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Anajina

Anajina
von Nader Adem

Dies ist die Geschichte einer historischen Stätte und einer einzigartigen kulturellen Tradition, die seit Jahrhunderten im Süden Äthiopiens existiert.

Meine erste Begegnung mit Anajina liegt über 20 Jahre zurück, als ich zum ersten Mal ein Foto in einer Zeitschrift sah, die mein Vater von seiner Reise nach Äthiopien mitgebracht hatte. Ich war beeindruckt von der Schönheit der Stätte, ihrer weißen Farbe und ihrer einzigartigen Architektur, ohne eine Ahnung von ihrer kulturellen oder religiösen Bedeutung zu haben.

From the series Anajina ©Nader Adem. Courtesy of the artist

Die Erinnerung an diese erste Begegnung kam im Juli 2016 zurück, als ich auf dem Flughafen Bale auf meinen Flug nach Frankreich wartete. Ich sah in einer Sammlung von Fotos touristischer Attraktionen Äthiopiens wieder diese faszinierende Stätte. Diesmal beschloss ich, eine Reise zu unternehmen und diesen Ort zu erkunden, nicht nur, um neue Gegenden in meinem Land kennenzulernen, sondern auch als Fotograf, der auf der Suche nach einer neuen, noch nicht erzählten Geschichte ist. Motiviert wurde ich auch durch die Tatsache, dass ich der erste äthiopische Fotograf sein würde, der visuell die Geschichte dieser Stätte erzählt. Schon viele ausländische Fotograf:innen hatten sich diesem Sujet gewidmet, doch es gab keine Arbeiten von lokalen Fotograf:innen. Nach vier Monaten Recherche und einer zweitägigen Reise von Addis Abeba aus erreichte ich den Ort.

From the series Anajina ©Nader Adem. Courtesy of the artist

Eine Pilgerstätte für Tausende

Tausende von Menschen aus vielen Teilen Äthiopiens strömen zweimal im Jahr nach Anajina, um zu Gott zu beten und an religiösen Ritualen teilzunehmen, um Segen und geistige Erneuerung zu erhalten. Dire Sheikh Hussein oder (Anajina), wie es in der Oromo-Sprache heißt, ist eine heilige Stätte in Bale, im südlichen Teil Äthiopiens. Sie stammt aus dem 12. Jahrhundert und ist nach einem hoch verehrten und geachteten muslimischen Gelehrten namens Sheikh Nur Hussein benannt, der für seine religiösen Lehren, seine große Hingabe und seine bemerkenswerten Wundertaten bekannt war. Es wird geglaubt, dass Gott denjenigen, die die lange und tückische Reise durch Berge und Wüsten auf sich genommen haben, seit Jahren immer wieder beisteht.

From the series Anajina ©Nader Adem. Courtesy of the artist

Anajina ist jedoch einer großen Bedrohung durch diejenigen ausgesetzt, die eine puritanischere Version des Islams befürworten, während der Einfluss des Wahhabismus in der Region zunimmt.

Zur Zeit meiner Ankunft trafen viele Pilger:innen ein, um sich auf das Fest Eid Arafah vorzubereiten, eines der beiden jährlichen Feste in der Region.
Die Pilger kommen gewöhnlich am Nachmittag des ersten Tages in Anajina an, um die Feierlichkeiten am Abend und in der Nacht zu genießen. Sie rezitieren Gedichte, die Gott und Scheich Nur Hussein preisen, schmücken ihr Gesicht mit der weißen Kreide des Ortes als religiöse Pflicht zur Einhaltung der rituellen Praktiken und beten durch ihn zu Gott, in der Hoffnung, dass ihre Wünsche nach spiritueller Erneuerung bald erfüllt werden.

From the series Anajina ©Nader Adem. Courtesy of the artist

Anajina ist ein Ort der Wallfahrt, des Sufismus und der ästhetischen, architektonischen und sozialen Werte, die für die kulturelle Vielfalt in Äthiopien stehen.

From the series Anajina ©Nader Adem. Courtesy of the artist
Nader Adem ist ein Fotograf aus Addis Ababa. fotografiert seit 2012 Portraits und Reportagen, arbeitet aber auch als Werbefotograf.
Nader Adem auf Instagram
www.naderadem.com
Gefördert durch die Kulturstiftung des Freistaates Sachsen. Diese Maßnahme wird mitfinanziert durch Steuermittel auf der Grundlage des vom Sächsischen Landtag beschlossenen Haushaltes.

Blick Bassy

Der kamerunische Musiker Blick Bassy ist in aller Munde. Über sein politisches Engagement und seine metaphysische Musik.

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Die Intensität der Identität eines diasporischen Künstlers

Die Intensität der Identität eines diasporischen Künstlers
von Will Furtado
Nuno Silas ist ein in Mosambik geborener deutscher Maler, Bildhauer und Fotograf, der in seinen Performances und Installationen die physischen, psycho-geografischen und politischen Komponenten seines nomadischen Lebensstils erforscht. Im Interview spricht er über seine Arbeit.

WF: Du hast in verschiedenen Ländern und Kontinenten gelebt. Wie hat das deine Praxis in Bezug auf die Medien, die du erforschst, geprägt?

Nuno Silas: Ich bin in den 1990er Jahren in Maputo aufgewachsen, einer postkolonialen, kosmopolitischen, modernen Stadt mit einer lebendigen Kulturszene. Von klein auf habe ich mich für das Reisen interessiert. Als ich erwachsen wurde, beschloss ich, mir den Wunsch nach unterschiedlichen Erfahrungen und Kulturen zu erfüllen. Der Aufenthalt an verschiedenen Orten und in verschiedenen Kulturen hat Auswirkungen darauf, wie wir die Welt verstehen. Manchmal schlage ich mir selbst vor, doch mal mit diesem vorläufigen Verständnis der Orte, an denen ich mich aufhalte, gemischt mit meinem kulturellen Hintergrund künstlerisch zu arbeiten. Ich interessiere mich vor allem für Übungen des psychischen Automatismus und für die Fotografie, die eine fiktive Vorstellung von etwas oder einem Gefühl vermittelt. Folglich bietet sie eine Reihe von Möglichkeiten, einen neuen Diskurs und eine neue Bedeutung zu schaffen. Manchmal versuche ich jedoch, ein Überdenken zu vermeiden, da ich mit inneren Impulsen arbeite: Ich fotografiere mein Porträt, überlagere es mit einem weiteren, verpixle es und schichte es anschließend und mache visuelle Darstellungen, die mit einem Gefühl des Begehrens, erstickten Körpern, Gewalt und manchmal mit spirituellen Kräften, die im Körper wirken, verbunden sind.

Du hast eine experimentelle Einstellung zur Fotografie. Welche Entwicklung hast du dabei gemacht?

NS: Experimentierfreude ist für meine konzeptionellen Ideen von grundlegender Bedeutung. Der Prozess des Ausprobierens bietet mir vielfältige Möglichkeiten, verschiedene Techniken zu erforschen. Andererseits ermöglicht er mir, eine neue Definition von Kunst und einzigartige zeitgenössische Darstellungen der Welt rund um Migration, Identität und Macht vorzuschlagen. Wenn Sie meine Arbeit betrachten, können Sie Ideen der Wiederholung des „Selbst“ erkennen. Ich nehme die Blicke, die mir als Schwarzer afrikanischer Einwanderer in Europa zugeworfen werden, sensibel wahr. Diese Praxis untersucht die Konstruktion meiner Schwarzen Identität, indem sie die Darstellung des Schwarzen Körpers in der Kunst auf vielfältige Weise zeigt. Dies ist die Entwicklung meiner künstlerischen Praxis. Wenn ich über visuelle Improvisation und Wiederholung nachdenke, geht es darum, Gefühle zu simulieren und zu fragen: Wer bin ich? Die Beantwortung dieser Frage ist eine besondere politische Übung der Selbstdarstellung.

Nuno Silas, aus der Serie The Intensity of Identity, 2019-2020. Courtesy the artist.

Du stellst in deiner Arbeit oft dein eigenes Bild nach, aber es repräsentiert nicht immer dich selbst. Könntest du mir mehr über deine Darstellung des Schwarzen Körpers erzählen und wie du dich entscheidest, ihn in Bezug auf dein Publikum zu erforschen?

NS: In der postkolonialen Welt ist der Schwarze Körper zu einem Forschungsthema in verschiedenen Bereichen geworden, insbesondere in der Diaspora und in der künstlerischen Darstellung Afrikas, die eine kritische Betrachtung von Kolonialismus und Rassismus nach sich zieht. Diese kritische Betrachtung zielt darauf ab, unser Verständnis und Bewusstsein für Schwarze Geschichte und visuelle Kunst zu erneuern, eine Assoziation von Symbolen zu schaffen, einen zeitgenössischen Diskurs vorzuschlagen und eine dekoloniale Erzählung zu entwickeln.

In Critique of Black Reason (Kritik der Schwarzen Vernunft) argumentiert Achille Mbembe, dass der Schwarze Körper mit einer spezifischen Geografie und physischen Elementen verbunden ist, die mit der rassischen Bedingung – Fremdheit, Minderwertigkeit und „Primitivismus“ – assoziiert werden. Diese wiederum stehen in Beziehung zu Konzepten von Macht, Klasse und Geschlecht. In meinen Arbeiten reflektiere ich also über den Prozess des Widerstands und der Verhandlung von Raum, nicht als Aktivist, sondern als Künstler, und stelle die Frage, warum die Phänomenologie Schwarzer Menschen oft mit dem Kampf für etwas verbunden ist, umgeben von einer unsicheren Atmosphäre. Und manchmal beschäftigen sich meine Arbeiten mit imaginären, repräsentativen Gefühlen.

Nuno Silas, aus der Serie The Intensity of Identity, 2019-2020. Courtesy the artist.

