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Wie ein Leipziger Afrikanist vier Schatzkisten entdeckte

Wie ein Leipziger Afrikanist vier Schatzkisten entdeckte
von Birgit Pfeiffer

Für Forschende, die vor allem Geschichts- und Kulturforschung betreiben, ist das, was Afrikanistik-Wissenschaftler Dr. Ari Awagana im heutigen Niger wiederfahren ist, ein Traum: Zufällig entdeckte er vier Kisten voller zeitgeschichtlicher Schriftenrollen, die für einige Völker in Zentralafrika von großer Wichtigkeit sind und viel über ihre eigene Geschichte, Sprache und Kultur aussagen. Der Raum, in dem die Kisten lagerten, war seit 1922 verschlossen. Für die Kulturgeschichte Zentralafrikas sind die entdeckten Dokumente eine Sensation. Und, auch das ist erwähnenswert, die Dokumente überstanden zum Großteil unbeschadet die Zeit des Kolonialismus. Nun wurde für diese Schriften vor Ort eine kleine Bibliothek errichtet – mit Hilfe der Universität Leipzig.

Verschollene Dokumente in Zinder (Niger) aufgetaucht: Dr. Elhadji Ari Awagana entdeckt vier Schatzkisten in einem seit 1922 verschlossenen Raum. Video: Dr. Elhadji Ari Awagana

Auf dem mit dem Handy gefilmten Video hört man das Staunen und die Spannung der Anwesenden, als in einem abgedunkelten Raum in einem Haus im Niger alte verstaubte Kisten vorsichtig geöffnet werden. Jahrhunderte alte Papiere kommen ans Licht. Es ist das Haus des obersten Richters Mahamadou Aboubacar Chetima in der Altstadt von Zinder im Niger, im Jahr 2018. Dr. Ari Awagana vom Institut für Afrikastudien an der Universität Leipzig wusste sofort, dass es sich um einen großen Fund handelte. Der Sprachwissenschaftler kommt ursprünglich selbst aus dem Niger. Seit 2000 lehrt er die in Westafrika verbreitete Verkehrssprache Hausa, spricht aber zudem unter anderem Kanuri, Zarma, Buduma und Fulfulde. Er erforscht historische Belege afrikanischer Schriftsprachen, die Aufschluss geben können über die Geschichte Zentralsudans.

Einblicke in den Alltag der Menschen vor 120 Jahren

„Es waren vier Kisten mit Koranmanuskripten, weiteren religiösen Texten, Akten, Klagen, Urteilen, Briefen sowie okkulten Texten“, erinnert er sich. „Der Staub war Zentimeter dick. Seit 1922 war der Raum nicht mehr geöffnet worden.“ Das war der Zeitpunkt, als der frühere Besitzer der Dokumente starb: Mamadou Chetima, der Großvater des Hausherrn. Er war ebenfalls oberster Richter gewesen, des Sultans von Damagaram, der von 1899 bis 1906 regierte.

„Die Aufgabe eines Richters war und ist es, Urteile nach dem islamischen Gesetz zu treffen, zum Beispiel in familiären Angelegenheiten, Erbschaftsfragen, Streitigkeiten zwischen Nachbarn und dergleichen“, erklärt Ari Awagana. „Dabei konnte und kann er themenspezifisch Berater zurate ziehen. Nur bei größeren Belangen ging man früher bis zum König, heute zu staatlichen Gerichten, beispielsweise wenn es um einen Mord geht.“ Die historischen Akten geben daher bedeutsame Einblicke in das Alltagsleben in der damaligen Gesellschaft.

Der Richter Chetima hatte nicht nur Papiere aus seiner eigenen Arbeit verwahrt, sondern hatte noch viel ältere Schriften besessen – für die Forschenden ein wahrer Schatz, der in den kommenden Jahren gesichtet, konserviert, digitalisiert und erforscht werden wird. Dies ist nicht nur für den Leipziger Wissenschaftler relevant, sondern auch für die Historikerin Camille Lefebvre vom Pariser Nationalzentrum für wissenschaftliche Forschung, die ebenfalls anwesend war, als die Kisten geöffnet wurden. Beide arbeiten im Projekt „Sprache als Archiv“, das von der Europäischen Union gefördert wird. Dieses widmet sich historischen schriftlichen Quellen im Zentralsudan. 

