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Film

Dahomey von Mati Diop gewinnt Goldenen Bären

»Zurückzugeben heißt,
Gerechtigkeit zu üben«
von Jona Elisa Krützfeld

Der Dokumentarfilm »Dahomey« der französisch-senegalesischen Filmemacherin Mati Diop erhält den Goldenen Bären der Berlinale Filmfestspiele.

»26 nannten sie mich. Nicht 24, nicht 25, nicht 30. 26. Was ist das für ein Name?«

Hier spricht in Mati Diops experimentellem Dokumentarfilm, der am Samstag mit dem Goldenen Bären der Berlinale ausgezeichnet wurde, eine der Statuen aus einer Gruppe von 26 nach Benin restituierten Kulturobjekten aus dem Königreich Dahomey aus dem Off. Zu Beginn des Filmes bereitet sich diese Statue darauf vor, endlich aus der opaken Nacht des Museum Quai de Branly in Paris in seine Heimat zurückzukehren.

Die Kamera begleitet die Kulturgüter, die von französischen Truppen bei der Plünderung der königlichen Paläste in Abomey 1892 entwendet und von dem französischen Oberst Alfred Dodds an einen Vorgänger des Musée du quai Branly in Paris gespendet wurden, bei ihrer Heimkehr in ihr Ursprungsland, das heutige Benin. Paraden von tanzenden und feiernden Menschen flankieren die Kolonne von mit Bildern der Kunstschätze bedruckten LKWs in Cotonou, von überallher strömen Menschen, um einen Blick auf die Heimkehr der Schätze zu erhaschen.
Mit äußerster Sorgfalt und Professionalität werden schließlich die Holzkisten mit Statuen, Schmuck und einem Thron am neu erbauten Museum Palais de la Marina in Empfang genommen und feierlich von Dutzenden von Männern mit Spanngurten die breiten Treppen ihrer neuen Heimstätten hinaufgetragen.
Dass die Sache mit der Restitution nicht ganz so einfach oder romantisch ist, wie diese Bilder glauben machen, zeigen anschließend Szenen einer öffentlich übertragenen Debatte zwischen jungen Menschen, die vor einem riesigen Publikum mit glasklaren und eloquent vorgetragenen Argumenten über ihr Verhältnis zum materiellen Kulturerbe ihres Landes und darüber diskutieren, wie die Rückgabe von 26 von insgesamt 7000 geraubten Kulturobjekten von der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich einzuordnen ist – als guter Anfang oder postkoloniale Arroganz?

Auch die immer wieder mit mystisch verzerrter Stimme und poetischen Bemerkungen aus dem Off sprechende Statue bemerkt, dass sie zwar die exotische Liebkosung ihrer neuen alten Heimstätte genieße, aber ansonsten nichts wiedererkenne, habe sich das heutige Land Benin doch in ihrer Abwesenheit von Grund auf verändert.

Am 24. Dezember 2020 erließ die französische Regierung ein neues Gesetz, das nach dem Erscheinen des »Berichts über die Rückgabe des afrikanischen Kulturerbes« die dauerhafte Rückgabe mehrerer Kulturgüter aus französischen Sammlungen an den Senegal und die Republik Benin vorsieht. Außerdem wurde ein Darlehen der französischen Entwicklungsagentur in Höhe von 20 Millionen Euro für ein neues Museum in Abomey bereitgestellt. Die Artefakte sollen in den folgenden Jahren durch das Land reisen und in verschiedenen Museen ausgestellt werden, bis sie schließlich im Museum der Amazonen- und Königsepen von Dahomèy in Abomey dauerhaft ausgestellt werden.
Der beninische Präsident Patrice Talon sprach sich für die Restitution weiterer Werke aus. Schätzungen zufolge hortet Europa mehr als 90 Prozent des afrikanischen Kulturerbes. »Zurückzugeben heißt, Gerechtigkeit zu üben«, sagte Mati Diop am Samstag in Berlin, als sie den Preis entgegennahm.

Der Begriff Restitution war in Deutschland bis vor einigen Jahren vor allem aus Berichten über Raubkunst aus dem Nationalsozialismus bekannt und wurde durch Rückgabeforderungen aus afrikanischen Ländern und damit verbundenen Bemühungen aktivistischer Gruppen in Deutschland in die Museen und die öffentliche Diskussion getragen. Schätzungen zufolge liegen noch circa 90% des materiellen sub-saharischen afrikanischen Kulturerbes, das in der Kolonialzeit gestohlen wurde, in westlichen Museen.