In meiner Arbeit geht es darum, einen Weg zu finden, Schwarzsein zu verstärken – die Schwarze Erfahrung darzustellen, indem ich eine Reflexion über die physischen, psycho-geografischen und politischen Bestandteile meines Zustands vorschlage. Ich habe darüber nachgedacht, Schwarze Identitäten auszudrücken, ohne andere Menschen zu fotografieren oder zu imitieren. In Intensity of Identity verwende ich zum Beispiel mich selbst als künstlerisches Objekt. Ich untersuche verschiedene Probleme der menschlichen Existenz, indem ich Identität in verschiedenen Formen abbilde, nachstelle und behandle, um verschiedene Bedeutungen auszulösen. Ich habe Werke geschaffen, die ein Imaginäres widerspiegeln können, eine symbolische Art und Weise, Ideen von Erstickung, Trauma und Macht vorzuschlagen, nicht als Unfall, sondern als eine ästhetische Wahl für einen ästhetischen Effekt. Ich glaube, dass diese Porträts mehrere Bedeutungen haben. Sie verändern sich je nach dem Interpretationskontext, in den sie gestellt werden. Ich glaube, dass die Kunst die Macht hat, eine neue Art und Weise zu entwickeln, die Welt zu lesen. Meine visuellen metaphorischen Darstellungen legen Schmerz und Trauer frei.

Nuno Silas, aus der Serie The Intensity of Identity, 2019-2020. Courtesy the artist.
Nuno Silas besucht derzeit den Masterstudiengang African Verbal and Visual Arts and Curatorial Studies an der Universität Bayreuth, wo er ein Stipendium der Calouste Gulbenkian Foundation, Portugal, erhält. In seinen Performances und Installationen erforscht er die physischen, psycho-geografischen und politischen Komponenten seines nomadischen Zustands. Instagram Facebook

Contemporary &

Dieses Interview erschien im Original auf englisch bei Contemporary &.

Blick Bassy

Der kamerunische Musiker Blick Bassy ist in aller Munde. Über sein politisches Engagement und seine metaphysische Musik.

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Fotografie

Osun Osogbo

Ọ̀sun Òṣogbo
von Adetolani Davies

Fotograf Adetolani Davies berichtet für akono mit Wort und Bild vom traditionellen Yoruba-Festival Ọ̀sun Òṣogbo, das jedes Jahr im August von tausenden Menschen gefeiert wird.

Das Ọ̀sun Òṣogbo ist ein jährliches Fest, das in der westnigerianischen Stadt Òṣogbo vom Yoruba-Volk des Staates Ọ̀sun veranstaltet wird. Es ist als das größte traditionelle Yoruba-Festival bekannt und zieht jedes Jahr im August weltweit Tausende von Zuschauer:innen und Gläubigen an. Es wird zu Ehren der Ọ̀sun gefeiert, einer Göttin der Weiblichkeit, Fruchtbarkeit, Spiritualität, der Emotionen, Sinnlichkeit, Fürsorge und Liebe. Ọ̀sun Òṣogbo ist ein zweiwöchiges Programm. Es beginnt mit der traditionellen Reinigung der Stadt namens „Iwopopo“, auf die nach drei Tagen das Anzünden der 500 Jahre alten Sechzehnspitzenlampe namens „Ina Olojumerindinlogun“ folgt. Dann folgt die „Iboriade“, eine Zusammenstellung der Kronen der früheren Herrscher und Ataojas von Òṣogbo, um die Gottheit um Segen zu bitten.

©Karma the Great / Adetolani Davies

Das Fest wurde vor etwa 600 Jahren von den Einheimischen der Gemeinde Òṣogbo ins Leben gerufen. Eine Begebenheit, die der Entstehung des Festes vorausging, besagt, dass einige Menschen in die Region Òṣogbo zogen und die Umgebung für die Besiedlung säuberten. Sobald sie damit begannen, wurden sie von einem Geist des Flussgottes Ọ̀sun vertrieben, woraufhin sich der Ort in eine heilige Kultstätte für die Anhänger verwandelte, und seither ist das Fest eine wichtige Tradition und Notwendigkeit im Yoruba-Land Òṣogbo.

©Karma the Great / Adetolani Davies

Für die Einheimischen bedeutet das Fest mehr als nur Feiern; es bedeutet Erneuerung des Glaubens, Schutz und Zuversicht, während einige andere es als Touristenattraktion betrachten. Das Fest wird von den traditionellen Gläubigen als ein Ort der spirituellen Wahrsagung und Lösung angesehen; die meisten Besucher sind Menschen, die eine Lösung für ihre jeweilige Notlage suchen, da die Göttin Ọ̀sun als mütterlich und barmherzig angesehen wird. Die Menschen erreichen den königlichen Palast mit Hoffnungen und Gebeten im Herzen, während ein ernannter Ausschuss von Priesterinnen die Menge auf einen ereignisreichen Marsch zur heiligen Grove vorbereitet – eine spirituelle Prozession, die ein energiegeladenes Spiel, Tanzen, Trommeln und traditionelle Lobreden umfasst, die sich über Stunden hinziehen können. Dieses Ritual wird von einer jungen königlichen Jungfrau namens ARUGBA angeführt – einem Teenager, der aus dem Geschlecht des Königs ausgewählt wurde. Sie ist dafür verantwortlich, ein Opfer auf dem Kopf zu tragen, das der Gottheit als Sühne dargebracht wird. Die ATAOJA von Òṣogbo und Yeye Òsun und ein Komitee von Priesterinnen weisen den Weg zum heiligen Hain, wobei sie alle von den Peitschenmännern namens OLORE geleitet werden. Sie gehen vom königlichen Palast zum heiligen Hain von Òsun, während die Menge ihnen folgt und ihre Probleme und Sorgen in die Kalebasse wirft, die von der königlichen Jungfrau getragen wird, denn sie hat die Rolle einer Vermittlerin zwischen der Gottheit und dem Volk übernommen.

©Karma the Great / Adetolani Davies

Sobald sie an der heiligen Rinne angekommen sind, gehen DER ARUGBA, YEYE ÒSUN und das Komitee der Priesterinnen hinein, um die notwendigen Rituale und Beschwichtigungen durchzuführen, und sobald die Rituale abgeschlossen und akzeptiert sind, grüßen alle die Flussgöttin und beglückwünschen sich selbst für den Erfolg und beten, dass sie alle das nächste Mal überleben; dann wird den Menschen erlaubt, das Flussufer zu betreten, um zu trinken, zu baden und das Wasser der Ọ̀sun mit nach Hause zu nehmen, und sie grüßen alle die Flussgöttin

Ore yé-yé o, Ore yé-yé Òsun!!!

Das bedeutet: „Die Güte der Mutter, die Güte der Òsun“
©Karma the Great / Adetolani Davies

Adetolani Davies ist Fotograf und lebt in Lagos. In seiner Arbeit sucht er nach Schönheit und Natürlichkeit und fängt dabei Menschen und Momente ungefiltert ein.
Karma the Great auf Instagram

Blick Bassy

Der kamerunische Musiker Blick Bassy ist in aller Munde. Über sein politisches Engagement und seine metaphysische Musik.

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Verschiedenes

Zeitalter der Träume

Das Zeitalter der Träume

Der nigerianische Maler E.D. Adegoke präsentiert derzeit in Lagos seine Ausstellung "The Age of Dreams". Im Gespräch mit Kuratorin Sabo Kpade erzählt er, was ihn in seinem künstlerischen Schaffen bewegt.

Nigeria ist die bevölkerungsreichste schwarze Nation der Erde. Adegokes Gemälde sind von der formalen Strenge der Porträtmalerei sowie von dem kreativen Wunsch geleitet, das "Schwarze" in den diskursiven Konjekturen der Kunstgeschichte weiter in den Vordergrund zu stellen. Sie tragen zweifellos dazu bei, die Geschichte der Transformationen in der zeitgenössischen nigerianischen Porträtmalerei zu stärken. Adegokes Gemälde funktionieren als ästhetische Strategien, die darauf abzielen, eine extreme Farbe und deren Wahrnehmung zu regulieren. Die Hyperschwärze wird als rhetorisches Mittel im Raum zwischen Realismus und Repräsentation eingesetzt. In Nigeria - wie auch auf dem gesamten afrikanischen Kontinent - werden die umstrittenen Konstruktionen von Macht und Machtausübung weniger entlang von Rasse und Hautfarbe, sondern vielmehr durch geschlechtliche und ethnische Unterschiede bestimmt. Auch ohne die Reibung und das Gewicht rassenbasierter Ideologien im globalen Norden behalten Adegokes hyperschwarze Figuren die Dringlichkeit und Bedeutung in Bezug auf Selbstwertgefühl und Selbstbestimmung, indem sie gängige Vorstellungen von Schönheit, Geschlecht und Identität in Frage stellen.

Was ist Ihr Ausgangspunkt für die Malerei? Ist es eine Stimmung, eine Geste, eine Komposition oder ein Blick?

Als ich mit dieser Serie begann, habe ich mir tatsächlich Titel und Themen ausgedacht, die ich mit jedem Werk behandeln wollte. Ich habe so angefangen, wie ich es immer tue: Ich skizziere, ich male. Ich bin ein schneller Künstler, ich arbeite schnell. Deshalb arbeite ich auch mit Acryl als Medium. Was die Stimmung angeht, so bin ich beim Malen immer glücklich. Selbst wenn ich viel um die Ohren habe, ist das Malen eher wie eine Therapie. Malen ist eine Therapie. Die Kunst an sich ist eine Therapie. Und ich glaube, dass alle Künstler so sind, denn sie machen den Kopf frei. Es ist etwas, das man mit Freude und Glück tut. Ganz gleich, wie schwer dein Herz ist. Wenn man etwas schafft, ist es, als wäre man ein Gott in seiner eigenen Welt. Das ist das Gefühl. Was die Komposition und den Blick angeht, so hat Kunst etwas für sich. In Yoruba sagen wir, dass Kunst ise oluwa ist, was bedeutet „Kunst ist das Werk Gottes“. Es ist ein Prozess, bei dem man an einem bestimmten Punkt an Gott glauben muss. Hier spreche ich allerdings für mich. Jedes Mal, wenn ich male, weiß ich wirklich nicht, wie es am Ende aussehen wird. Ich bin diese Art von Künstler. Ich habe einfach angefangen zu kreieren, zu dekorieren und zu dekorieren. Sie sehen die Blumen auf Werken wie Sisi Eko, den Hintergrund, die Muster, die Flora und Fauna: Die sind für mich eher ein Freestyle. Ich weiß wirklich nicht, was ich malen will. Ich habe gerade erst angefangen zu dekorieren. Ich denke nicht immer, dass mein Motiv so aussehen muss wie die Vorlage. Das ist mir völlig egal.
The Age of Dreams Exhibition, Courtesy of the artist E.D. Adegoke

Wie viel Improvisation findet beim Malen statt? Unterscheidet sich das endgültige Werk stark von dem, was sie sich ausgedacht haben?

