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5 Filme über afrikanische Protestbewegungen

5 Filme über afrikanische Protestbewegungen
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#ENDPOLICEBRUTALITY

Seit mehr als zwei Wochen schon finden in Nigeria Proteste vor allem junger Leute gegen die Polizei-Eliteeinheit Special Anti-Robbery Squad (SARS), Polizeigewalt im Allgemeinen und Korruption statt. Die Lage eskalierte, als Polizeikräfte vergangenen Dienstag das Feuer auf Protestierende an einer Mautstelle in Lagos eröffneten. Über 50 Zivilist:innen haben seit Beginn der Demonstrationen ihr Leben verloren. International verbreiteten sich die Proteste unter dem Hashtag #EndSARS und führten auch im Ausland zu Protestkundgebungen.

Afrikanische Gesellschaften können auf eine lange Geschichte von Protesten und Demonstrationen gegen unterdrückerische Kräfte zurückblicken. Wir wollen euch heute fünf Dokumentarfilme aus der jüngeren Vergangenheit vorstellen, die sich mit solchen Protesten beschäftigen.

Bukinabé Rising - die Kunst des Widerstandes

Burkina Faso, ein kleines Binnenland in Westafrika, beheimatet eine lebhafte Gemeinschaft von Künstler:innen, Musiker:innen und engagierten Bürger:innen, die im Geist von Sankara ihr Land politisch gestalten. Zur Erinnerung: Sankara, der anti-patriarchale, sozialistische und panafrikanistische fünfte Präsident des damaligen Obervoltas, wurde in einem Staatsstreich unter Führung seines besten Freundes und Beraters Blaise Compaoré getötet, der das Land dann 27 Jahre lang als Autokrat regierte, bis ein massiver Volksaufstand zu seiner Absetzung führte. Heute ist der Geist des Widerstands und des politischen Wandels mächtiger denn je und durchdringt jeden Aspekt des burkinischen Lebens. Dieser Geist ist nicht nur für Afrika eine Inspiration, sondern auch für den Rest der Welt.

Softie - über den Aktivisten Boniface Mwangi

Sam Soko’s Dokumentarfilm Softie begleitet den kühnen politischen Aktivisten und Photojournalisten Boniface Mwangi (genannt Softie), der sich nach mehreren Jahren des Kampfes gegen Missstände in seinem Land Kenia dazu entschließt, für ein politisches Amt zu kandidieren. Mit Idealismus als einzige Waffe eine saubere Kampagne gegen höchst korrupte Gegner:innen zu kämpfen, erweist sich jedoch bald als schwierig und höchst gefährlich. Schnell, frenetisch und doch weich in seinem Kern, zeigt Softie mit klarem Fokus, wie der Einzelne selbst dann noch einen Unterschied machen kann, wenn er gegen den Strom schwimmt. Soko erfasst geschickt die Realität des politischen Aktivismus in Kenia und die Mobilisierung der Gemeinden vor Ort.

Downstream to Kinshasa

Der neueste Dokumentafilm unter Regie des berühmten kongolesischen Filmemachers Dieudo Hamadi begleitet eine Gruppe von Opfern des Sechstagekrieges im Kongo, die von der Regierung Wiedergutmachung fordert. Im Juni 2000 war die Stadt Kisangani am Kongofluss zum Schlachtfeld beim Aufeinandertreffen von ruandischen und ugandischen Streitkräften im Zweiten Kongokrieg, dem sogenannten Afrikanischen Weltkrieg, geworden. Die Überlebenden kämpfen auch 20 Jahre später noch um Entschädigung und Anerkennung der Gräueltaten, die sie bei dieser Belagerung erlebt haben.
Hamadis Film konzentriert sich jedoch nicht auf die geopolitische Vergangenheit, sondern auf die Gegenwart einer Gruppe von Kisanganer:innen, die durch die schweren Granaten und Schüsse verstümmelt wurden. Durch das Musiktheater haben manchee ihre Stimmen zurückgefunden, da sie aber nie eine finanzielle Entschädigung für ihren Schmerz erhalten haben, beschliessen sie, den Kongofluss hinunter in die Hauptstadt zu reisen, um endlich ihren Geschichten Gehör zu verschaffen.

