielten und so weit gingen, dass sie die Flüge mit den Stimmzetteln stündlich verfolgten und darüber informierten.

Und es ist dieser Geist der Selbstbestimmung, der leise über den ganzen Kontinent fegt, während die Bürgerinnen und Bürger auf die Krise des globalen Kapitalismus reagieren, die durch die Pandemie noch verschärft wird. Es ist leicht, einen isolierten Blick auf das erfolgreiche Management von COVID-19 als Krise der öffentlichen Gesundheit auf dem Kontinent zu werfen und zu denken, dass das Schlimmste vorbei ist und dass Afrika beeindruckt hat – aber die Wahrheit ist, dass wir gerade erst beginnen, uns mit den sozioökonomischen Rissen auseinanderzusetzen, die COVID-19 aufgedeckt und verschlimmert hat. Wir sind Zeugen einer anhaltenden Mobilisierungswelle auf dem Kontinent, die die Exzesse des Neoliberalismus herausfordert – in Nigeria, Ghana, Kenia, Simbabwe und anderswo. Südafrikas Gewerkschaften und soziale Bewegungen bereiten sich auf eine Saison landesweiter Streiks vor, die den größten Gewerkschaftsbund (der mit der Regierungspartei, dem Afrikanischen Nationalkongress, verbunden ist) und seinen engsten Konkurrenten zusammenbringen. Natürlich könnten diese Bemühungen scheitern, und zweifellos werden die Regierungen weiterhin die COVID-19-Sammlungsbeschränkungen als Vorwand für Repressionen nutzen.

Aber man hat das Gefühl, dass zum ersten Mal seit langer Zeit der Glaube besteht, dass Selbstbestimmung nur als kollektive Leistung verstanden werden kann, die darin besteht, Institutionen in unserer Gesellschaft zu schaffen, indem die Lebensbedingungen für alle garantiert werden. Das sind Errungenschaften, die politisch erkämpft werden müssen, und egal, wie schlimm die Dinge auch werden, sie werden nicht durch das Wohlwollen eines externen Akteurs zustande kommen. Das Schicksal Afrikas wird nicht vom Staat des Westens oder von China bestimmt, sondern nur von seinem Volk selbst. Was vielleicht auf der Suche nach einer neuen Stadt auf dem Hügel stärker wird, ist die Überzeugung, dass wir sie selbst bauen werden.

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Musik

Amaarae – farbenfrohe Musik aus Ghana

Amaarae
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farbenfrohe, warme Klänge aus Ghana

Amaarae ist eine Künstlerin, die sich selbst durch Musik und Farben ausdrückt und vor allem Befreiung für junge Frauen darstellen will... und für Kids. Ja, das ist Amaarae.

Ama Serwah Genfi, die unter dem Künstlernamen Amaarae arbeitet, überzeugt in ihrem Debütalbum “Passionfruit Summers” durch klanglichen Freigeist, kokette Melodien und leise, hypnotische Reflexionen. Die Ende 2017 veröffentlichte LP trieft vor üppigen, warmen Klängen und Amaaraes zarte Stimme singt von bittersüßer Sehnsucht, verlorener Liebe und Nostalgie.

Amaarae wurde als Lieblingskünstlerin von Apple Music Africa ausgezeichnet. 2019 veröffentlichte sie die Singles “Like It” und “Spend Some Time” und trat in Los Angeles, New York und Lagos auf. In der Musikszene in Ghana kann sie als eines der hellsten Sternchen der alternativen Musikszene jedoch am meisten brillieren:

In Accra haben wir eine Vielfalt in Bezug auf Rap, R&B, Neo Soul und die elektronische Szene, die wahnsinnig lebhaft ist, und wir sind wagemutig mit unserem Handwerk.

NATAAL.COM

Amaarae: The young Ghanaian songstress who stands out from the pack

Amaarae bei Instagram.

Die Verdammten dieser Erde

Die in Kamerun geborene und in den USA lebende Schriftstellerin Imbolo Mbue lässt in ihrem zweiten Roman ein Dorf in Kamerun von seinem Kampf gegen Ausbeutung und Verrat berichten.

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Film Musik

Kinshasa Symphony

Kinshasa Symphony
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Eine Ode an ein passioniertes Orchester im Kongo

Wenn wir an der Musik arbeiten, gibt es keine Grenzen. Es ist wie eine Treppe: Man geht hinauf und hinauf.

Dieser Dokumentarfilm über ein Symphonierorchester aus Kinshasa ist zwar schon zehn Jahre alt, aber immer noch ein absoluter Hochgenuss! Er nimmt uns mit in den Alltag der Mitglieder des höchst außergewöhnlichen “Orchestre Symphonique Kimbanguiste” in der Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo.