Wie ich schon sagte, ist Malen für mich ise oluwa. Das Ergebnis eines Gemäldes kann sich von dem unterscheiden, was ich mir vorgestellt habe, aber ich versuche immer noch, mich an die Handlung des Bildes zu halten. Ich achte immer noch darauf, dass das Ergebnis nicht außerhalb meiner Ausdrucksmöglichkeiten liegt. Das Bild muss zu dem passen, was man ausdrücken will. Das ist genau die Art, wie ich male. Verstehen Sie, was ich sagen will? Ich habe keine perfekte Vorstellung davon, wie ein Werk aussehen soll.

Gehen Sie davon aus, dass Sie das Leben und die Persönlichkeit einer Figur genau kennen, oder ist es einfacher, sie als Fremde zu betrachten? Inwieweit beeinflusst diese imaginäre Arbeit die endgültigen Werke?

Meine Bilder haben nichts mit dem wirklichen Leben zu tun. Es ist einfacher für mich, sie als Fremde zu betrachten. Ich stelle sie einfach in mein Werk und kenne sie nicht. Ich male kaum Menschen, die man erkennen kann. Ich beziehe meine Bilder aus dem Internet, und manchmal können sie imaginär sein. Es ist viel einfacher für mich, Menschen zu malen. Ich bin an Menschen gewöhnt. Ich verbinde dann meine eigene Geschichte mit dieser Person, dieser Figur. Ich gebe ihnen eine Identität, eine Erfahrung. So erwecke ich die Kunst zum Leben.

Denken Sie oft an die Körperlichkeit der Farbe? Beschreiben Sie bitte, was dies für Sie bedeutet.

Ich denke an die Körperlichkeit der Farbe in dem Sinne, wie ich meine Bilder darstellen möchte. Allerdings möchte ich manchmal absichtlich nicht, dass sich das Oval (der Rahmen) in der Mitte befindet.
Manchmal möchte ich es in der Nähe der Ecke, in der Nähe der linken Seite, in der Nähe des oberen Randes oder in der Nähe des unteren Randes haben. Mein Hauptziel ist es, dass das Oval, egal wie ich die Figur darstelle, das Thema tiefgründig zur Geltung bringt.

Die eine Gruppe von Porträtbildern ist weniger dekorativ als die andere, weniger idyllisch als die andere. Wie unterscheiden Sie diese beiden Werkgruppen: thematisch oder philosophisch?

Nehmen Sie zum Beispiel meine älteren Arbeiten aus der Serie Black Mereki: Das Konzept dieser Arbeit ist ganz anders, was wohl bedeutet, dass ich mich weiterentwickle. Es ist eine fortlaufende Geschichte über Rassismus und ein besseres Leben für Schwarze: die Überlebensmechanismen für Schwarze, denn die Geschichte hat sich noch nicht geändert. Auf den kleineren Werken ist die afrikanische Landkarte zu sehen. Sie ist immer in Rot gehalten. Sie dient dazu, das afrikanische Volk zu würdigen. Das ist der Hauptzweck der Arbeiten, während die neueren, dekorativen Werke im Kern persönliche Geschichten erzählen. Es gibt eine Entwicklung in der Praxis eines Künstlers, aber es ist ein allmählicher Prozess.

Auf welche Porträtmaler aus der nigerianischen und anderen Kunstgeschichte greifen Sie zurück?

Einige sind meine Kollegen wie der nigerianische Maler Eniwaye Oluwaseyi. Ich bin ein großer Fan von Gustavo de Nazereno, dem brasilianischen Künstler. Mir gefällt die Art und Weise, wie er Schwarze in seinen Werken darstellt. Er ist ein weißer brasilianischer Künstler, aber er praktiziert Spiritualität, und er tut es mit seinem Herzen. Er stellt Eshu, die Yoruba-Gottheit, in menschlicher Gestalt dar.

Die von Ihnen gemalten Figuren sind stolz, würdevoll oder selbstbewusst. Im Westen würde man sie als Korrektiv zu wenig schmeichelhaften Klischees über das Selbstwertgefühl und das sozioökonomische Wohlergehen von Schwarzen betrachten. Sind Ihre Bilder in irgendeiner Weise korrigierend? Ist es möglich, dass die genannten Qualitäten auch ohne rassistischen Kontext existieren und rassisch motivierten Kontext?

Als Panafrikanist und Förderer der afrikanischen Kultur und Tradition glaube ich daran, unsere Geschichten neu zu schreiben. Wir wurden (in unserer jüngeren Weltgeschichte) durch Religion, Rassismus und all das auf sehr, sehr abwertende Weise dargestellt. Ich versuche, Schwarze Menschen, meine Menschen, in meiner Arbeit zu fördern. Das ist es, was mir am Herzen liegt: die Förderung von Selbstwertgefühl, Black Power, Black Lives Matter und all dem in meiner Malerei.
Wenn in Afrika genau hinsieht, haben wir neben dem Rassismus auch noch unsere eigenen Probleme. Es gibt auch den Kolorismus. Laut der Weltgesundheitsorganisation bleichen vierzig Prozent der afrikanischen Frauen ihre Haut. Das liegt daran, dass selbst afrikanische Mitbürger ihren Körper und ihre Hautfarbe beschimpfen, weil sie zu schwarz sind, als ob das ein ekelhaftes Merkmal wäre. Das sind meine Schmerzen. Das sind die Dinge, die ich mit meinem Herzen zu ändern bereit bin. Deshalb verwende ich sehr, sehr schwarze Figuren in meinen Gemälden.

E.D. Adegoke "Sisi Èko" Acrylic on canvas. Courtesy of the artist

Ihre hyperschwarzen Figuren zielen also darauf ab, einen lang gehegten Irrtum zu korrigieren, was eine Form von Aktivismus ist. Sehen Sie sich selbst als Aktivisten-Maler?

In meiner Anfangszeit als Künstler bei der Kuta Art Foundation (Ogun State) basierten alle meine Arbeiten auf politischer Malerei und religiöser Bigotterie. Ich möchte nur, dass meine Arbeit verständlich ist. Ich möchte, dass meine Arbeit den Menschen näher ist. Ich möchte, dass sie sie verstehen. Ich möchte nicht, dass meine Kunst sperrig ist. Ich möchte, dass sie das Werk sehen und die Botschaft mit nur drei Farbstrichen verstehen können. Das ist es, was ich über die Entwicklung gesagt habe. Selbst in meinen Artikeln, die ich für Zeitschriften wie Sahara Reporters und Opinion Nigeria veröffentlicht habe, habe ich über Menschenrechte und bürgerliche Freiheiten gesprochen. All dies, einschließlich der Kunst, die ich mache, ist mein Beitrag zum Kampf.

Waren die #endsars Proteste von 2020 gegen staatlich sanktionierte Gewalt und Einkommensungleichheit ein Misserfolg oder ein Erfolg?

Das ist keine Aufgabe für einen einzigen Tag. Es ist nicht die Aufgabe eines einzelnen Mannes. Proteste sind nicht immer erfolgreich. Niemand mag Protest. Schauen Sie sich die Geschichte des Protests überall an. Es gibt immer Schmerz. Es gibt immer Kämpfe. Es gibt immer Blutvergießen. Er bringt immer „Kummer, Tränen und Blut“. Das ist das Markenzeichen der Proteste. Sie richten sich gegen die Tyrannei. Das ist nicht leicht. Der Kampf für Veränderung, für Gleichheit, ist die Arbeit für alle. Es macht keinen Sinn, wenn einige Menschen ihr Leben riskieren und auf die Straße gehen, um zu protestieren, während andere zu Hause sitzen und Big Brother schauen. Das macht keinen Sinn. Schauen Sie sich einige der so genannten Aktivisten an, wo sie angefangen haben und wo sie jetzt sind, nur weil sie Proteste organisiert haben. Viele von ihnen sollten hier in Nigeria im Gefängnis sitzen. Sie haben eine Menge Geld mit diesen Protesten verdient. Ich kann aber nicht einfach ihre Namen nennen. Manche Leute bleiben zu Hause und sagen, dass sie sie auf Twitter und Instagram unterstützen. So wird es nicht funktionieren. Ein Land kann nicht völlig frei von Armut sein, aber es kann besser werden.

Bleiben Sie in naher Zukunft der Porträt- und Figurenmalerei verpflichtet? Oder sehen Sie in der Abstraktion eine neue Herausforderung oder ein neues Interessengebiet?

Die Verwendung des Porträts in meiner Arbeit bedeutet mir sehr viel, weil meine Arbeit viel mit Menschen und Menschlichkeit zu tun hat. Ich muss also Menschen malen. Das ist etwas, von dem ich mit Bestimmtheit sagen kann, dass ich es auch in den kommenden Jahren immer wieder tun werde. Ich werde mich auf jeden Fall weiterentwickeln, denn in der Kunst geht es darum, sich weiterzuentwickeln. Das Gleiche gilt für die Technologie und die Zivilisation. Ich möchte mich also auf jeden Fall in der Kunst weiterentwickeln und trotzdem an diesem Muster der Kunst festhalten. Dies ist eine Darstellung dessen, was ich bin. Das ist mein wahres Ich.

E.D. Adegoke: Native Son. Mixed media on canvas 2021. Courtesy of the artist

Sie haben an der Universität Darstellende Kunst und nicht Bildende Kunst studiert. Sind Sie als Künstler Autodidakt?

Ich bin nicht völlig autodidaktisch. In meinem ersten und zweiten Studienjahr habe ich Bühnenbilder für Theaterproduktionen wie Orisa Ibeji von Ahmed Yerima, The Gods Are Not To Blame von Ola Rotimi, Kongi Harvest von Wole Soyinka und Death And The King’s Horseman entworfen. Ich habe es nur aus Spaß gemacht. Ich wünschte, ich hätte noch Fotos aus dieser Zeit. Ich dachte nicht daran, ein Portfolio oder einen Lebenslauf zu haben. Ich habe einfach Kunst gemacht, weil es mir Spaß gemacht hat. Nach der Schule ging ich 2018/19 nach Kuta, wo uns Kunst als Beruf beigebracht wurde. Damals begann ich, mich auf die Malerei als Beruf zu konzentrieren. Es gab kein Zertifikat, aber es war ein Kurs, der von Fachleuten mit Meistertiteln in Kunst unterrichtet wurde. Sie waren in ihren 30ern, also war es alles in allem immer noch eine Zusammenkunft junger Leute. Eine andere Person, die mir beigebracht hat, wie man Kunst macht, ist ein Absolvent der Auchi Polytechnic (Edo State, Nigeria). Er hat aufgehört und macht jetzt nur noch Tischlerarbeiten. Das macht mich traurig, denn er ist jemand, dessen Kunst ich sehr, sehr liebe.