The Art of Fallism - Intersektionalität im Protest

The Art of Fallism gewährt einen Einblick in die südafrikanische #Rhodesmustfall Bewegung und die Notwendigkeit von Intersektionalität, ohne die eine solche Revolution der Erinnerungskultur und gesellschaftlichen Strukturen zum Scheitern verurteilt wäre. Ein massiver Studentenprotest an der Universität von Kapstadt entwickelt sich zu einer nationalen Debatte für freie Bildung und das Ende aller Formen der Repression. The Art of Fallism dokumentiert diese Kämpfe, zeigt aber vor allem, wie Frauen und Trans-Aktivist:innen innerhalb dieser Gruppen dafür kämpften, dass die Bewegung integrativ wurde und sich für eine Vielfalt von Stimmen einsetzte.

The Square

The Square ist eine fesselnde, zutiefst menschliche Chronik der ägyptischen Protestbewegung vom Sturz des Militärführers Hosni Mubaraks im Jahr 2011 bis zur Amtsenthebung von Mohammed Morsi im Jahr 2013. Der Film folgt Magdy, einem Mitglied der muslimischen Bruderschaft, Khalid Abdalla, einem ägyptischen Schauspieler, der die Hauptrolle in „The Kite Runner“ spielte, und dem charismatischen Ahmed, jeweils junge Aktivisten, die seit zwei Jahren versuchen, ein besseres Ägypten aufzubauen. Bewaffnet mit nicht mehr als Kameras, sozialen Medien, tiefem Bewusstsein und einem entschlossenen Engagement für Veränderungen fängt der Film die Unmittelbarkeit und Intensität der Proteste auf dem Tahrir-Platz ein.

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Literatur

Der Ort, an dem die Reise endet

Der Ort, an dem die Reise endet
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Ein mutiger, brutaler und schöner Roman über eine versehrte Familie

Wenn wir uns nicht gemeinsam den Geistern unserer unbewältigten Vergangenheit, unseren von der Politik genährten Gewaltnarrativen und dem vorsätzlichen Schweigen stellten, waren wir als Volk und als Land in existenzieller Gefahr.

Immer wieder hören wir, dass Menschen den Debütroman von Yvonne Adhiambo Owuor noch nicht gelesen haben, deswegen müssen wir ihn hier einfach noch einmal vorstellen!
So viel verrät uns der Klappentext:

Kenia, 2007. Odidi Oganda, ein hochtalentierter Student, wird in den Straßen Nairobis erschossen. Seine Schwester Ajany kehrt aus Brasilien zurück, um mit ihrem Vater seinen Leichnam nach Hause zu überführen. Doch die Heimkehr auf die verfallene Farm im Norden des Landes hält keinen Trost für sie bereit. Zu schmerzhaft sind die Erinnerungen, die der Mord heraufbeschworen hat und die Familie im Griff halten: an die koloniale Gewaltherrschaft und die blutigen Auseinandersetzungen nach der Unabhängigkeit. Ajanys Mutter flieht von Wut und Trauer erfüllt in die Wildnis. Und ihr Vater muss sich einer brutalen Wahrheit stellen. Doch im Moment größter Verzweiflung entsteht auch etwas Neues: Eine Liebe – oder zumindest eine Verbindung – nimmt ihren Anfang. ›Der Ort, an dem die Reise endet‹ ist ein großer Roman über eine versehrte Familie und ein zerrissenes Land. Mit einer Sprache, die einem den Atem raubt, voller Kraft und Intensität, erzählt Yvonne Adhiambo Owuor eine Geschichte von universeller Dringlichkeit – eine Geschichte von Macht und Täuschung, von unerwiderter Liebe und dem bedingungslosen Willen zum Überleben.