Der Dirigent Armand Diangienda gründete das Orchester 1994, nachdem er seinen Job als Flugzeugpilot verloren hatte. Er hat nie eine Ausbildung an einem Konservatorium absolviert, sondern bezeichnet sich selbst im Film einfach als von Natur aus neugierig. Das Ensemble benannte er nach seinem Großvater Simon Kimbangu, einer politischen Ikone der kongolesischen Geschichte.

Als Diangienda zum ersten Mal zwölf junge Menschen versammelte, die Geige spielen lernen wollten, hatte er beispielweise nur fünf Instrumente: “Einer spielte immer 20 Minuten lang und gab dann die Geige an den Nächsten weiter”. Als die Geigensaiten rissen, ersetzten sie sie durch Bremszüge von alten Fahrrädern. Wenn sie eine C-Trompete brauchten, zerschnitten sie ein anderes Instrument. Und als sie einen Schallbecher für eine andere Trompete brauchten, bauten sie den Radkranz aus einem alten Kleinbus um.

Da die Demokratische Republik Kongo schon lange von Krieg, Ausbeutung, Armut und Korruption heimgesucht wird, haben die Musiker:innen des Orchesters ständig logistische Probleme wie Stromausfall oder Mangel an Instrumenten, aber gegen alle Widerstände proben sie anspruchsvolle Werke wie Beethovens Neunte Symphonie und Orffs Carmina Burana. Aus purer Liebe zu der Musik überwinden die sie ein Hindernis nach dem nächsten und geben schließlich zum Unabhängigkeitstag des Kongos ein großes Freiluftkonzert in Kinshasa.

Der Film begleitet einige Mitglieder des Orchesters auf deren Weg zum Konzert und zeigt diese bei den Proben als auch im Alltag bei deren Arbeit und zuhause. Er endet mit Ausschnitten des Auftritts.

Das ist ein bisschen verborgen, aber es gibt afrikanische Rhythmen bei Beethoven

Kinshasa Symphony wurde von den deutschen Regisseuren Claus Wischmann und Matin Baer realisiert. Er gewann zahlreiche Preise, zum Beispiel den Publikumspreis beim Festival des Deutschen Films 2010, beim Bolzano Cinema 2011 und beim Frestival de Cine Aleman Buenos Aires, sowie den Preis für den besten Dokumentarfilm beim CJM Film Festival 2010.

Hier geht es zur offiziellen Website des Film.

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Musik

Das Bleaching von Techno

Ein Gespräch über das Bleaching von Techno
Wie Aneignung normalisiert und aufrecht erhalten wird

Als Freunde, die sich schon viele Jahre kennen und durch elektronische Musik zueinander gefunden haben, hatten wir schon viele Gespräche über unsere Erfahrungen mit Rassismus in der Amsterdamer Tanzmusik Szene und haben kürzlich beschlossen, einen Teil unserer zuletzt am häufigsten erlebten Kümmernisse aufzuschreiben. Die folgende Unterhaltung fand vor der aktuellen Welle von Protesten statt und trotz des aktuellen Nachdenkens über anti-Schwarzen Rassismus von weißen Akteuren in der Szene sind eine Menge der angesprochenen Themen und Herausforderungen noch immer sehr relevant. Obwohl die holländische Szene im Fokus der Diskussion steht, können überall auf der Welt ähnliche Dynamiken beobachtet werden.

Diese Unterhaltung zwischen Axmed Maxamed und Mathys Rennela fand im November 2019 statt.

Axmed: Kulturelle Aneignung, Künstler:innen, die ‚Schwarze Namen‘ benutzen und sich Schwarze Kulturen aneignen, Geschichten von unverhohlenem und endemischem Rassismus innerhalb der Tanzmusik Szenen, … das sind Themen, die wir in den letzten paar Jahren viel diskutiert haben.

Mathys: In Bezug auf Musik Kreise geht das Ganze weit über kulturelle Aneignung hinaus. Vor allem weil es so viel Musikproduktion vom afrikanischen Kontinent und auch aus der Diaspora und von People of Colour generell gibt. So viele Traditionen und musikalische Werke werden komplett übernommen und von der Industrie ge-whitewashed. Für manche Künstler:innen geht es wirklich darum, eine Schwarze künstlerische Identität anzunehmen, was ich sehr, sehr interessant finde. Ich war letztes Jahr auf dem Dekmantel Festival und ich glaube an dem Freitag oder Samstag….

Axmed: Ich erinnere mich, dass du davon erzählt hast.

Mathys: Ja! Ich erinnere mich, wie aufgeregt ich war, im Line-up einige Künstler:innen aus Afrika zu sehen, wie zum Beispiel Ugandan Methods und da war auch ein Duo, das nach einer Insel im Pazifik benannt war.