Woran erinnern Sie sich, dass Sie während Ihrer Zeit als "Bühnenmaler" etwas über die praktischen Aspekte der Malerei gelernt haben? War es der Umgang mit großen Maßstäben oder Oberflächen?

Ja. Es war eine ernsthafte Arbeit. Ich bekam sogar Geld, um die Farbe zu kaufen, und ich hatte einige Assistenten. Das hat mir den Mut gegeben, auf großen Flächen zu arbeiten. Das war eine wilde Erfahrung für mich. Es hat Spaß gemacht. Das ist alles, was ich sagen kann.

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Musik

All Over The Place – Afrofuturismus

All Over The Place : Afrofuturismus
von AGYENA und Jona Krützfeld

Afrofuturismus is back!

Die popkulturelle Strömung, die in den afro-amerikanischen Communities der 1950er Jahre als künstlerische Antwort auf Rassismus und Diskriminierung entstand, wird heute von Kreativen aus Afrika und der Diaspora wiederbelebt, auch, weil viele Probleme der damaligen Zeit weiter fortbestehen. Was genau verbirgt sich eigentlich hinter diesem Begriff und wodurch unterscheidet sich Afrofuturismus von African Futurism?
akono Verlegerin Jona war zu Gast in AGYENAs Show All Over the Place bei Refuge Worldwide Radio und durfte mit ihm in lockerem Ambiente über die afrofuturistische Vision einer hoffnungsvolleren Zukunft sprechen. DJ AGYENA erzählt von seinem eigenen Take auf das Thema und steuert afro-futuristische Musik bei.

Linkliste

AGYENA

Ted Talk von Kanuri Wahiu

Pumzi von Kanuri Wahiu

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Literatur

Die Frauen von Salaga

Die Frauen von Salaga
von Alessandra Bassey

Die junge ghanaische Schriftstellerin Ayesha Harruna Attah lässt in ihrem Roman eine Zeit, in der die Geschichtsbücher hauptsächlich von der wirtschaftlichen und politischen Expansion der europäischen Kolonialmächte in Westafrika berichten, in der Perspektive zweier sehr ungleicher afrikanischer Frauen lebendig werden.

Die Frauen von Salaga erzählt die Geschichte von zwei Frauen, die im vorkolonialen Ghana aus sehr unterschiedlichen Welten kommen. Aminah, die mit ihrer Familie ein ruhiges und friedliches Leben führt, sieht ihr Leben brutal zerstört, als Sklavenräuber ihr Dorf niederbrennen und sie und einige ihrer Familienmitglieder in die Sklaverei zwingen. Wurche, die Tochter eines einflussreichen Chiefs, kämpft mit den geschlechtsspezifischen Rollen und Bräuchen ihrer Gesellschaft und erkämpft sich tapfer eine gewisse persönliche Unabhängigkeit und Einflussnahme. Die Lebenswege dieser beiden sehr unterschiedlichen Frauen kreuzen sich und verschmelzen auf dem Höhepunkt des Sklavenhandels zu einem, während sich ihre Schicksale und ihre Zukunft miteinander verweben.

Der Roman erforscht nicht nur die Rolle der Frau in den traditionellen afrikanischen Gesellschaften und Kulturen, sondern legt auch die Realität des afrikanischen Alltags während des Sklavenhandels und des Wettlaufs um Afrika offen. Er beleuchtet das Innenleben von Herrscherhäusern und traditionell regierten Gemeinschaften und scheut sich nicht, das vieldiskutierte Thema der Beteiligung von Afrikaner:innen am Verkauf von afrikanischen Mitbürgern an weiße Sklavenhändler anzusprechen.

Ayesha Harruna Attah, © Pierre Poncelet

Auch wenn es sich um einen fiktiven Bericht handelt, ist Ayesha Harruna Attahs Buch eine Pflichtlektüre für jedermann, und es scheint, dass vor allem Afrikaner:innen in der Diaspora von der Lektüre dieses Romans profitieren können, da er mit dem oft verbreiteten Irrglauben aufräumt, Afrikaner:innen hätten ihre afrikanischen Mitbürger ohne weiteres an europäische Sklavenhändler verkauft. Insbesondere Moros Geschichte wirft ein wichtiges Licht auf die Rolle der Afrikaner:innen im Sklavenhandel, denn sie erzählt, wie er zu einem gefürchteten Sklavenjäger wurde.

Während Attahs Epos zeitlich und geografisch weniger weit reicht, erinnerte mich Die Frauen von Salaga unweigerlich an den populären Roman Heimkehren von Yaa Gyasi, in dem sie die Geschichte zweier Halbschwestern erzählt, deren Leben nicht unterschiedlicher hätten sein können, deren Vermächtnisse sich aber schließlich vermischen. Beide Romane spielen in Ghana und drehen sich um zwei Frauen, deren Schicksale und Entscheidungen die Zukunft der kommenden Generationen beeinflussen, und beide erforschen die Folgen der Sklaverei in den folgenden Jahrzehnten. Gyasis Geschichte hat sicherlich große Popularität erlangt, und obwohl ich sie gerne gelesen habe, fand ich einige der Geschichten übereilt und das Ende ein wenig zu bequem. Ich finde Attahs Auseinandersetzung mit den Folgen der Sklaverei und der europäischen Kriegstreiberei viel gelungener als die von Gyasi.

Die Frauen von Salaga passt weniger in das Genre der ‚populären Fiktion‘ als Heimkehren, und es umgeht geschickt die Blockbuster-Plot-Twists oder voyeuristische Perspektiven und konzentriert sich stattdessen auf die Tiefe der einzelnen Charaktere, ihre Leben und Schicksale. Ich kann zwar verstehen, warum Heimkehren so populär geworden ist, aber Die Frauen von Salaga behandelt viele der gleichen Themen auf eine viel nuanciertere Weise.

Literandra

Diese Besprechung erschien im englischen Original bei Literandra, einer gemeinnützigen digitalen Plattform, die literarische Kunstformen, die vom afrikanischen Kontinent ausgehen, vorstellt und zelebriert.
Ayesha Harruna Attahs schriftstellerisches Können ist unbestreitbar. Auf meisterhafte Weise verwebt sie universelle Geschichten über Geschlecht, Liebe, Vergebung, Verständnis, Freiheit und Gerechtigkeit mit dem dichten, aber zarten Gewebe der afrikanischen Geschichte.

Ayesha Harruna Attah ist die Autorin von fünf Romanen. Sie wurde in Ghana geboren und lebt derzeit im Senegal. Sie liebt es, zu kochen, Grüntee-Eis zu essen und auf den Ozean zu blicken.
Ayesha studierte am Mount Holyoke College, an der Columbia University und an der NYU und hat Abschlüsse in Biochemie, Journalismus und kreativem Schreiben. Sie war 2015 Preisträgerin des Africa Centre Artists in Residency Award und Sacatar-Stipendiatin und erhielt 2016 das Stipendium der Miles Morland Foundation für Sachbücher.

Die Frauen von Salaga, Diana Verlag.

Blick Bassy

Der kamerunische Musiker Blick Bassy ist in aller Munde. Über sein politisches Engagement und seine metaphysische Musik.

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Musik

Sun-el Musician

Sun-el Musician zieht in die
Welt und noch weiter
von Nadia Neophytou

Vor dreizehn Jahren verließ Sun-El Musician seine Heimat in den Midlands von KwaZulu Natal und brach sein Studium ab, um nach Joburg zu ziehen und einen Traum zu verfolgen, der sich mit To the World & Beyond, dem mit Spannung erwarteten Nachfolger seines Debütalbums, nun weiter verwirklicht.
Fast hätte Sun-El Musician den Song gar nicht veröffentlicht, der ihm einen Namen in der südafrikanischen Dance-Musik Szene verschafft hat. Er schickte „Akanamali“ an drei verschiedene Toningenieure und hatte immer noch nicht das Gefühl, dass der Song das Licht der Welt erblicken könne. Der Song, in dem es darum geht, pleite zu sein, lag vier Monate lang auf seinem Laptop herum, bevor sein jüngerer Bruder Sandile ihn ermutigte, die Sache doch noch einmal zu überdenken und den Track zu veröffentlichen.

„Wenn es nach mir ginge, hätte ich ‚Akanamali‘ nicht veröffentlicht“, sagt Sun-El, der eigentlich Sanele Sithole heißt. „Ich hätte gewollt, dass es besonders perfekt ist. Ich weiß nicht mehr, was das bedeutet, aber sobald man einen Song anfasst, hat man das Gefühl, dass man es besser machen könnte.“ Glücklicherweise ließ Sun-El den Song 2017 mit einem kleinen Schubs seines Bruders in die Welt hinaus, um seine Magie zu entfalten, was ihm neben einem Namen in der SZene auch drei südafrikanische Musikpreise einbrachte, darunter einen für die beste Zusammenarbeit mit Samthing Soweto.

Sun-Els Ruf wurde durch die jahrelange Zusammenarbeit mit Demor Skhosana geprägt, der ihm den Einstieg in die Branche ermöglichte, und durch die Produktion von Tracks für Künstler wie Thiwe, Zakes Bantwini und Shota. Der Autodidakt Sun-El hat alles, was er gelernt hat, in sein eigenes Label El World Music gesteckt, zu dem auch Simmy und S-Tone gehören, die beide auf seinem Debütalbum Africa to the World vertreten sind. Gleichzeitig hat er sich mit der Künstlerentwicklungsfirma Platoon zusammengetan, um die Reichweite seiner Musik zu erhöhen.