Buch Cover

Wie Razak Gurnah im Guardian feststellt, steht im Mittelpunkt des Romanes die Frage danach, was es braucht, um vergangenes Unrecht zu verzeihen. Dabei verfällt Owuor aber nicht in Pathos oder oberflächlichen Emotionalismus, sondern schreibt in einfühlsamer, manchmal auch karger und spröder Sprache (wie die Wüste, in dem ein Großteil der Handlung spielt) einen moralischen Kompass für ihre Landsleute, die in einem von Kolonialismus und einer gewaltvollen jüngeren Geschichte zerrissen Kenia leben. Der Ort an dem die Reise endet, ist ein feiner, mitfühlender Roman, der die Komplexität menschlicher Beziehungen ergründet.
Hier eine kleine Leseprobe:


Später, an der Universität, stieß er auf Fela Kutis Lieder - ihren kompakten Zorn: Aye, aye, aye ... I no go agree make my brother hungry, make I no talk...
Er ernannte sich selbst zum Erben Thomas Sankaras und trug eine unnötige Brille, die an Patrice Lumumbas erinnerte.
Drei Semester später fuhr Odidi heim nach Wuoth Ogik. An seinem dritten Abend in der Familie holte Odidi Oganda die Kalaschnikow, die sein Vater ihm fünf Jahre zuvor geschenkt hatte, nahm sie auseinander, warf Nyipir die Teile vor die Füße und sang: Aye, aye, aye... I no go agree make my brother hungry, make I no talk...
Schweigen.
Nyipir beugte sich über die Teile.
Schweigen.
Später, zwischen den Hieben der Nilpferdlederpeitsche, die an Odidis Körper leckte, beschwor ihn Nyipir: "Der einzige... Krieg, den du kämpfst... ist der für das, was dir gehört. Du kannst nicht die Lieder von Menschen leben, die deinen Namen nicht kennen."
Odidi versuchte, seinen Körper zu schützen, wartete auf eine Gelegenheit, Baba seitlich zu tackeln, und vergaß dabei, dass der ein erfahrener Soldat war. Sie wälzten sich über den Boden. Knack. Odidis linker Arm, sein Wurf-Arm, brach. In Odidis ersticktem Schmerz, der Tod der hochfliegenden Rugby Träume, die er, wie ihm erst jetzt klar wurde, gehegt hatte. Er erinnert sich, wie Ajanyi mit den Armen wedelte und in dem vergeblichen Bemühen, "Stopp!" zu schreien, wieder und wieder Sttttttttttttt stammelte. Akai-ma fluchte auf Turkana und flehte Gott und sämtliche katholische Heilige an, diesen Wahnsinn zu bezeugen. Sie erbot sich, ihnen ihr nacktes Hinterteil zu zeigen. Ein Fluch. Doch dann schlug Galgalu mit dem langen, dicken Hirtenstab zwischen Vater und Sohn. Zack!
Danach war Ruhe.
Viel, viel später.
Ein Vater flehte flüsternd seinen fliehenden Sohn an: Bleib. Bitte, bleib.
Der Sohn ging.
Ohne eine Antwort und einen Blick zurück.

Anfang Oktober fiel Yvonne Owuor durch eine ehrliche, wütende und für Europäer:innen sehr unbequeme Rede zur Eröffnung der Konferenz „Colonialism as Shared History. Past, Present, Future„, die vom Auswärtigen AMt mitorganisiert wurde, auf:

Yvonne Owuor

Ein vergessener Scherbenhaufen: die Streifzüge kolonialer Phantome

Das ging ordentlich nach hinten los: In ihrer Eröffnungsrede für die internationale Konferenz „Colonialism as Shared History. Past, Present, Future“ wehrt sich Yvonne A. Owuor heftig gegen die Idee einer gemeinsamen Vergangenheitsbewältigung. Mit den Geistern der eigenen kolonialen Schuld müsse Europa selbst einmal fertig werden, und seine Schuldigkeit durch Reparationen und eine gerechtere Wirtschaftsweise begleichen.

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Musik Verschiedenes

Eine Stadt auf dem Hügel

Eine Stadt auf dem Hügel
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von William Shoki

Die virale Sensation „Jerusalema“ und die dazugehörige Dance Challenge offenbaren eine tiefe Sehnsucht danach, die Welt neu zu imaginieren.