Axmed: Nu Guinea.

Mathys: So hießen die. Ich war also aufgeregt, die zu sehen, aber als ich hingegangen bin, habe ich gesehen, dass das zwei weiße Typen waren. Als ich meine Überraschung darüber auf Twitter teilte, waren eine Menge PoC vor allem wegen Ugandan Methods überrascht. Ich habe dann noch weiter die Künstler:innen ausgecheckt und war wirklich überrascht, als mir klar wurde, dass Kamaal Williams gar nicht Schwarz ist. Wenn man den Namen Kamaal Williams hört, zieht man automatisch die Verbindung zum Schwarzen Amerika, vor allem im Zusammenhang mit seiner Musik.

Axmed: Außerdem heißt sein Label Black Focus Records. Als ich das sah, dachte ich ‚Was geht hier vor?‘ Ich weiß, dass er den Namen Kamaal annahm, als er zum Islam konvertierte, bin aber nicht sicher, woher Williams kommt. Dann fing er auch an, arabische Buchstaben in künstlerischen Werken zu benutzen, zum Beispiel für sein Label.

Mathys: Ich frage mich echt, was die wahre Motivation dafür ist, eine Schwarze Identität anzunehmen. Als DJ hat man doch ohnehin Zugang zu Platten von Schwarzen Künstler:innen und man kann Karriere machen, wie das ja auch viele Leute getan haben, indem man einfach Musik vom afrikanischen Kontinent oder karibische Musik spielt. Ich frage mich also, was der Anreiz ist, eine Schwarze Identität anzunehmen. Für mich hat das wirklich Ähnlichkeiten zu dem ‚Sex sells‘ Trend in der elektronischen Tanzmusik, wo attraktive und leicht bekleidete Frauen benutzt werden, um Werbung zu machen für Parties und Festivals, da es kulturell akzeptiert ist, dass diese zwei Dinge zusammengehören. Die Code Switch Podcast Folge ‘Give it up for dj blackface’ handelt von der Tatsache, dass House und Techno ihren Ursprung bei Schwarzen Künstler:innen haben und dass das Annehmen einer Schwarzen Identität Glaubhaftigkeit verschafft. Jedenfalls ist das Whitewashing von House und Techno gänzlich abgeschlossen. Wie auch im Podcast erwähnt wird: Wenn man einen durchschnittlichen weißen Europäer nach der Geschichte von House oder Techno fragt, sagt er wahrscheinlich eher Daft Punk als Jeff Mills.

Dweller forever. writings from a black perspective

Dieser Artikel erschien ursprünglich bei Dweller. Dweller ist seit 2019 ein Festival für elektronische Musik, das Schwarzen Künstler:innen für elektronische Musik eine Plattform bietet und seit 2020 auch ein Blog, dessen Artikel Schwarze Perspektiven fokussieren.

Axmed: Ja, das Bleaching von House und Techno ist definitiv abgeschlossen und nicht nur weiße Leute denken, dass es sich dabei um Musik handelt, die weiß ist, sogar Schwarze Leute glauben das. Die Geschichte wurde total ausgelöscht, auch wenn sie noch nicht so lange her ist. Ich erinnere mich an die Reaktion der Leute, die nicht in Tanzmusik involviert sind, als Black Queer & Trans Resistance NL die Podcast Folge geteilt hat, von der du geredet hast.

Mathys: Obwohl das Annehmen von Schwarzen Identitäten alles andere als ein neues Phänomen ist. Ein gutes Beispiel ist Italo Disco. Um mehr Glaubhaftigkeit zu gewinnen, bestanden Bands wie Change komplett aus Schwarzen Sänger:innen und Tänzer:innen, auch wenn die Proudzent:innen weiß waren. Man könnte argumentieren, dass es wichtig für Marketing Zwecke war, vor allem Schwarze Gesichter im Programm zu haben. Sogar Luther Vandross hat kurz zu dieser Band gehört. Und es überrascht nicht, dass die Anfänge von Italo Disco mit dem ‚Verbot‘ von Disco in den Staaten zusammenfielen, mit anti-Disco Events wie der Disco Demolition Night am 12. Juli 1979 im Comiskey Park in Chicago. Diese anti-Disco Bewegung war ein richtiger Whitelash (auch White Backlash oder White Rage Backlash, ist die negative Reaktion weißer Menschen auf den Fortschritt anderer ethnischer Gruppen in Bezug auf deren Rechte und Möglichkeiten, ihre wachsende kulturelle Parität oder politische Selbstbestimmung, Anm. Red.), angeführt von weißen Cis-Menschen und gegen das Aufkommen von Musikgenres, die aus queeren Gemeinschaften von People of Colour kamen.