Auch in Deutschland befinden sich Tausende von Exponaten, die ethnologischen Sammlungen des Humboldt Forums allein umfassen rund 500.000 in kolonialen Gewaltkontexten »gesammelte« Objekte. Eines der wohl berühmtesten Beispiele für Raubkunst in Deutschland sind 20 Benin-Bronzen, die über 120 Jahre lang auf fünf deutsche Museen verteilt, beherbergt wurden.

Im Dezember 2022 gaben Außenministerin Annalena Baerbock und Kultusministerin Claudia Roth die wertvollen Objekte an Nigeria zurück. Die Benin-Bronzen wurden größtenteils unter britischer Flagge Ende des 19. Jahrhunderts geplündert. Die Grünen-Politikerin Baerbock kommentiert die Rückgabe mit den Worten: »Es war falsch, sie zu nehmen, und es war falsch, sie zu behalten.«

Insofern leistet Mati Diops Dokumentarfilm »Dahomey« einen komplexen und künstlerisch anspruchsvollen Beitrag zu einer andauernden Debatte, in der Deutungshoheit und Machtbeziehungen unter konkurrierenden Interessen immer noch ausgehandelt werden müssen. Die gezeigten Bilder sollten jedenfalls den bösen Zungen, die immer wieder behaupten, in den Herkunftsländern würden die Exponate durch Korruption oder schlechte Ausstellungsbedingungen dem Verfall und Verlust ausgesetzt, eine Lektion erteilen. Aus dieser sehr politischen Gegenwart abstrahiert die Dokumentation, deren filmische Mittel bei nur 70 Minuten Länge äußerst geschickt eingesetzt sind, immer wieder in die erhabene Welt der sprechenden Statue, die immerhin ein Kultobjekt ist und bei all dem Rummel immer mal wieder auch mit dem Wind, dem Ozean und der Ewigkeit in Kontakt treten muss.

Mati Diop

Die 1982 in Paris geborene Mati Diop stammt aus der berühmten senegalesischen Diop-Familie. Ihr Vater Wasis Diop ist Musiker und Songwriter, der für eine Mischung der traditionellen senegalesischen Volksmusik mit moderner Popmusik und Jazz bekannt ist. Zudem ist sie die Nichte des Filmemachers und Schauspielers Djibril Diop Mambéty. Diops französische Mutter ist Fotografin und Art-Direktorin. Ihren Film Atlantique (im akono Magazin besprochen), bei dem sie Regie führte und das Drehbuch schrieb, stellte sie im Rahmen der Internationalen Filmfestspiele von Cannes vor, wo er um die Goldene Palme konkurrierte. Diop war damit die erste schwarze Regisseurin im Wettbewerb von Cannes. Im November 2019 wurde sie vom Branchenblatt Variety in die 10 Directors to Watch aufgenommen. Atlantique wurde vom Senegal als Beitrag für die Oscarverleihung 2020 in der Kategorie Bester Internationaler Film eingereicht und Mitte Dezember 2019 von der Academy of Motion Picture Arts and Sciences auf die Shortlist in dieser Kategorie gesetzt.

Jona Elisa Krützfeld ist studierte Kulturwissenschaftlerin und Verlagsleiterin bei akono. Sie wohnt in Berlin und betreut hauptberuflich die Vergabe des Friedenspreises beim Börsenverein des Deutschen Buchhandels.
Im Bereich der Literaturen Afrikas interessiert sie sich besonders für Orature, historische Fiktion, Weiblichkeit und Feminismus und Erzählungen mit politischer und philosophischer Botschaft.

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Musik

Spotify in Afrika: Teil 2

Spotify in Afrika: Teil 2
von Marcel Sturm

Herausforderungen von Spotify und Co. in Afrika

Der Musik-Streaming-Markt ist zunächst einmal eng mit der Vernetzung und der Akzeptanz von elektronischen Geräten verbunden. Diese externen Faktoren haben einen großen Einfluss auf die Akzeptanz von Streaming-Diensten und bleiben die größte Herausforderung im Falle Afrikas. Auch wenn die Einnahmen in den kommenden Jahren voraussichtlich deutlich steigen werden, gibt es noch eine Begrenzung für das Wachstum des Musik-Streamings, denn dieses kann sich nur so schnell entwickeln, wie es die Infrastruktur ermöglicht. Da Internet- und Smartphoneverfügbarkeit niedriger sind, wird erwartet, dass die Durchdringung von Streaming-Diensten in der Bevölkerung im Vergleich zu anderen Märkten zumindest für eine Weile ebenso niedriger bleiben wird.