Obwohl Afrika für immer als ihr Herz der Finsternis verdammt bleiben wird, ist der Welt weiterhin schleierhaft, wie der Kontinent anscheinend glimpflich davon gekommen ist in der Covid-19 Pandemie. Als das Virus Anfang des Jahres in anderen Teilen der Welt wütete und sich bereit machte, auch auf den Kontinent vorzudringen, waren die Vorhersagen ernst. Es wurde weithin angenommen, dass die ärmlichen und dicht gedrängten Lebensumstände in Afrika, die weite Verbreitung anderer Krankheiten wie HIV und Tuberkulose und der Mangel an gut ausgestatteten Gesundheitssystemen dazu führen würden, dass das Virus dort am tödlichsten verlaufen würde. Trotz ihres katastrophalen Charakters waren diese Vorhersagen angesichts der Verzweiflung anderswo nicht mal unvernünftig. Merkewürdig ist jedoch das Gefühl der perversen Enttäuschung darüber, dass dieser Fall nicht eingetreten ist. Noch merkwürdiger ist, dass auf dem Höhepunkt des Untergangs und der Finsternis wenig internationale Unterstützung geleistet wurde, um die erwarteten schlimmsten Folgen zu verhindern.

Africa is a country

Dieser Artikel erschien im Original bei Africa is a Country unter dem Titel „A city on a hill“ von William Shoki.

Auf der anderen Seite feiert die Welt mal wieder die Leichtigkeit des Kontinents, wenn auch auf die klischeehafteste Art und Weise – über seine Musik und seinen Tanz. Seit Mitte des Jahres begeistert der gospel-inspirierte südafrikanische House Track „Jerusalema“ von DJ und Produzent Master KG und Sängerin Nomcebo Zikode ein weltweites Publikum. Besonderen Aufschwung erfuhr der Track durch seine Entwicklung zur #JerusalemaDanceChallenge, die durch eine Gruppe angolanischer Freund:innen ausgelöst wurde, die sich selbst mit Tellern voll Essen filmten, während sie eine Variation des Line Dance zu dem Song aufführten. Im Anschluss daran wurden ähnliche Clips von Menschen, die zu diesem Lied tanzten, von allen möglichen Gruppen ausgetauscht – von normalen Menschen, Nonnen und Priestern, Mitarbeiter:innen im Gesundheitswesen und anderen wichtigen Bereichen, Polizei und Soldat:innen, Tankwartinnen und -wärtern, um nur einige zu nennen. Für die Afrikanische Union ist Jerusalema „ein Lied, das seine nationalen Grenzen und den Kontinent überwunden hat und zu dessen lebhaftem Rhythmus Menschen auf der ganzen Welt tanzen“.

Die südafrikanische Regierung stellte sicher, dass die Dance Challenge koordiniert wurde und verwandelte das meist spontane und unkoordinierte Phänomen in eine staatlich geförderte Wohlfühl-Erzählung. Als Präsident Cyril Ramaphosa den Übergang Südafrikas zur niedrigsten Corona Lockdown-Stufe ankündigte, drängte er alle Südafrikaner:innen, sich an der Tanzherausforderung im Rahmen der Feierlichkeiten zum Tag des Kulturerbes, die Ende September stattfanden, zu beteiligen. (Der Feiertag selbst hat eine merkwürdige Geschichte; er ersetzte den Shaka-Tag und ist jetzt hauptsächlich eine Ausrede zum Grillen). Urplötzlich wurde ein Land, das vorher ein Pulverfass der Unzufriedenheit gewesen war, das traumatisiert war von der Ungerechtigkeit und dem Leid, das es über den Lockdown erlitten hatte, und das doch gleichzeitig uneins darüber war, wer daran die Schuld trug, in fröhlichen Darbietungen vereint, als es so schien, dass alles wieder normal ist. Und „normal“ bedeutet für Menschen aus Südafrika in der Lage zu sein, zu verdrängen, dass normal das Problem ist. Es bedeutet, ganz bequem von der Empörung über die Brutalität der Polizei im Juni zum Beifall für ihre Darbietungen des Jerusalema-Tanzes im September überzugehen.