Axmed: Ja, und das war auch Teil des Aufkommens von Eurodisco und von dem, was auch ‚post disco‘ genannt wurde und aus dem Bands wie Boney M entstanden sind, auch ein Projekt eines weißen Produzenten mit lauter Schwarzen Bandmitgliedern. Das ist eine ganz andere Diskussion, aber es lohnt sich, darauf hinzuweisen, wie ersetzbar viele der Bandmitglieder waren. Aber grundsätzlich gab da eine weiße Person den Ton an.

Mathys: Lange Zeit war Rap, vor allem Gangsta Rap, Musik, die nur von Schwarzen Künstler:innen gemacht werden konnte, dann wurde er mit dem Bekanntwerden von weißen Rappern wie zum Beispiel Eminem an ein größeres (vorwiegend weißes) Publikum vermarktet und nun ist das Genre teilweise entkoppelt von dem sozio-ethnischen Hintergrund, in dem es seinen Ursprung hatte. Ich habe das Gefühl, in der Tanzmusik haben wir einen Punkt erreicht, an dem sie so ge-whitewashed ist, dass es für weiße Künstler:innen ohnehin nicht mehr nötig sein sollte, eine Schwarze Identität anzunehmen. Ich empfinde es also so, dass es nicht mehr nur um Marketing und Glaubhaftigkeit geht, sondern auch darum, ein Statement zu machen.

Axmed: Interessant, dass du das sagst, denn die Frage ist, was dieses Statement eigentlich genau ist? Ich glaube ehrlich, dass du manchen dieser Künstler:innen zu viel zugestehst, wenn du denkst, dass sie lange darüber nachdenken, Schwarze Identitäten zu benutzen. Ich würde eher argumentieren, dass weiße Künstler:innen die Welt als ihr Spielfeld begreifen und ihnen die Konsequenzen und Auswirkungen ihrer Entscheidungen auf Schwarze und farbige Künstler:innen und Partygänger:innen egal sind. Wenn man es herunterbricht, geht es darum, dass die Szene sich kein bisschen um Schwarze Menschen kümmert, was natürlich ein Produkt der Gesellschaft ist, in der wir leben.Zusätzlich dazu gibt es immer noch Möglichkeiten, das Annehmen einer Schwarzen Identität als Verkaufspunkt zu nutzen. Ein gutes Beispiel dafür in den Niederlanden ist Beesmunt Soundsystem, die den Namen Tanzania Soundsystem für eine ihrer Veröffentlichungen genutzt haben, zusammen mit Swahili Wörtern und Sätzen für die Tracktitel:

Msichana = Mädchen
Mdomo= Mund oder Lippen
Ngono Kijiji = Sex auf dem Dorf
Upotofu = Unmoralisch oder beschämend

Einer der Tracks beinhaltet Massai Gesang und die anderen sind ‚Remixes‘ von Klassikern tansanischer Rumba Bands wie zum Beispiel der Juwata Jazz Band, deren Mitglieder noch leben soweit ich weiß. Wurden die bezahlt? In der Pressemitteilung verweist das Highlife label nicht auf Beesmunt Soundsystem, sondern auf ‚the mysterious Tanzania Sound System‘. Auf dem Coverbild sind zwei nicht identifizierbare Figuren in traditioneller Kleidung und die tansanische Flagge. Das hängt auch stark zusammen mit der ‚Digger-Szene‘, in der meist weiße Djs und Labelbesitzer die ersten sein wollen, die Musik aus ‚weit entfernten Ländern‘ ‚entdecken‘ wollen, wobei sie Leuten ihre Kultur wegnehmen, ohne die Bedeutung hinter der Musik zu verstehen, um sie dann an ein größtenteils weißes Publikum zu vermarkten. Und natürlich davon profitieren. Wir haben zum Beispiel auch über Awesome Tapes From Africa gesprochen.