Vorkoloniale Geschichte der Region verstehen

„Anhand der Wasserzeichen auf einem der Papiere konnte ich sehen, dass dieses italienischer Herkunft war – etwa aus dem 16. oder 17. Jahrhundert“, so Awagana. „Dieser großartige Fund hilft uns, die vorkoloniale Geschichte der Region zu verstehen“, sagt er. „Er ist eine Art Zeitkapsel.“

Solche Zeitkapseln sind sehr selten, denn viele solcher Manuskripte wurden im Laufe der Jahrhunderte zerstört, geplündert oder außer Land gebracht: sei es durch islamische Kräfte, die Teile der afrikanischen Tradition von den noch prä-islamischen heidnischen Anteilen „säubern“ wollten – oder durch koloniale Plünderung, als Frankreich Kolonialmacht war. Diese Ära ging auch nicht am Haus des obersten Richters spurlos vorbei. „Chetima erzählte uns, dass sein Großvater im Jahr 1908 nach der Abschaffung des Sultanats durch Kolonial-Frankreich an die Elfenbeinküste deportiert wurde“, so Awagana. „Seine Dokumente nahm er mit ins Exil und brachte sie später wieder zurück mit nach Hause. Nur deshalb sind sie überhaupt noch vorhanden.“ Hierfür sind ihm die Forschenden heute dankbar. 

Koran Übersetzung zwischen den Zeilen

Die Schriften sind in Arabisch verfasst, in der Sprache Kanuri sowie dessen früherer Form Old Kanembu. Letztere gilt als untergegangen. Sie war die Gelehrtensprache des alten Königreichs Kanem-Bornu, das sich ab dem 9. Jahrhundert etwa 1.000 Jahre lang über große Gebiete Zentralafrikas erstreckte und in welcher sich Intellektuelle in Nordafrika, Arabien und Westafrika austauschten. Entsprechend wichtig sind entsprechende Funde für die Geschichtsschreibung der Region. Sie belegen auch, dass die Behauptung, afrikanische Sprachen seien hauptsächlich mündlich tradiert worden, nicht wahr ist. Eine entscheidende Textsorte, die sich auch im Hause Chetima fand, bilden sogenannte interlinearisierte Koranmanuskripte. „Das sind Koranmanuskripte, deren Haupttext auf Arabisch verfasst ist“, erläutert Dr. Awagana. „Zwischen den Zeilen haben afrikanische Gelehrte ihre Übersetzungen in Old Kanembu hineingeschrieben, die sie dann auswendig gelernt haben. Diese sehen zwar ebenfalls arabisch aus, funktionieren aber völlig anders. Sie sind etwa so unterschiedlich wie Kisuaheli und Deutsch. Man hat nur dasselbe Schriftsystem verwendet,“ so der Sprachwissenschaftler. Arabische Gelehrte nannten diese Sprachen bereits im Mittelalter „Ajami“ – „Fremde“, weil sie sie nicht verstanden. „Spätestens seit den Entdeckungen des Briten Adrian David Hugh Bivar in den 1950er Jahren können interlinearisierte Koranmanuskripte als früheste Beweise für eine Verwendung von indigenen Schriftsprachen in Subsahara-Afrika angesehen werden“, erläutert der Leipziger Linguist.

Durch die Forschung an solchen Manuskripten sind Ari Awagana und Camille Lefebvre auch überhaupt an den Fund in Zinder gekommen: „Wir suchten Kontakt zu Würdenträgern hier in der Region. Dabei war ich speziell auf der Suche nach solchen Manuskripten“, erläutert der Leipziger Wissenschaftler. Zunächst zeigte Richter Chetima ihnen einige Bücher des Großvaters. „Nachdem ich ihm erklärt hatte, dass es sich bei der Sprache um Old Kanembu handelte – der Sprache ihrer Vorfahren – eröffnete er uns, dass es diesen Raum gab. Er selbst wollte auch mehr über die Dokumente wissen und so kamen wir den nächsten Tag wieder und machten diese wunderbare Entdeckung.“

Kleine Bibliothek wird errichtet - mit Hilfe der Universität Leipzig

Für die Dokumente in Zinder war es höchste Zeit, wieder ans Tageslicht zu kommen. Dank des trockenen Klimas sind zwei Drittel der Schriftzeugnisse zwar noch gut erhalten; ein Drittel ist jedoch ernsthaft angegriffen von Termitenfraß, Rückständen nistender Enten und Schimmel. „Es war dringender Handlungsbedarf“, erkannte Awagana sofort. Der Inhalt der Kisten ist inzwischen gesichtet und sachgerecht untergebracht – in einer kleinen Bibliothek direkt am Fundort der Familie Chetima in Zinder. Das Dezernat für Forschungs- und Transferservice der Universität Leipzig stellte hierzu beim Arbeitsstab Kulturerhalt des Auswärtigen Amts einen Förderantrag, der rasch bewilligt wurde. Eigentlich sollte schon 2019 der Bau beginnen, aber wegen Corona verschob sich dies bis Ende 2021. Im März 2022 konnte die Bibliothek eingeweiht werden. Richter Mahamadou Aboubacar Chetima konnte dies indes leider nicht mehr erleben. Er war inzwischen gestorben.

Historisches Erbe vor Ort bewahren und für Zukunft erschließen

Das Archiv des Chetima wird nun übersetzt und wissenschaftlich erschlossen. „Ein weiteres Ziel ist es auch, jüngere islamische Gelehrte der Familie in den Techniken der Konservation und des modernen Archivwesens zu schulen, um das geschichtliche Erbe zu bewahren“, erläutert Dr. Ari Awagana. Ob dies einfacher sein wird als früher, kann man nur schlecht abschätzen.