Aber vielleicht ist Jerusalema anders, denn die Hoffnung, die es zum Ausdruck bringt, ist nicht einfach eine Rückkehr zur Normalität, sondern der Wunsch, darüber hinauszugehen. Der Text selbst (übersetzt aus isiZulu) enthält die Zeilen: „Jerusalem ist meine Heimat, rette mich, nimm mich mit… Mein Platz ist nicht hier, mein Königreich ist nicht hier“. Doch die tatsächlich existierende Stadt Jerusalem, die „Stadt des Friedens“ bedeutet und von allen abrahamitischen Glaubensrichtungen beansprucht wird, die jedoch von Israel kontrolliert werden, ist alles andere als eine ebensolche.

Es besteht eine Kluft zwischen der religiösen Bildsprache, die durch das Lied hervorgerufen wird, und dem Zustand der heutigen religiös motivierten Praxis. Die Tatsache, dass Master KG selbst nicht besonders religiös ist, zeigt, dass das Lied eine tiefere Sehnsucht in der menschlichen Existenz anspricht, die unterhalb von religiösen Gefühlen liegt. Und als Zionist:innen (nicht die südafrikanische Version des afrikanisch inspirierten Christentums, sondern Unterstützer:innen Israels) an einem gewissen Punkt versuchten, sich die Botschaft des Liedes als Unterstützung für Israel anzueignen, arbeiteten palästinensische Solidaritätsaktivist:innen mit palästinensischen Jugendlichen in Jerusalem und südafrikanischen Jugendlichen in Durban zusammen, um zwei Videos zu produzieren, die das Profil der afrikanisch-palästinensischen Gemeinschaft und die Solidarität zwischen Südafrika und Palästina schärften. Junge palästinensische Aktivist:innen wie Janna Dschihad und Ahed Tamimi schickten Videobotschaften, in denen sie Master KG einluden, nach Palästina zu kommen, und es gab eine Reihe von Aufklärungsgesprächen mit dem Künstler und seinem Management über die Politik des palästinensischen Kampfes.

Dass Jerusalema als Idee eine Sehnsucht nach mehr als bisher darstellt, könnte vielleicht auch die merkwürdige Abwesenheit der Amerikaner:innen von der Tanzherausforderung, die gerade die Welt verrückt macht, erklären (worauf die Schriftstellerin Michelle Chikaonda in einer kürzlich erschienenen Episode von AIAC Talk hingewiesen hat).

Es war der Kolonisator John Winthrop aus Massachusetts, der die Vision eines neuen Jerusalem aus dem Matthäus-Evangelium in das Bild der Vereinigten Staaten einfügte; der grundlegende Exzeptionalismus, auf dessen Grundlage sich die Vereinigten Staaten für immer als ein Leuchtturm der Hoffnung und des Fortschritts für den Rest der Welt verstehen würden. Da sich die Vereinigten Staaten nun entschieden als gescheiterter Staat erweisen, machen sie die Mehrheit der Welt – die mit Gewalt oder Zwang ihre Version des Liberalismus übernommen hat – ebenfalls zu gescheiterten Staaten, wobei die globale Unfähigkeit, mit einer Pandemie fertig zu werden, das sicherste Testament ist.

Was also ist Jerusalema, wenn nicht die feinste Destillation eines globalen Wunsches nach einer anderen Stadt auf einem Hügel? Und nicht, indem man sich einfach einer anderen Großmacht als Amerikas bereitwilligem Ersatz zuwendet – China ist nicht der Retter der Welt -, sondern einer, die wie die tänzerische Herausforderung selbst an die Möglichkeit einer kollektiven Subjektivität glaubt. Natürlich kann diese Subjektivität in Formen zusammenbrechen, die eher reaktionär als emanzipatorisch sind. Wie Zwide Ndwandwe schreibt, gibt es nicht viel, was den Regenbogen-Nationalismus, zu der die Dance Challenge Südafrikaner:innen erhebt und die Fremdenfeindlichkeit, die gleichzeitig in den sozialen Medien grassiert und die fordert, dass die Regierung Südafrikaner:innen an erste Stelle stellt, trennt: #PutSouthAfricansFirst. Es reicht nicht aus, dass es eine weit verbreitete Unzufriedenheit über unsere Gesellschaft gibt, da sie durch den Wunsch nach etwas Besserem unterstrichen wird – man muss dem, was das Bessere sein könnte, auch Inhalt geben.