Mathys: Das ist irgendwie ein Ausdruck von Neokolonialismus. Wenn Leute an Musik vom afrikanischen Kontinent denken, und das ist besonders interessant im Kontekt von Tanzmusik, dann denken sie überhaupt nicht an die ganzen aufkommenden Musiker:innen aus Südafrika, all die Innovationen aus der nigerianischen Szene usw. Sie haben eine bestimmte Vorstellung davon, was „afrikanische Musik“ zu sein hat und das funktioniert über den white gaze (der weiße Blick, er entsteht beim Betrachten Schwarzer Kunstwerke im Rahmen des weißen Ethnozentrismus. Anm. d. Red.): sie muss authentisch klingen, low-tech, und wenn irgendein Tech involviert ist, muss sie gerettet werden. Sie muss die Vorstellung befriedigen, das irgendjemand die Musik aus dem Nichts erschaffen hat, in einem Dorf oder im Busch, mit ganz wenig Ressourcen, und dass die Musik dann verloren gegangen ist und von einem weißen Europäer wiederentdeckt. Awesome Tapes from Africa ist ja nicht irgendein Typ, der in einen Plattenladen gegangen ist und da afrikanische Musik gefunden hat. Der hat einen akademischen Hintergrund, der ihm Legitimität verschafft. Da geht’s nicht nur um die Musik, sondern auch um die Story, und genauso sieht ein neokolonialer Ansatz aus und so hört er sich auch an. Ein lokales Label wäre viel ethischer, ohne den ganzen Fokus auf dieses neokoloniale Narrativ über ‚die Entdeckung‘ von Schätzen, deren Wert vollkommen unterschätzt wurde, bevor sie von einem weißen Mann ‚wiederentdeckt‘ wurden. Nichts lieben die Leute mehr als eine gute Story über eine verlorengegangene Platte, die wiedergefunden wurde. Aber in Realität gibt es nicht viele solcher Stories.

Axmed: Ich glaube auch, dass das mit einem Anspruchsdenken zu tun hat, denn warum liegt die Aufmerksamkeit auf dem einen Künstler, der nicht gefunden werden kann oder denen, die aus persönlichen Gründen nichts mit der Musikindustrie zu tun haben wollen. Anstatt das zu respektieren, wird eine Menge Energie darauf verwandt, diese zu überzeugen oder fast zu zwingen. In manchen Fällen geht es also nicht um die Künstler:innen, sondern um einen weißen Labelbesitzer oder eine weiße Musikjournalistin, die ein Produkt nachfragen, hinter dem sich eine ‚tolle Geschichte‘ verbirgt. Und vergessen wir nicht die Kolonialgeschichte, von der weiße Künstler:innen bewußt oder unbewußt profitieren, was das ganze noch auf einer ganz anderen Ebene problematisch macht.

Mathys: Ein Teil des Reizes an afrikanischer oder karibischer Musik besteht in ihrem Exotismus, und sie wird gerne aus dem Kontext gerissen und mit dem white gaze betrachtet. Musiker:innen vom afrikanischen Kontinent oder aus der Karibik fühlen sich dadurch gehemmt in ihrem künstlerischen Ausdruck. Ihre Musik wird echt dadurch definiert, wie sie im Westen konsumiert wird, und das ist meistens ohne den Kontext. „Sammler:innen“ beschäftigen sich selten mit der Kultur. Das habe ich bei französischer karibischer Musik beobachtet, die immer beliebter wird in ihrer instrumentellen Form (ohne Text). Ich erinnere mich an einen Song in französischem Kreol auf einem Festival, der von karibischem Stolz handelte. Es war eine merkwürdige Erfahrung, einen Song über Selbstbestimmung zu hören, mit Lyrics, die explizit dazu aufrufen, sich von dem weißen Mann zu befreien, der von einem weißen Dj vor einer überwiegend weißen Crowd gespielt wurde. Ich erinnere mich daran, dass ich verwirrt war darüber, dass dieses Lied, das so voller Wut und Traurigkeit war, auf so eine fröhliche Art gespielt wurde. Manche Djs nehmen sich tatsächlich die Zeit, den Kontext der Musik, die sie spielen, zu recherchieren, vor allem wenn sie verantungsbewusst sind. Aber das ist sicherlich nicht die Norm. Leider weigern sich viele DJs, konstruktive Kritik von den Menschen in ihrem Umfeld oder ihrem Publikum anzunehmen, sondern stellen stattdessen lieber zur Schau, dass sie Verbündete sind, tauchen bei Demos auf, um Selfies zu schießen, posten Dinge in den sozialen Medien, um irgendeine Gemeinschaft zu unterstützen, ohne auf die Idee zu kommen, den Mitgliedern der eigenen Szene auszuhelfen, nehmen in Aktivist:innenkreisen zu viel Raum ein, ohne den Leuten Anerkennung zu zollen, die tatsächlich harte Arbeit leisten usw. Es gibt ethische Wege, sich mit Musik zu beschäftigen und es ist an den Djs, durch den Prozess zu gehen, ihre eigene Arbeitsethik zu finden. Es geht darum, sich bewusst zu sein darüber, was man spielt.