Trotz der idealistischen Tendenzen, die der 31-jährige Produzent für sein Schaffen hegt, funktioniert Sun-El am besten, wenn er anderen die Möglichkeit gibt, seine Songs zu hören und Feedback dazu zu bekommen. „Ich bin so ein Perfektionist, und wenn ich mit einem Song fertig bin, dann bin ich nie fertig“, sagt er. „Man kann nie 100 Prozent erreichen. Aber jetzt habe ich meinen Frieden damit gemacht.“ In den Jahren seit der Veröffentlichung seines Debütalbums hat Sun-El gelernt, seinen Wunsch, die bestmögliche Musik zu machen, anzuerkennen, aber auch darauf zu vertrauen, dass er sie loslassen kann, wenn er alles gegeben hat.

Jetzt, wo er sein zweites Album, To The World and Beyond, in die Umlaufbahn schickt, bereitet er sich auf das entscheidende Feedback vor, das ihm helfen wird, seine Musik so zu sehen, wie andere es tun. Diesmal gibt es zwei Platten mit jeweils 15 Tracks – und reichlich Gelegenheit für ihn, sich im Loslassen zu üben, während die Fans seinen gefühlvollen Mix aus Afro-Elektro-Beats und Percussion mit erhebendem, herzerweiterndem Gesang genießen.

Im Interview sprach er mit Nadia Neophytou über die Entstehung des Albums.

Dein erstes Album trug den 'Titel Africa to the World' und jetzt bringst du 'To the World and Beyond' heraus. Ich kann mir vorstellen, dass sich die Umstände für die Aufnahme des neuen Albums stark verändert haben - was hat sich im Vergleich zum ersten Album geändert und was nicht?

Zunächst einmal ist die Ausrüstung, die ich benutze, anders. Sie ist ein bisschen besser. Ich bin in einen anderen Raum umgezogen, wo es etwas ruhiger ist als dort, wo ich war. Ich vermisse den alten Raum, in dem es nur Lärm und Leute gab, die sich bewegten, eine Menge Leute, die herumwuselten. Das wirkt sich natürlich auch auf die Platte aus. Das Intro der Kinder auf Africa to the World, dem ersten Album, sind im Grunde die Kinder, die vor dem Ort spielten, an dem ich arbeitete. Also wollte ich das irgendwie nachahmen und in die Geschichte des Albums einbauen. Mit Africa to the World habe ich versucht, anderen afrikanischen Ländern südafrikanische Geschichten zu erzählen, und jetzt habe ich zum Glück ihre Aufmerksamkeit bekommen und erzähle afrikanische Geschichten für den Rest der Welt.

Du hast es geschafft, all diese verschiedenen Stimmen für deine Songs zu finden - manche sind bekannt, andere nicht. Du hast eine unglaubliche Bandbreite an Stimmen auf dem Album. Jede einzelne kommt zum Vorschein. Wie funktioniert das für dich? Hörst du jemanden und denkst: "Ich möchte mit ihm an einem Song arbeiten"?

Das ist bei jedem Künstler, mit dem ich zusammenarbeite, anders. Bei bestimmten Künstlern bin ich ein Fan ihrer Arbeit, wie zum Beispiel bei Msaki. Ich habe ihre Stimme und ihre Arbeit immer geliebt. Als sie mit der Arbeit [an „Ubomi Abumanga“] begann, war es… nicht so einfach. Wir waren uns nicht sicher, was die Platte angeht. Wir beide verließen das Studio und sagten: ‚Eish, ich weiß nicht, wir müssen bestimmt zurückkommen und ein paar Sachen neu aufnehmen‘, aber dann drehten alle um uns herum vor Begeisterung durch, und dann dachte ich: ‚Okay, ich schätze, wir sind einfach Perfektionisten‘. Bei anderen Künstlern habe ich nie Beats entworfen. Es ist so schwer für mich, Beats für andere zu machen. Ich kreiere lieber mit Leuten zusammen, gehe durch Samples, Kicks, was auch immer für einen Sound. Das ist sehr experimentell, aber es ist wunderschön. Ich weiß nie genau, wen ich auf der Platte haben will, aber die Leute präsentieren sich einfach auf eine sehr schöne Art und Weise, die wir nicht geplant haben, und die Platte fügt sich einfach gut zusammen. Es ist nie super geplant, es passiert einfach natürlich.

Wollten bei deinem neuen Album mehr Leute mit dir arbeiten, als du es vielleicht beim ersten Album wolltest?

Niemand hat meine Vision wirklich verstanden, ich will es mal so sagen. Am Anfang war ich noch neu. Die Leute lieben Marken. Sie wollen mit jemandem arbeiten, der bereits etabliert ist. Ich habe versucht, Kontakte zu knüpfen, aber ich konnte nicht. Es war ein Segen, weil ich mit neuen Stimmen arbeiten und neue Geschichten erzählen konnte. Und das ist einfach wunderschön. Und jetzt gibt es Leute, die versuchen, mit mir zu arbeiten, aber es gibt auch Leute, die mich schon beim ersten Album angesprochen haben, und so dachte ich mir: ‚Okay, ich werde mit denen arbeiten, die mich zuerst angesprochen haben‘, und mit denen, die mich jetzt ansprechen, werde ich dann bei meinem nächsten Projekt zusammenarbeiten.

Du hast erwähnt, dass du dir bei "Ubomi Abumanga" anfangs nicht sicher warst...

Das ist verrückt! Ich schätze, man weiß es nie. Wenn man mittendrin ist, kann man wirklich nicht sagen, was eigentlich gerade passiert und wie schön der Song ist, aber die Leute um einen herum helfen einem dabei und fangen an, einem zu sagen ‚Hey, diese Platte ist wunderschön‘, ’sie hat mein Leben verändert‘ und all die schönen Geschichten, die ich höre.

Hattest du das gleich Gefühl bei “Akanamali”?

Ganz bestimmt, ja. Das war’s für mich. Normalerweise sind es Songs, die ich wirklich liebe, mit denen die Leute nichts anfangen können. Ich weiß nicht, wie das geht, aber bei Songs, bei denen ich sage: ‚Ähm, ja… das ist cool… was denkst du?‘, sind sie einfach verrückt danach. Ich sage dann, ‚okay.‘ Ich bin froh, dass es so ist. Ich will nicht wissen, wann ich einen guten Song gemacht habe. Es ist großartig, es ist ein tolles Gefühl. Ich erlebe es auf eine neue Art und Weise, nach dem Feedback. Ich bin froh darüber, denn ich glaube ansonsten wäre ich super arrogant und würde denken, ich würde die Welt regieren.

Du hast an zwei Songs mit der ehemaligen The Voice-Teilnehmerin, der Sängerin Ami Faku, gearbeitet, einer davon ist die Single "Mandinaye" - wie kam es dazu?

Wir haben beide Songs innerhalb von vier Stunden geschaffen. Wir begannen mit „Mandinaye“ und danach mit „Goduka“. Bei „Mandinaye“ habe ich sie gebeten: „Schreib einfach über alles, was du gerade fühlst“. Ich habe noch nie ein Liebeslied gemacht, denn „Mandinaye“ ist ein Liebeslied. Ich dachte: ‚Äh, ich weiß nicht‘, aber dann hat es einfach funktioniert. Die Melodien, die Art, wie sie es gesungen hat, gefielen mir sehr, sehr gut, und ich dachte: ‚Okay, das ist schön.‘ Ich wollte einfach eine Dance-Platte machen, weil ich viele Down- und Mid-Tempo-Songs gemacht habe. Bei diesem Song bin ich einfach Samples durchgegangen, und sie hat sich für eines entschieden, das ein super Hip-Hop-Sample ist, und ich habe es gestreckt, damit es zum Dance-Vibe passt.
Sowas verdanke ich aber auch meinem jüngeren Bruder, der immer dabei ist. Er ist eher ein A&R-Typ. Er ist immer auf der Suche und schaut sich an, was es Neues gibt. Denn ich bin die meiste Zeit im Studio eingesperrt und mache Beats. Also ist er immer derjenige, der mich auf neue Sängerinnen und Sänger aufmerksam macht. Ich mochte Ami wirklich. Als sie vorbei kam, war sie etwas verängstigt. Ich fing also an, den Track zu singen, und sie sagte: ‚Wenn du das kannst, kann ich das auch‘, ich musste also einfach ihr Selbstvertrauen herauslocken.

Dein Bruder hat deine Karriere maßgeblich beeinflusst - hat er dich dazu gedrängt, "Akanamali" zu veröffentlichen?

Ja – sogar mit den Samples, die ich hier habe, denn er liebt Hip-Hop. Ich erinnere mich, als ich damals, vor vielleicht vier oder fünf Jahren, an Musik gearbeitet habe, habe ich zwar komponiert, Klavier gespielt, Schlagzeug und Bass gemacht, aber dann kam er ständig mit neuen Sounds und ich dachte: ‚Wie machst du das?‘ Und dann hat er mir gezeigt, dass er sampelt, und ich habe angefangen, das in meine Tanzmusik einzubauen… Sogar den Namen Sun-El Musician hat er sich ausgedacht. Er sagte: ‚Du bist nicht nur ein DJ, du bist nicht nur ein Produzent, du bist nicht nur ein Sänger‘ – ich habe dahingehend gar nicht so viel Selbstbewusstsein, aber ich schicke gerne Leitfäden an Künstler – und er meinte: ‚Alter, du kannst dich auch einfach Musiker nennen‘, und ja, so hat er die ganze Sache beeinflusst.

Was bedeutet es, deine Musik in die Welt und darüber hinaus zu tragen, vor allem jetzt, wo es so viel Interesse an afrikanischer Musik gibt?

Das Interesse daran gab es schon immer. Bei der Entwicklung meines Sounds habe ich folgendes getan: Ich habe viel recherchiert, ich habe mich mit Geschichte beschäftigt, mit afrikanischer Musik, Fela Kuti, um genau zu sein, das war eine Person, die ich immer wieder gesehen habe, wenn ich gegoogelt habe und auf YouTube. Aber um es wirklich zu verstehen, habe ich mich gefragt, warum er im Westen nicht gespielt wird, obwohl er so populär ist. Sie gehen zu seinen Konzerten, aber sie spielen ihn nicht im Radio. Ich habe mich gefragt: Wo ist das Problem? Ich habe mir eines seiner Interviews angesehen, und da hieß es, seine Songs seien zu lang, was ich verstehen kann. Ich verstehe, wenn der Applaus eine Minute lang geht und der Gesang erst nach 2 Minuten und 30 Sekunden einsetzt, das das schwierig ist fürs Radio. So ist die afrikanische Musik, eben spirituell, man kann nicht immer nur gedankenlos in sie eintauchen. Also dachte ich mir: ‚Cool, was kann ich tun, damit der Westen versteht, was wir machen, aber das Gefühl und die Spiritualität der Musik nicht verliert?‘ Das hat mir wirklich geholfen, denn ich wusste, dass man Fela damals wirklich geliebt habt, er war populär, aber das hat mir wirklich geholfen, den Sound und den Titel zu finden… Viele Afrikaner, wir, wir warten darauf, dass jemand kommt und Musik von uns aufnimmt. Ich dachte mir: ‚Nein, lass mich diesen Jungs auf halbem Weg entgegenkommen, lass mich den Titel genau so verwenden, wie ich ihn verstanden haben will.‘

Einer deiner Tracks heißt "Proud of You". Kannst du stolz auf das sein, was du bisher erreicht hast?