In einer kürzlich erschienenen Episode von AIAC Talk, die sich dem Gespräch über die vergangenen Wahlen in Malawi widmete, wandten Sean Jacobs und ich uns mit einer Frage an die Diskussionsteilnehmer:innen, in der es darum ging, dass der neue Anführer Malawis, Lazarus Chakwera, ein Theologe ist, von dem man weiß, dass er die Bürger:innen als Teil seiner „Herde“ bezeichnet. Wir fragten dies, um zu verstehen, ob dies ein Zeichen dafür ist, dass Malawi möglicherweise auf dem Weg zu mehr von derselben demagogischen und autokratischen Führung ist, die für den Rest des Kontinents so charakteristisch ist. Doch in den Augen von Chikaonda und des Medienwissenschaftlers Jimmy Kainja war diese Tatsache über den neuen Präsidenten nicht bemerkenswert – obwohl Malawi ein religiöses Land ist, wurde Chakwera nicht deshalb gewählt. Mit Kainjas Worten: „Malawi ist jetzt ein anderer Ort. Sein Volk hat keine Zeit für den üblichen Unsinn der politischen Klasse, den es seit seiner Unabhängigkeit ertragen musste, und vertraut nun auf seine Kompetenz als Bürger un Bürgerinnen. Es ist dieser Geist der Selbstbestimmung, der Malawi umhüllte und in dem die einfachen Bürger eine aktive Rolle bei der Überwachung und Beaufsichtigung der Wahlen ohne ausländische Beobachter spielten und so weit gingen, dass sie die Flüge mit den Stimmzetteln stündlich verfolgten und darüber informierten.

Und es ist dieser Geist der Selbstbestimmung, der leise über den ganzen Kontinent fegt, während die Bürgerinnen und Bürger auf die Krise des globalen Kapitalismus reagieren, die durch die Pandemie noch verschärft wird. Es ist leicht, einen isolierten Blick auf das erfolgreiche Management von COVID-19 als Krise der öffentlichen Gesundheit auf dem Kontinent zu werfen und zu denken, dass das Schlimmste vorbei ist und dass Afrika beeindruckt hat – aber die Wahrheit ist, dass wir gerade erst beginnen, uns mit den sozioökonomischen Rissen auseinanderzusetzen, die COVID-19 aufgedeckt und verschlimmert hat. Wir sind Zeugen einer anhaltenden Mobilisierungswelle auf dem Kontinent, die die Exzesse des Neoliberalismus herausfordert – in Nigeria, Ghana, Kenia, Simbabwe und anderswo. Südafrikas Gewerkschaften und soziale Bewegungen bereiten sich auf eine Saison landesweiter Streiks vor, die den größten Gewerkschaftsbund (der mit der Regierungspartei, dem Afrikanischen Nationalkongress, verbunden ist) und seinen engsten Konkurrenten zusammenbringen. Natürlich könnten diese Bemühungen scheitern, und zweifellos werden die Regierungen weiterhin die COVID-19-Sammlungsbeschränkungen als Vorwand für Repressionen nutzen.

Aber man hat das Gefühl, dass zum ersten Mal seit langer Zeit der Glaube besteht, dass Selbstbestimmung nur als kollektive Leistung verstanden werden kann, die darin besteht, Institutionen in unserer Gesellschaft zu schaffen, indem die Lebensbedingungen für alle garantiert werden. Das sind Errungenschaften, die politisch erkämpft werden müssen, und egal, wie schlimm die Dinge auch werden, sie werden nicht durch das Wohlwollen eines externen Akteurs zustande kommen. Das Schicksal Afrikas wird nicht vom Staat des Westens oder von China bestimmt, sondern nur von seinem Volk selbst. Was vielleicht auf der Suche nach einer neuen Stadt auf dem Hügel stärker wird, ist die Überzeugung, dass wir sie selbst bauen werden.