Axmed: Die häufigste Reaktion auf die Art von Kritik, die du gerade formuliert hast, ist ja oft „Dann darf ich jetzt also überhaupt keine Musik mehr spielen?“ Manchmal löst sowas aggressive und sogar gewaltvolle Reaktionen aus, wenn es doch darum bei der Kritik gar nicht geht. Es ist doch nicht unvernünftig, wenn Leute annehmen, dass man Schwarz ist oder vom afrikanischen Kontinent kommt, wenn man einen Namen benutzt, der genau das vorgibt. Um nochmal das Beispiel von Awesome Tapes from Africa zu bemühen: Er ist sich der Kritik schon seit Jahren bewusst, er wurde in den sozialen Medien dafür kritisiert, dass er diesen Namen hat, obwohl er nicht aus Afrika kommt. Seine schnippische Antwort darauf war: „Ich bin auch kein Tape.“ Er ist jemand, der eigentlich die Dynamiken und die Kritik versteht, aber trotzdem entscheidet, nicht darauf einzugehen. Wenn Künstler:innen einen bestimmten Bekanntheitsgrad erreicht haben, sind sie irgendwie unantastbar, oder zumindest haben sie das Gefühl, niemandem gegenüber mehr Rechenschaft ablegen zu müssen. Das ist zum Beispiel bei Cairo Liberation Front der Fall. Es war schon höchst problematisch, dass zwei weiße Jungs diesen Namen benutzt haben, aber die sind an den Punkt gekommen, wo ihre Parties ausverkauft waren. Heutzutage buchen die zwar Künstler:innen arabischer Herkunft, aber sie haben sehr problematisch angefangen: ihren Namen verteidigt, Bauchtänzerinnen auf der Bühne gehabt und Stereotype über die arabische Welt bedient. Ursprünglich hießen sie sogar „Nobody beats the dürüm.“ Sie haben niemals öffentlich über dieses Verhalten in der Vergangenheit gesprochen und indem sie ihr Fehlverhalten nicht zugeben, haben sie Tür und Tor geöffnet für anderen Kollektive, die ähnlich problematische Ansätze haben.

Mathys: Ich habe das Gefühl, wenn man ein bestimmtes Projekt hat, an dem man seit Jahren gearbeitet hat, selbst wenn es problematisch angefangen hat, selbst wenn die Kritik nur als Begleiterscheinung eines kommerziellen Erfolges auftritt, ist es wichtig, über die Vergangenheit seines Projektes nachzudenken und über die Botschaft, die man transportiert.

Axmed: Einige dieser Projekte haben ja ganz klein angefangen, aber landen, bevor man sich versieht, auf großen Festivals. Radio Noet Noet zum Beispiel, ein komplett weißes DJ Kollektiv, das sich auf Musik vom afrikanischen Kontinent konzentriert und kulturelle Aneignung betreibt, die wurden noch nie zur Verantwortung gezogen von Musikjournalist:innen, und auch nicht von Schwarzen Leuten um sie herum. Das ist ein Projekt, das noch nicht mal gut durchdacht werden musste, um erfolgreich zu werden.

© Radio Noet Noet

Mathys: Und weil solche Projekte nicht gut durchdacht sind, sind sie so anfällig für Voreingenommenheit. Letztendlich verschaffen sie sich Legitimität durch irgendwelche Verbindungen mit People of Colour. Das macht es schwerer, sie zu kritisieren, denn es gibt sowieso so wenig Räume in der Tanzmusikszene, in denen People of Colour als Musikproduzent:innen aktiv willkommen geheißen werden. Das ist eine perverse Taktik, die einen davor schützt, Verantwortung zu übernehmen, wenn man die People of Colour, die einen kritisieren, gegen die People of Colour ausspielt, denen man ‘hilft’. Eine perfide Konsequenz daraus ist, dass die weißen Leute aus diesen Projekten am Ende noch idealisisert werden und in Führungspositionen in Gemeinschaften of Colour landen, zu denen sie nicht gehören. Ab dem Punkt gibt es keinen Raum mehr dafür, problematisches Verhalten zu entlernen. Die Sache ist: Der Wunsch, sich zu ändern muss daher kommen, dass man es wirklich will, und nicht, weil man gezwungen wird. Nehmen wir das Beispiel von Thug Entrancer, der wahrscheinlich einzige Dj, der einen problematischen Namen hatte und sich selbst entschlossen hat, ihn aufzugeben, nachem er einen VICE Artikel über weiße Produzenten, die Schwarze Kultur aneignen, gelesen hatte. Später erwähnte er in einem Interview, dass ihn niemand gebeten hat, seinen Namen zu ändern, er aber gemerkt hatte, dass sich einige Leute damit unwohl fühlten, und dass das ausgereicht hat, ihn zu diesem Wandel zu bringen. Situationen, in denen Leute nicht zur Verantwortung gezogen werden, öffnen Tür und Tor für weiteres problematisches Verhalten und da wird dann ein öffentliches darauf hinweisen wichtig und unvermeidbar, um die Szene in eine Richtung zu bewegen, die für alle in Ordnung ist. Leider werden solche öffentlichen Thematisierungen oft zu persönlich genommen: da geht es dann um verletzte Egos statt darum, als Gemeinschaft zu wachsen.