„Derzeit erlebt der fundamentale Islamismus in der Region Aufwind. Das betrachten wir mit Sorge. Einige Gruppen, die die ‚reine Lehre‘ verfechten und auch mit Gewalt durchzusetzen versuchen, sind nicht weit weg. Aber es ist auch wichtig, unser Erbe zu erhalten.“

Dr. Ari Awagana hofft, dass sich auch in Zukunft Türen für ihn öffnen werden, die im Hinterhof ein unscheinbares Tor in die Vergangenheit Zentral-Afrikas bereithalten.

Birgit Pfeiffer ist freie Journalistin und Redakteurin in Leipzig. Ihre Webseite Textbüro Pfeiffer ist hier zu finden.

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Der kamerunische Musiker Blick Bassy ist in aller Munde. Über sein politisches Engagement und seine metaphysische Musik.

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Yewande Omotoso wird akono Autorin

Yewande Omotoso wird akono Autorin!

Der akono Verlag freut sich, Yewande Omotoso als Autorin zu begrüßen und die bevorstehende Übersetzung von "An Unusual Grief" und "Bom Boy" anzukündigen.

akono Verlegerin Jona Krützfeld freut sich riesig, Omotoso im Verlag willkommen heißen zu können: „Seit ich ihren ersten Roman Die Frau nebenan gelesen habe, bin ich ein Omotoso Fan. So glaubhafte, facettenreiche und schratige Charaktere zu zeichnen und so klug und humorvoll die Abgründe menschlicher Beziehungen zu erkunden, gelingt nur sehr begabten Schriftsteller*innen.“ Auch Omotoso selbst ist „really happy to join the akono family.“

Im Herbst 2023 wird die Übersetzung von „An Unusual Grief“ erscheinen, einer mutigen und mitreißenden Geschichte über den unkonventionellen Umgang einer Frau mit dem Verlust ihrer depressiven Tochter durch Suizid. Mit präziser und wortreicher Prosa erkundet Yewande Omotoso die Beschaffenheit menschlicher Beziehungen und legt dabei Schicht um Schicht die Bruchstellen frei, die zur Entfremdung und Vereinsamung der Mitglieder einer Familie führen. Voll kluger psychologischer Beobachtungen, mit subtilem Humor und sprachlicher Leichtfüßigkeit schafft es Omotoso (wie schon in ihren vorherigen Romanen), facettenreiche, realistische und plastische Charaktere zu zeichnen, deren Fehlerhaftigkeit mit viel Empathie und schriftstellerischer Finesse begegnet wird.

Der Verlag hat die Rechte für alle noch nicht übersetzten Omotoso Werke erworben: 2024 wird der Debütroman Omotosos, Bom Boy, in deutscher Übersetzung erscheinen. Der Roman begleitet Leke, einen problembelasteten Jungen, der in einem Vorort von Kapstadt lebt. Er hat die seltsame Angewohnheit, Menschen zu verfolgen, kleine Gegenstände zu stehlen und auf der Suche nach Gesellschaft von Arzt zu Arzt zu gehen. Durch eine Reihe von Briefen, die ihm sein nigerianischer Vater, den er nie kennengelernt hat, geschrieben hat, erfährt Leke von einem Familienfluch. Bom Boy ist eine fein gesponnene und komplexe Erzählung, die mit einem sensiblen Verständnis für sowohl die Kleinheit als auch die Bedeutung eines einzelnen Lebens geschrieben wurde.

Yewande Omotoso wurde in Barbados geboren, wuchs in Nigeria auf und zog 1992 mit ihrer Familie nach Südafrika. Sie absolvierte eine Ausbildung als Architektin, bevor sie freiberufliche Schriftstellerin wurde. Sie lebt in Johannesburg. Ihr Debütroman Bom Boy kam auf die Shortlist für den südafrikanischen Sunday Times Fiction Prize 2012 und den Etisalat Prize for Literature 2013. Ihr zweiter Roman, The Woman Next Door (auf deutsch als Frau nebenan im Eichborn Verlag erschienen), kam auf die Shortlist für den Sunday Times Fiction Prize 2016, den Bailey’s Women’s Prize for Fiction 2017, den International Dublin Literary Award und den Hurston/Wright Legacy Award for Fiction.

Omtosos Werke erscheinen im Original bei Modjaji Books und Cassava Republic Press.

Die Werke werden vom Übersetzer Thomas Brückner ins Deutsche übersetzt. Seit 1994 ist er in Leipzig als freier Übersetzer tätig und übersetzte zahlreiche Romane afrikanischer Autoren, darunter die Werke von Abdulrazak Gurnah, Ngũgĩ wa Thiong’o, Ivan Vladislavić und Helon Habila.

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