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Verschiedenes

Pierre Thiam

Pierre Thiam
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ein kulinarischer Botschafter der westafrikanischen Küche

Man kennt ja leider nicht viele öffentlichkeitswirksame afrikanische Profiköche und -köchinnen. Deswegen stellen wir heute den Senegalesen Pierre Thiam vor, der sich mit seiner Kochkunst und seinem Engagement für die westafrikanische Cuisine als kulinarischer Botschafter versteht.

Von Dakar nach New York

Thiam wuchs in Dakar auf, wo er, wie er im folgenden Video erzählt, schon früh von einem Kochbuch seiner Mutter und den dort abgebildeten Köstlichkeiten so begeistert war, dass er wusste, er wollte Koch werden. Leider ist das im Senegal nicht so leicht, denn

als Junge hatte ich in der Küche nichts zu suchen. Ich durfte nicht hinein, denn im Senegal ist Kochen eine geschlechtsspezifische Aktivität, die Frauen vorbehalten ist. Das ist eine ernsthafte kulturelle Angelegenheit. Mittlerweile tut sich da aber was und es gibt auch männliche Profiköche.

Als Thiam wegen der Schließung seiner Uni in den USA weiter studieren musste, entdeckte er, dass er dort auch als Mann Zugang zu Küchen und Gastronomien hatte. Als er in den späten 80er Jahren in New York ausgeraubt wurde, beschloss er kurzerhand, sich einen Job in einem Restaurant zu suchen und nicht in den Senegal zurückzureisen. Er arbeitete sich als Koch in die New Yorker Restaurant Welt hoch und eröffnete zwei eigene Restaurants in Brooklyn. Das Yolele und das Le Grand Dakar sind heute zwei visionäre afrikanische Bistros, die zu kulinarischen und kulturellen Zentren für Afrikaner:innen vom Kontinent und aus der Diaspora geworden sind.

In den späten 80er Jahren, als ich dort ankam, gab es in New York kein afrikanisches Essen. Punkt. Vielleicht gab es nordafrikanisches Essen, das an mir vorüberging, aber definitiv kein westafrikanisches.

Inspiriert von einer Philosophie des ersten senegalesischen Präsidenten Senghor (der Dichter war), lebt und arbeitet Thiam nach einem Prinzip des neuen Humanismus, bei dem verschiedene Kulturen als gleichwertige an einem Tisch zusammenkommen und alle etwas Schönes beitragen. Als kulinarischer Botschafter möchte er jedoch nicht nur Menschen an einem Tisch vereinen und ihnen über das Kochen die westafrikanische Kultur näherbringen, sondern auch den vielen Profiköchen, die in Westafrika bescheiden in ihren häuslichen Küchen kulinarische Wunder vollbringen, eine Stimme geben.

Fonio - das afrikanische Quinoa

Screenshot aus Pierre Thiams Ted Talk: A forgotten ancient grain that could help Africa prosper

Während der Arbeit an seinem ersten Kochbuch reiste Thiam für neue Inspiration in den Senegal, wo man ihm in der weit von der Hauptstadt entfernten Region Kédougou ein uraltes Getreide zeigte, das schon lange vom Speiseplan der urbanen Senegales:innen verschwunden ist: Fonio. Traditionell wurde es zubereitet, wenn man Gäste aus dem Königshaus erwartete, deswegen wird es auch das Königsgetreide genannt. Thiam vermutet, dass es bei guter Vermarktung für Westafrika das bedeuten könne, was Quinoa für Peru und Chile bedeute. Ein Urgetreide, das glutenfrei, nahrhaft, schmackhaft und dürreresistent ist, könnte westafrikanischen Ökonomien große Abnehmer verschaffen.

The Guardian

Fonio: the grain that would defeat quinoa as king among foodies

Fonio wird seit mehr als 5000 Jahren in Afrika angebaut und wurde von Archäolog:innen sogar in ägyptischen Pyramiden gefunden, wo es als Grabbeilage genutzt wurde. Noch kosten 400 Gramm Fonio aus dem Senegal bei uns knapp 9 Euro, aber es lohnt sich, die Augen aufzuhalten um zu sehen, was Thiam als Advokat des Urgetreides erreichen wird.

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