Axmed: Räume, Ressourcen und Gemeinschaften sind begrenzt. Es wird viel Energie in das Erschaffen neuer Plattformen gesteckt, vor allem von queeren People of Colour, die weiterhin sehr marginalisiert sind in der Szene und dann aus Mangel an besseren Alternativen in unsafe spaces landen. Weil niemand zur Verantwortung gezogen wird, wird sich dieser Prozess, der schon lange läuft, noch weiter hinziehen. Den Verantwortlichen fehlt noch immer die Kompetenz, um diese Themen anzugehen und deswegen profitieren sie von der unbezahlten Arbeit marginalisierter Gruppen. Wenn eine Kontroverse innerhalb einer Institution entsteht, wird sie oft ignoriert, außer sie ist zu groß um nicht angegangen zu werden. Das eigene Team zu diversifizieren und sich mit lokalen Gemeinschaften auseinanderzusetzen, sind Möglichkeiten, blinde Flecke zu erleuchten, aber es ist auch wichtig, die Existenz solcher blinder Flecken anzuerkennen. Ich bin an einem Punkt angelangt, an dem es keine Räume mehr gibt, die ich in Amsterdam People of Colour empfehlen würde, und das ist wirklich eine Schande.

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Kokoko!

KOKOKO!
Laut, vital, spontan und erfinderisch: Straßenmusik born in Kinshasa

Falls ihr KOKOKO! noch nicht kennt, solltet ihr jetzt unbedingt eure Öhrchen spitzen, denn das ist wohl die musikalisch erfinderischste Truppe, die euch seit Langem oder je untergekommen ist! Am besten, wir lassen KOKOKO! sich selbst vorstellen, im Anschluss gibt es ein paar Videos für euch zum Reinhören.

KOKOKO! ist ein Kollektiv aus Kinshasa, der Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo, ein kreativer Zusammenschluss verschiedener Künstler, der bei einer spontanen Fusion auf einem Straßenfest geboren wurde. Es besteht aus Erfindern von Musikinstrumenten aus dem Viertel Ngwaka, dem Elektronik-Produzenten débruit, Makara Bianko (alias Lingwala-Teufel) und seinen Tänzer:innen aus dem Viertel Lingwala.

Und weiter…

Die KOKOKO! Mitglieder sind dafür bekannt, eine ganz eigene Ästhetik zu schaffen, indem sie Materialien wie Metall, Dosen, Motorteile und Kunststoffbehälter von den Straßen Kinshasas neu zusammenbasteln und zu vitaler, skulpturaler Tanzmusik aufbereiten. Ihre verzerrten, schnellen Rhythmen und spontanen elektronischen Lo-Fi-Klänge bilden den chaotischen Soundtrack für die raue und doch reichlich kreative Realität der Stadt.

© Kokoko!

Dies ist eine ganz neue Szene - radikal, gefährlich und blühend in einem Land, dessen politische Instabilität zuallererst und am eindringlichsten auf den Straßen Kinshasas, Afrikas drittgrößter Hauptstadt, spürbar ist, einem städtischen Patchwork, das sich weiter erstreckt, als das Auge sehen kann. KOKOKO! ist spektakuläre Klangkulisse, die neue, ungebremste Ästhetik, die (zwischen den von der Regierung verhängten Stromausfällen) von den Clubs in der Innenstadt ausgeht.

In Kinshasa ist der performerische Zeitgeist multidisziplinär und kollaborativ, die Performance-Künstler:innen, Musiker:innen und Tänzer:innen treten oft in Gruppen auf, drücken ähnliche Gefühle aus und teilen denselben rebellischen Geist.

Das KOKOKO!-Kollektiv besteht aus Performance-Künstler:innen, die sich auf der Suche nach einem Publikum in der geschäftigen Stadt an einer belebten Kreuzung aufbauen, wobei ihre Gesten und Bewegungen die harte Realität der aktuellen Ereignisse im Land zum Ausdruck bringen. Ihre Arbeit erlaubt es ihnen, non-verbal ihre Frustration über die heutigen Zustände und die Ereignisse der Vergangenheit auszudrücken, die den Kongo, der eines der reichsten Länder der Welt sein sollte, in ein Chaos gestürzt haben, von dem sich das reiche Ausland ernährt und das es ausnutzt.