Ich bin ein Träumer. Ich bin immer auf der Suche nach etwas Neuem und Aufregendem. Aber ich lerne jetzt, das zu akzeptieren, was ich habe, und die Sounds. Wenn ich mit einer Platte fertig bin, brauche ich das Feedback der Leute zu den Songs, dann verliebe ich mich wieder in sie. Ich verliere die Liebe, weil es zu technisch wird – der Bass, die Stimme, dies, das – bis die Leute auf mich zukommen und [ich lese] die Nachrichten, die ich in den sozialen Netzwerken bekomme, dann verliebe ich mich wieder in den Song. So bin ich nun mal. Aber ich bin froh, wirklich froh, dass ich nicht in der Lage bin, meine Songs so sehr zu lieben. Ich glaube, dann wäre ich super arrogant und würde die Leute für selbstverständlich halten. Ich brauche das Feedback, damit sich der Kreis schließt.
Nadia Neophytou ist eine südafrikanische Journalistin, die in New York lebt.
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Blick Bassy

Der kamerunische Musiker Blick Bassy ist in aller Munde. Über sein politisches Engagement und seine metaphysische Musik.

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Konfrontation mit der Waffe Fotografie

Konfrontation mit der Waffe Fotografie
Interview mit Maaza Mengiste - von Zachary Rosen

Vom imperialen Erbe der Kamera und der erzählerischen Kraft von Wort und Bild.

Mit der Etablierung der Fotografie in den 1830er Jahren übernahmen diejenigen, die diese dunkle Bilderzeugungsmaschine – die Kamera – und ihre Fotos kontrollierten, den imperialen Anspruch auf das Monopol auf Wahrheit und Geschichte. Doch wie die Fotografietheoretikerin Ariella Azoulay darlegt, umfasst das Anfertigen einer Fotografie mehr als nur den Fotografen und die Kamera; vielmehr sind auch die Fotografierten und später die Betrachtenden der Bilder Teil der sozialen Bedeutungen, die durch das Urteil des Auslösers geschmiedet werden.
Diese umfassendere Konzeptualisierung fotografischer Bilder und der Geschichten, in die sie eingebettet sind, entrückt den dominanten Blick der Fotografierenden und schafft Raum für alternative Geschichten, Erinnerungen und Erzählungen.

In diesem Sinne der Verunsicherung der europäischen Konfliktgeschichtsschreibung setzt sich Maaza Mengistes gefeierter zweiter Roman Der Schattenkönig mit dem Zweiten Italo-Äthiopischen Krieg der späten 1930er Jahre auseinander. Anstatt sich nur auf die wichtigsten Ereignisse und Darstellungen des Krieges zu konzentrieren, verlässt Mengiste den traditionellen historischen Rahmen des Schlachtfelds, und entführt die Leser:innen in die persönlichen, ja intimen Lebensbereiche ihrer Figuren, von denen jede einen anderen Blickwinkel auf die Invasion hat. Bei der Entfaltung der Geschichte schöpft sie aus den Schatten der alltäglichen und außergewöhnlichen Kämpfe, die an den Fronten von Klasse, Religion, Geschlecht und Körper im Lichte der Fotografie ausgetragen werden.

Um das Gespenst der Fotografie in Der Schattenkönig zu beleuchten, das sich auf vielfältige Weise mit diesen anderen Themen überschneidet, sprach Mengiste mit Africa is a Country über das imperiale Erbe der Kamera, über Formen des Widerstands gegen den kolonialen Blick, über die Unterschiede in der erzählerischen Kraft von Worten und Bildern und über ihre neue bildorientierte Archivinitiative – Projekt 3541.

ZR: Die Fotografie ist einer der Fäden, die sich durch die Erzählung von "Der Schattenkönig" ziehen. Es gibt eine Figur, die eine Kamera benutzt, aber Anspielungen auf die Geschichte und Philosophie der Fotografie sind in der Geschichte zahlreich und weitreichend. Hatten Sie die Fotografie als ein Schlüsselelement geplant, als Sie mit dem Schreiben begannen, oder hat sich das erst im Laufe der Geschichte ergeben?

MM: Darüber muss ich nachdenken. Diese endgültige Version des veröffentlichten Buches war nicht der Entwurf, den ich ursprünglich geschrieben hatte; den habe ich verworfen. Und in diesem Entwurf war wirklich nichts über Fotografien und Fotografie zu finden. Als ich anfing, über den Italo-Äthiopischen Krieg von 1935-41 und die Beziehungen nachzudenken, die sich im Laufe dieser etwa fünf Jahre in Äthiopien entwickelten, begann ich über den Einsatz der Fotografie als Kriegswaffe durch die Italiener und die meisten Kolonialmächte und imperialistischen Regime zu reflektieren. Ich hatte bereits über Fotografie geschrieben. Fast ein Jahrzehnt lang hatte ich Fotos gesammelt, die Italiener in Äthiopien aufgenommen hatten. Ganz am Anfang wusste ich nicht, was ich da tat. Das war noch bevor ich überhaupt irgendetwas geschrieben habe; ich war keine Schriftstellerin, ich habe mich einfach dafür interessiert. Ich sammelte diese Fotos unbewusst, ich sah sie mir einfach an und dachte: „Oh, die sind schön. Das ist schön, oh, das ist nicht so schön.“

Irgendwann, als ich in Rom recherchierte, interessierte ich mich sehr für die Fotogeschichte dieses Krieges und fing an, fleißiger Fotos zu sammeln, wobei mir zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar war, was ich mit ihnen machen wollte. Das half mir, die Geschichte durch andere Augen zu betrachten. Ich betrachtete die persönlichen und intimen Aspekte des Krieges, nicht die großen Schlachten, sondern versuchte, durch diese Fotografien die intimen Verbindungen zu verstehen, die der Krieg Gruppen von Menschen aufzwang. Beim ersten Entwurf besaß ich also schon diese Fotos, und ich habe sie betrachtet, um die Erzählung neu zu schreiben, aber nicht als Geschichte. Aber als ich dann diesen ersten Entwurf loswurde und anfing zu denken: „Ich kann alles machen, was ich möchte“, kehrte ich zu diesen Bildern zurück und begann, sie als ihre eigenen Versionen von Geschichte zu betrachten. Sie sind bewahrte Erinnerungen, aber was genau bewahrten sie und was wollten sie uns zwingen zu übersehen oder zu vergessen? Zusammen mit den Chorstimmen im Buch wurde die Verwendung von Fotografien für mich zu einer weiteren Möglichkeit, unsere Vorstellungen von Geschichte auf den Kopf zu stellen, und das war nicht nur unterhaltsam, sondern auch sehr aufschlussreich. Es hat mir geholfen, Details von Momenten und Personen herauszuarbeiten, die in einer reinen Erzählung nicht möglich gewesen wären.

ZR: Sie haben darüber gesprochen, wie Geschichtsbücher aus bestimmten Perspektiven erzählt werden. Der fotografische Rahmen hat Grenzen, was drin ist, was nicht drin ist, wer die Kamera hält und welche Absichten er verfolgt. Die Narration des Schreibens wird dann zu einem Weg, über den Rahmen hinauszugehen. Können Sie mehr zu diesem Prozess des Hinausgehens sagen?

Ich denke, die Fotos waren wirklich eine Möglichkeit, den Rahmen zu verlassen. Sie zwangen mich auch zu einigen Fragen über die Identität des Fotografen. Und wenn wir uns vorstellen, dass die Fotos, die gemacht werden – die Kameras sind nicht mehr diese großen, sperrigen Dinger, sie werden mit der Hand gehalten -, nicht von Fotojournalisten oder Profis gemacht werden, sondern von Soldaten, die Italien zum ersten Mal verlassen … Für einige von ihnen ist es ja das erste Mal, dass sie ihre kleine Stadt verlassen! Diese Soldaten waren auf der Suche nach einem Abenteuer in Afrika. Man versprach ihnen einen schnellen, leichten Krieg. Man versprach ihnen Frauen als Trophäen. „Du bekommst das Land, aber du kannst auch die Frauen bekommen.“ Und sie bringen diese Kamera mit. Ich begann darüber nachzudenken, wie sie die Erinnerungen, die sie mitbrachten, gestalten wollten, denn die Fotografien, so offen sie auch waren, waren sehr kalkuliert in Bezug darauf, wer was zu sehen bekam – „wenn ich das nach Hause bringe, zeige ich diese Serie meinen Freunden, diese Serie zeige ich meiner Familie“ – diese Erinnerungen wurden kuratiert. Ich habe angefangen, die Fotografien so zu betrachten. Als Werkzeuge für die Erinnerung, aber auch als Werkzeuge für die Amnesie, für die Auslöschung.

Über diese Leute im Roman zu schreiben hat es mir wirklich ermöglicht, sie auf neue Weise zu betrachten. Ich bin mir bewusst, dass ich eine Figur Ettore habe, und er hat eine Kamera, und ich betrachte die Fotos als Teil eines Gesprächs, das dieser Fotograf mit sich selbst führt. Etwas, das über den Boden hinausgeht, auf dem er steht, und das auch nach Hause zurückreicht. Es ist der Teil von ihm, den er mit nach Hause nehmen will – das, was mit dem Exotischen, dem Erotischen in Verbindung steht. Zurück in der Heimat nimmt der Fotograf etwas von der Exotik der Fotos an. Er wird als etwas angesehen, das sich von den anderen in seiner Stadt unterscheidet, als heroisch und in gewisser Weise genauso unbekannt wie die Menschen, die er auf Film gebannt hat. Diese Fotografien reflektieren wirklich auf den Fotografen zurück, und ich fand, dass dieses Denken bei der Entwicklung der Geschichte hilfreich war. Es half mir, all diese Bilder, die wir für selbstverständlich halten, besser zu verstehen – und ich hielt sie für selbstverständlich, selbst als ich sie sammelte. Wenn man sich aber ein Bild eines stolzen Kriegers mit Schild und Speer anschaut, der einen würdevollen Eindruck macht, dann sieht es überhaupt nicht wie ein negatives oder stereotypes Foto aus. Bis man merkt, dass der Fotograf und der Mann eigentlich Feinde sein müssten. Dann sagt die Tatsache, dass der Fotograf noch am Leben ist, etwas über seine Macht aus und nicht über die Person, die fotografiert wird. Es ist ein Foto der Herrschaft.