Auch die geringe Zahlungskraft vieler Menschen und fehlende Bankkonten stellen Hürden für die Verbreitung dar. Eine weitere Herausforderung sind die Zahlungsbedingungen in vielen afrikanischen Ländern, denn der Devisenumlauf ist oft sehr begrenzt, und die Mehrheit der potenziellen Nutzer:innen nutzt für ihre Zahlungen Smartphones statt Banktransfers. In Ländern mit hohen Bankzinsen ist es beinahe unmöglich, online einzukaufen. Die einzigen Staaten, deren Zentralbanken Online-Transaktionen zulassen, sind Südafrika, Ruanda, Marokko, Ägypten, Senegal und Nigeria. Für andere afrikanische Länder ist die Einrichtung eines Fremdwährungskontos äußerst kompliziert, wenn nicht sogar unmöglich – eine Herausforderung für Spotify und andere expandierende Anbieter.

In Afrika hat sich Streaming also bisher noch nicht endgültig durchgesetzt, und dies jedoch auch, weil die Musikindustrie insgesamt einen schweren Stand hat. Südafrika ist mit seiner hoch entwickelten Musikindustrie eine Ausnahme auf dem Kontinent. „Es gibt in den meisten Ländern Afrikas eine lebendige Musikszene“, sagt David Price vom Weltverband der Musikindustrie (IFPI) im DW-Interview, „aber die Umsätze in diesen Ländern sind recht gering“. Denn wenn in Afrika für Musik bezahlt wird, geht das Geld oft an Raubkopierer:innen und nicht an die Labels bzw. Produzent:innen. Angesichts der Umsetzung und Lage des Urheberrechts setzen viele Musiker:innen für ihren Lebensunterhalt vor allem auf Konzerte. Was natürlich seinen Charme, aber auch seine Schattenseiten hat; wie die Abhängigkeit von Auftritten für die Einnahmen der Künstler:innen.

Die größte Herausforderung des Geschäfts in Afrika seien die hohen Kosten für Datenvolumen, sagt Gillian Ezra im DW-Interview. Sie ist Afrika-Chefin des französischen Anbieters „Deezer“, der in fast allen Ländern des Kontinents verfügbar ist. Nach Angaben der Organisation „Alliance for Affordable Internet“ kostet ein Gigabyte Datenvolumen einen Südafrikaner 2,35 %, eine Kenianerin 4,33 %, und einen Ivorer sogar 6,36 % des Monatseinkommens. Ein möglicher Weg, um den hohen Datenkosten zu begegnen, ist die Kooperation der Streaming-Dienste mit Mobilfunkunternehmen. Denn diese haben die Möglichkeit, kostenlose oder vergünstigte Datenpakete für die Nutzung eines Musik-Streaming-Dienstes anzubieten. „Solche Datenbrücken können tatsächlich der Schlüssel dazu sein, die Streaming-Dienste in Afrika zu etablieren“, sagt Musikindustrie-Experte Price. Doch manche Mobilfunkbetreiber setzen lieber auf eigene Produkte.
Für Afrika haben die „westlichen“ Musik-Streaming-Dienste ihr Angebot angepasst. Ein Monat werbefreies Musik-Streaming kostet bei Spotify, Apple oder Deezer umgerechnet etwa 3,65 Euro, also weniger als die Hälfte dessen, was Nutzer:innen in Europa oder Amerika zahlen. Für Kunden ohne Bankkonto gibt es im Supermarkt Prepaid-Karten. Die Dienste gehen also auf die afrikanische Bevölkerung ein. Jedoch stellt sich die Frage, ob diese Bemühungen tatsächlich ausreichen; besonders unter dem Aspekt günstigerer afrikanisch-orientierter Musikstreaming-Anbieter.

Tatsächlich hat das Streaming-Geschäft im Allgemeinen, also auch weltweit, einen großen Haken. Bisher erwirtschaften die Großen der Branche nämlich keine Gewinne. Umso riskanter erscheint die Wette darauf, dass das Musikgeschäft in Afrika mit der neuen Technologie aufblüht. Für die Streamingdienste und Musikindustrie gilt es dennoch, den afrikanischen Markt für sich zu gewinnen. Die große Bevölkerung und das starke Wachstumspotenzial sorgen dafür, dass verschiedene Musikplattformen sie für ihre Ausweitung auf den vielfältigen Kontinent nutzen möchten. Insgesamt ist die Besonderheit des afrikanischen Musik-Streaming-Marktes so groß, dass die Akteure ein erhöhtes Maß an Anpassungsfähigkeit an den Tag legen müssen. Afrika kann sicherlich ein Wachstumsmotor für Musik-Streaming-Plattformen sein, die nun herausfinden müssen, wie man diesen anheizt.

Marcel Sturm (29) ist Studierender der Populären Musiken und Medien im 5. Semester und bei akono im Herbst 2023 und Winter 2023/24 als Praktikant im Magazin tätig.

Bild im Header: unsplash

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