KOKOKO! schreiben auf ihrer Website, es entgehe dem kongolesischen Volk nicht, dass gerade die Ressourcen, die einen Großteil des industriellen und technologischen Fortschritts der wohlhabendsten Länder angeheizt haben – von versklavten Menschen, Kautschuk und Diamanten bis hin zum Coltan, aus dem unsere Smartphones sind und Kobalt für Akkus und Batterien – die Ursache für das Leiden in ihrem eigenen Landes sind.

Die Verdammten dieser Erde

Die in Kamerun geborene und in den USA lebende Schriftstellerin Imbolo Mbue lässt in ihrem zweiten Roman ein Dorf in Kamerun von seinem Kampf gegen Ausbeutung und Verrat berichten.

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Spoek Mathambo

Spoek Mathambo
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Township Tech aus Soweto

Spoek Mathambo ist ein aufstrebender Musiker, Produzent und Regisseur aus Südafrika und eine Schlüsselfigur des als Township Tech bezeichneten Stils südafrikanischer elektronischer Tanzmusik. Seine Musik verschmilzt Funk, House und Kwaito und ist gespickt mit bissigen Kommentaren über das Hier und Jetzt.

International bekannt geworden ist Mathambo mit seinem “Darkwave-Township-House“ Cover des berühmten „She’s lost control“ von Joy Division, das wir euch hier verlinken, denn es ist ein wahres Meisterwerk von einem Video. Man muss kein Joy Division Fan sein, um es großartig zu finden. Trotz gruselig verzerrten Gesanges und verstörender Bilder behält Control erstaunlicherweise durch seine Baseline die Fähigkeit des Originals bei, einen zum Tanzen zu bringen.

Das Video wurde im Viertel Langa in Kapstadt unter der Regie des berühmten Fotografen Pieter Hugo und mit Kindern der örtlichen Tanzgruppe Happy Feet gedreht. Mathambo, der sich selbst für Repräsentationen von AfrikanerInnen interessiert, wollte mit Hugo an diesem Projekt unter anderem zusammenarbeiten, um über die Darstellung der Kinderbande fragen zu können, wer dabei eigentlich die „Control“ habe. Im Video bombardiert uns Mathambo in einem weißen Anzug und mit einem alten Megafon in der Hand mit Bildern, die schneller wechseln, als wir ihre Bedeutung verstehen können. Wir sehen an verschiedenen Orten ihn und eine teilweise zombiehaft aussehende Bande von Kindern, die sich in bizarren Ritualen den Kopf rasieren, Milch erbrechen, epileptisch oder wie geistig besessen zucken, militärisch tanzen, sich mit Farbe übergießen, Waterboarding durchmachen, schließlich in einen Gewaltexzess ausbrechen, der keinen Höhepunkt findet. Das Ganze findet in einer eindrücklichen schwarz-weiß Ästhetik und einem surrealen Setting von Friedhöfen und verlassenen Gebäuden statt.

Für Control erhielt Mathambo 2011 den Nachwuchsregiepreis beim Cannes Lions International Festival of Creativity.

Mathambo hat außerdem einen Dokumentationsfilm über die südafrikanische Kwaito-Szene produziert, „The Future Sound of Mzansi“:

Als ein Fan von südafrikanischer elektronischer Musik habe ich mich darüber gefreut, sie innerhalb der letzten zehn Jahre regional und international durch die Decke gehen zu sehen. Sie beinhaltet so eine große Vielfalt an verschiedenen Kulturen, verschiedenen Sprachen, verschiedenen Klassen!

Als Kind von hier wächst man auf und schaut immer zu fremder Musik auf. Ich habe nie wirklich respektiert, was in Südafrika passierte. Und dann auch noch mit Tanzsachen. Bis mir klar wurde, dass der südafrikanische House und Kwaito zu den besten Hausnummern der Welt gehört. Track für Track ist das einfach der Shit.

In den Townships von Südafrika erfunden und zusammengemixt, wuchs Kwaito schnell zu einer ganzen Jugendbewegung heran, die bewusst unpolitisch zu sein schien. Wie ein südafrikanischer DJ sagte, war man es nach der Freilassung von Mandela irgendwann leid, politische Lieder zu singen. Eine schöne Anekdote ist, dass Mandela selbst die Inhalte von Kwaito Liedern gar nicht schätzte und 1996 verschiedene DJs über die ANC Jugendliga zu einem Treffen einlud, bei dem er sie bat, positive Botschaften zu transportieren.

Kwaito Kasetten wurden aus offenen Autos auf der Straße verkauft, von Oskidos Church Groove Compilation verkauften sich ganze 200.000 Exemplare. Der Inhalt von Kwaito mag unpolitisch gewesen sein, aber als Bewegung verkörperte er die Emanzipation. Wie Mathambo es ausdrückte: “Junge Schwarze konnten anfangen zu tun, was immer sie wollten – und sie taten es.”

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