ZR: Ihr Buch zeigt, dass ein zentrales Erbe der Kamera eine Technologie des Imperialismus ist. In der Geschichte beschreiben Sie, wie die italienischen Streitkräfte ihre Arbeit als Beweis für die Besatzung und als Rechtfertigung für die Kolonisierung dokumentieren; wie ein Fotograf Momente aufnimmt, festhält und stiehlt, Menschen für ihre Unterwerfung in den Fokus rückt, wie Typografien aus fotografischen Abzügen imaginiert werden. Hat Sie der Prozess des Schreibens dieses Buches angesichts eines solch belastenden Erbes dazu gebracht, darüber nachzudenken, ob Fotografie unersetzlich ist oder ob sie als kreative Form wertvoll sein kann?

Ich glaube, dass es in der Welt der Fotografie, des Fotojournalismus, einen deutlichen Mangel an Fotograf:innen gibt, die aus den Orten stammen, über die berichtet wird. Wir sehen das ständig, die meisten Fotograf:innen sind weiß, sie sind männlich, junge Fotojournalisten, die sich an Journalistenschulen einschreiben und sich dieses Abenteuer vorstellen; sie sind begeistert von der Gefahr, Fotojournalist zu sein und in ein vom Krieg zerrissenes Land zu gehen. Diese Denkweise ist eine Form des imperialistischen Ehrgeizes. Sie ist kriegsähnlich in ihrem Wunsch zu „erobern“, um das, was fern, unbekannt, exotisch erscheint, bekannt zu machen. Man sieht es auch heute noch.

Kürzlich warb ein bekannter Fotojournalist für einen Fotoworkshop, der in den nächsten Tagen online gehen sollte, aber das Bild, das er verwendete, zeigte eine junge Frau in Indien, die als Sexarbeiterin tätig war. Auf dem Foto liegt ein Mann auf ihr, es ist mitten im Sex, man sieht ihr Gesicht – es ist leer – sie ist ganz woanders und verstört. Und die Kamera blickt auf diese Frau hinunter. Ihr Gesicht ist nicht verdeckt. In diesem Bild ist jeder voyeuristische Aspekt im Spiel. Das ist etwas, das zur Werbung für einen Workshop verwendet wird. Und ich frage mich: Was wird hier beworben? Was geschieht hier? Ich habe dem Fotografen diese Fragen gestellt, und das Bild ist inzwischen entfernt worden. Auf Twitter schrieb jemand namens Ritesh Uttamchandani – ein Fotograf aus Indien -: „Ich bin auch in die Bordelle gegangen, um zu fotografieren, und das hier ist dabei herausgekommen“. Und es war brillant. Er hat vom Bett aus die Decke fotografiert. Man sieht also den Raum, man sieht, wohin das Mädchen schaut, und er sagte, dass er von diesem Standpunkt aus Babyfotos, eine Familie, eine ganze Welt sehen konnte, die sich ihm eröffnete. Man versetzt sich in die Lage der Person, die dort ist. Das bringt mich zum Nachdenken über die Art und Weise, wie heute fotografiert wird, und wie es immer schon war. Die Machtverhältnisse sind verzerrt, und wenn wir nicht in der Lage sind, uns selbst in der Person zu sehen, auf die wir die Kamera richten, wenn wir nicht einen Teil von uns in den Bildern, die wir machen, erkennen oder zu erkennen versuchen, dann projizieren wir die Erfahrungen der Menschen als Faszinationen oder Kuriositäten oder Metaphern oder Lektionen im Leben aufs Bild. Und wir sind immer noch außerhalb.

Ich habe mich ganz bewusst dafür entschieden, keine Fotos in das Buch aufzunehmen. Es gibt zwei, die Buchstützen. Das Schreiben des Wort-Bild-Innen-Buches war meine Art, darüber nachzudenken, wie man über das „Zeugnisgeben“ hinauskommt – wobei der Zeuge immer draußen ist und die Last des Zeugnisgebens trägt – und der Akt des Hinsehens eine schwerfällige Verantwortung ist, die der Person auferlegt wird, und es ist keine natürliche Sache, es ist eine Last. Ich frage mich seit langem, wie man das beseitigen kann. Das Foto ist eine Waffe, ein Zeichen von Macht, und es wird immer noch gegen Menschen eingesetzt. Diejenigen, die hinschauen, sind nicht diejenigen, die eine Last tragen. Es sind die Abgebildeten, die das Gleichgewicht der Last halten. Wie können wir das respektvoll anerkennen und uns selbst in jedem Bild, das wir machen, sehen?

Hat Ihre Auseinandersetzung mit der Art und Weise, wie die Fotografie den Menschen verändert, Ihre Art zu fotografieren beeinflusst, insbesondere die von Menschen?

Ich nehme Filme auf und fotografiere auch und ich habe drei oder vier Jahre lang Filmrollen angehäuft. Irgendwann weiß ich nicht mehr, was auf ihnen drauf ist, ich vergesse es. Ich schieße weiter, und von Zeit zu Zeit bekomme ich einen ganzen Haufen Filme und schicke sie zu meinem Entwickler, und dann kommen sie zurück, und es ist immer interessant, weil ich nicht weiß, wo oder wann einige der Filme aufgenommen wurden. Wenn Fotografien eine Form der Auslöschung sind, dann versuche ich vielleicht auch zu verstehen, was dort erhalten bleibt, wenn bestimmte Markierungen nicht mehr existieren. Wenn ich sie betrachte, versuche ich, mein Auge zu verstehen: Was sehe ich da? Was habe ich bei der Aufnahme gesehen? Auf Instagram lade ich hauptsächlich Portäts hoch, denn das ist das, was mich am meisten anzieht. Ich interessiere mich für das Gesicht, und ich interessiere mich dafür, was das Gesicht offenbart. Die Fotografie ist etwas, das mich vom Schreiben ablenkt, von diesem Ort, an dem ich ständig nach Worten suche und noch mehr Worte brauche. Es ist ein guter Weg, um nicht an das Schreiben zu denken, aber ich habe gemerkt, dass ich immer an die Erzählung denke, wenn ich in die Kamera schaue. Es passiert etwas sehr Interessantes, wenn man das Auge hinter dem Sucher hat und fokussiert – es gibt eine andere Welt, die darin zu existieren beginnt, und in dieser Hinsicht ist es dem Schreiben sehr ähnlich. Ich versuche, mein Auge zu entwickeln, denn das ist das gleiche Auge, das ich als Schriftstellerin benutze. Und die Kamera ist mein Werkzeug.

Sie haben davon gesprochen, dass einige der Hauptfiguren aus Archivfotos entstanden sind, auf die Sie bei Ihren Recherchen gestoßen sind. Wie haben sich Ihre Interaktionen mit diesen Archivbildern in Figuren der Geschichte niedergeschlagen? Haben die Fotos zu Ihnen gesprochen?

Ich hatte diese Fotos schon, bevor ich das Buch schrieb, und einige von ihnen hatte ich gerahmt. Während des Schreibens merkte ich, dass sie mir halfen, mir einige meiner Figuren vorzustellen. Irgendwann kramte ich dann in den Fotos italienischer Babys aus den frühen 1900er Jahren, die ich gesammelt hatte. Ich wusste nicht, warum ich vor Jahren nach ihnen gesucht hatte, und ich weiß auch nicht, wer die Babys waren, aber ich hatte Schwierigkeiten, den italienischen Oberst in der Geschichte, Carlo Fucelli, zu entwickeln. Ich beschloss, ihn als Baby zu betrachten. Also hängte ich „sein“ Babyfoto an meinen Schreibtisch und nutzte es, um seine Entwicklung zu dem Mann zu verstehen, der er wurde. Ich beschreibe ein Foto, das Ettore von seinen Eltern am Tag ihrer Hochzeit hat. Ich habe dieses Foto, ich habe ein Foto von einem Paar. Ich habe versucht, einen Weg zu finden, die Figur Hirut in meinem Kopf zu beschreiben, und ich habe angefangen, meine Fotos durchzusehen, und als ich zu einem bestimmten Foto kam, wusste ich, dass ich es hatte. Ich sagte: Das ist sie. Das Kleid mit dem V-Ausschnitt, das ich beschrieben hatte, die Narbe, die das Kleid verdecken kann, das war auf dem Foto zu sehen, und das ist die Person, die sie ist. Ich habe ein Foto, das Aster sein könnte, ich stellte mir diese Frau in einem Umhang vor, und ich hatte das Foto in meiner Sammlung. Ich hatte die Beschreibung gemacht – wer weiß, ob ich mir diese Fotos nicht schon viel früher angesehen hatte und sie mir im Gedächtnis geblieben waren, aber sie haben mir auf jeden Fall geholfen, mir eine Haltung vorzustellen, nicht ein Aussehen, sondern eine Haltung. Als ich meine italienischen Charaktere schrieb, konnte ich mir diese Soldaten nicht als kleine Jungen vorstellen, sonst wäre es wirklich schwierig gewesen, sie als komplexe menschliche Wesen mit Grausamkeiten und Schwächen zu entwickeln.

Das Buch enthält verschiedene Arten von Zwischenspielen, darunter eine Form namens "Foto", in der "Wortbilder" Bilder beschreiben, ohne dass sie visuell dargestellt werden. Wie haben Sie sich die Funktion dieser fragmentierten Texte vorgestellt? Einige der Passagen sind fast wie kleine fotografische Abzüge geformt und aneinandergereiht.

Die übergreifende Erzählung besteht darin, dass dies angeblich die Fotografien sind, die Hirut sich ansieht, als sie die Kiste in der Geschichte öffnet, und sie ist chronologisch geordnet, sodass jedes Foto, dem man begegnet, zu einem anderen Teil des Krieges und der Geschichte führt. Ich wollte, dass in diesen Bildern Bewegung stattfindet; ich wollte versuchen, mir die Momente davor und danach vorzustellen, was ein Foto für uns oft eliminiert. Es vereinfacht einen Moment. Ich habe mich von einem meiner Lieblingsgemälde inspirieren lassen – Rembrandts „Anatomiestunde“. In diesem Gemälde stehen Medizinstudenten um eine Leiche herum, und in der Mitte steht ein Arzt; alle schauen in verschiedene Richtungen, aber der Arzt zeigt auf etwas und hebt die Hand. Ich habe so lange darauf gestarrt und bin von den Blicken der Studenten zur Leiche, zum Arzt und zu seiner Hand gegangen. Irgendwann wurde mir klar, dass er auf den Muskel der Leiche zeigt, den seine Hand illustriert, und dass er die Bewegung dieses Muskels nachahmt und auf ihn zeigt. Das Gemälde ist also mitten im Geschehen; die Hand des Arztes ist nur ein Zucken des Muskels und eine Bewegung, die vom Maler festgehalten wird. Das ist in Wirklichkeit eine Unterrichtsstunde zum Thema Bewegung Bewegung, und es geht nicht um die Leiche, es geht um das Leben, es geht um die Hand, die sich bewegt. Die Anatomie des Lebendigen. Diese Art zu schauen, über das Offensichtliche hinauszugehen und sich auf die aufschlussreichen Details in einem Rahmen zu konzentrieren … das hat mich nicht mehr losgelassen, seit ich dieses Bild gesehen habe.

John Berger schreibt über dieses Gemälde, und er schreibt über seine Verbindung zu Che Guevaras Ermordungsfoto und die unheimlich zufällige Pose der beiden – wie auch auf Che’s Ermordungsfoto all diese Soldaten um seinen Leichnam herum stehen und in verschiedene Richtungen schauen, während ein Vorgesetzter auf den Leichnam zeigt. Und auch hier geht es nicht um den Tod, sondern um das Leben, das nach diesem Bild weitergehen wird. Über den Tod von Che hinaus. Über eine Revolution hinaus, die sie nun für gescheitert halten. Ich finde es wirklich faszinierend, diese beiden Bilder – das Gemälde und das Foto – als eine Möglichkeit zu betrachten, die Formbarkeit von Geschichte oder Erinnerung zu verstehen.

In diesen beiden Bildern geht es einerseits um den Tod, aber auch darum, wer schaut, wer zeigt, wer sich bewegt und wer sich nicht bewegen kann. Das war die Idee, die ich in den Wortbildern des Buches umsetzen wollte. Wer bewegt sich und wer kann sich nicht bewegen? Man denkt, es geht um das Sterben, aber in Wirklichkeit geht es um die Person, die noch lebt und die Macht hat. Es gibt verschiedene Ebenen und Schichten der Betrachtung. Wenn man dieses Wort-Bild hat, gibt es den Leser und dann gibt es auch die Geschichte, die wir durchlesen müssen, um zum Kern dessen zu gelangen, was auf diesem Foto wirklich gemacht oder aufgenommen wurde.

In "Der Schattenkönig" gibt es einige unglaubliche Momente des Widerstands gegen die Fotografie, in denen sich Blicke der Kamera entziehen oder sie anklagen, Beziehungen und Sinne den fotografischen Rahmen überschreiten oder bebende Körper die Möglichkeiten der Kameraaufnahme sprengen. Können Sie erläutern, warum Sie diese Störungen der Bilderzeugung beschrieben haben?

Es begann damit, dass ich mir diese Fotos anschaute und darauf achtete, was die Menschen tatsächlich tun, selbst wenn sie gerade stehen und in die Kamera schauen. Wenn wir davon ausgehen, dass es wirklich keine stimmlosen Menschen gibt, sondern nur Menschen, die wir nicht hören können, dann besteht meine Aufgabe darin, zu beobachten, was sie mir sagen, was ich auf den ersten Blick nicht sehen konnte. Und was mir dabei auffiel, konnten Dinge sein wie eine Handbewegung, eine geballte Faust, nach innen gerollte Zehen, obwohl das nicht unbedingt eine natürliche Haltung ist, diese verschwommene Bewegung, der Blick weg, diese schnellen Gesten, die passieren, die Weigerung zu lächeln – all das waren kleine Akte des Trotzes. Sie sind gedämpft, aber sie waren da, wenn ich nur wüsste, wie man hinschaut, und das war ein Teil dessen, woran ich wirklich gearbeitet habe: Wie man sie genauer betrachtet, wie man ihnen zuhört. Es gibt immer, immer verräterische Hinweise in diesen Fotos. Ich wollte sie zum Leben erwecken, den Menschen den ihnen gebührenden Respekt für ihre Taten, ihre Tapferkeit, zurückgeben.

Wer sind die Bildgestalter:innen, die am meisten geprägt haben, wie Sie über Fotografie denken und wie Sie sie in Ihren Texten behandeln?

Diana Matar, zum Beispiel. Sie hat ein Buch mit dem Titel Evidence (Beweise) herausgebracht und ein weiteres in Vorbereitung, in dem sie sich mit dem unsichtbaren, aber präsenten Nachhall von Orten befasst, an denen staatlich sanktionierte Gewalt stattfand. Sie besucht diese Orte im Nachhinein und fotografiert sie. Dabei geht es ihr um die Frage: Was bleibt? Sie befasst sich mit der Auslöschung, aber auch mit den Erinnerungen, die an diesen Orten noch lebendig sind, an die verlorenen Leben nach einem Verschwinden oder nach einer Gräueltat. In Evidence reist sie nach Libyen und sucht die Orte auf, an denen Ghadaffi Menschen hinrichtete und die Menschen verschwanden. Anschließend fotografiert sie sie. Diese Bilder sind ein stummes Zeugnis für das, was jetzt fehlt, aber auch eine Bestätigung dafür, dass durch das Betrachten etwas ersetzt, bestätigt wird. Ich war in Brüssel, bevor diese ganze Sache mit dem Virus losging, und sie hatte eine Ausstellung in Verbindung mit einem neuen Buch, My America. Darin reiste sie quer durch die Vereinigten Staaten und fotografierte Orte polizeilicher Gewalt gegen Randgruppen der Gesellschaft. Die Wände der Galerie waren mit diesen Fotos gefüllt, mit den Namen der Toten, ihrem Alter, dem Todesdatum, den Orten… Das sind erstaunliche Mahnmale und Akte des Gedenkens. Ich betrachte ihre Arbeit als eine weitere Möglichkeit, über die Macht der Fotografie nachzudenken, aber auch über die Notwendigkeit des Erinnerns, selbst wenn es keine sichtbaren Spuren von dem gibt, was einmal da war.

In diesem Sinne bin ich der Arbeit eines argentinischen Fotografen namens Gustavo Germano verpflichtet. Als ich seine Fotos zum ersten Mal sah, blieben sie mir im Gedächtnis haften. Er arbeitet mit Kindheitsfotos von Menschen, die während der Kriege in Argentinien verschwunden waren. Auf einem Foto rennen zum Beispiel zwei Brüder einen Hügel hinunter, sie sind jung, vielleicht 10 Jahre alt. Einer von ihnen wurde schließlich, Jahre später, von den Militärs „verschwunden“. Germano fotografiert den überlebenden Bruder auf demselben Hügel und nimmt denselben Lauf auf und fügt diese Fotos dann zusammen. Man sieht sehr deutlich die Abwesenheit des anderen Geschwisters, die Abwesenheit so vieler Erinnerungen, die ein Leben ausmachen.

Confronting the weapon of photography

Dieser Artikel erschien im Original auf englisch bei Africa is a Country.

Und à propos Verschwinden: Es gibt einen wunderbaren chinesischen Fotografen namens Zhang Dali, der ein Fotobuch mit dem Titel A Second History veröffentlicht hat. Er befasst sich mit den Propagandafotos, die während der Mao-Tse-Tung-Ära in den Nachrichten abgedruckt wurden. Er untersucht die Manipulation von Fotos als eine Möglichkeit, die Geschichte und das kollektive Gedächtnis zu revidieren. Er zeigt, was in einer Zeitung gedruckt wurde und was tatsächlich das echte Foto war. Es ist faszinierend, wie Menschen, die bei Mao Tse Tung in Ungnade gefallen waren, aus den Bildern gelöscht wurden, und wie bei Menschenmengen, die zu klein waren und kein positives Licht auf ihn warfen, welche hinzugefügt wurden. Die Leute wurden umplatziert, umgestellt oder einfach ausradiert. Wenn man das sieht, wird man daran erinnert, wie flexibel die Wahrheit ist, wie zerbrechlich Geschichte, Erinnerung, kollektives Gedächtnis und Fakten sind. Wenn man sie nicht sehen kann, woher weiß man dann, dass sie tatsächlich existieren? Das ist eine Frage, über die ich in meinem Buch nachgedacht habe.

Und natürlich die Arbeit jener Fotograf:innen aus Afrika, die die postkoloniale Ära fotografiert haben, als verschiedene Teile Afrikas den westlichen Mächten im Grunde die Stirn boten! Malick Sidibé ist der bekannteste von ihnen, aber es gibt auch Jean Depara und so viele andere. Das Leben, das auf diesen Fotos zu sehen ist, finde ich wirklich spannend und inspirierend. Aida Muluneh, Nader Adem, Malin Fezehai, Martha Tadesse – Fotograf:innen aus Äthiopien und Eritrea – leisten unglaubliche, innovative und sensible Arbeit, aber es gibt noch so viele andere, die im Kommen sind. Sie haben die Kameras in der Hand, sie brauchen nur noch die Aufträge. Sie müssen vertreten werden und die Agenturen dazu bringen, sie anzurufen und zu sagen: „Ihr seid schon da, könnt ihr die Arbeit machen?“ Mulugeta Ayene, ein Äthiopier, hat gerade den World Press Photo-Wettbewerb 2020 gewonnen. Seine Fotos von dem Boeing-Absturz in Äthiopien sind sowohl episch als auch intim. Es ist ein Beweis dafür, was passiert, wenn der Fotograf die Kultur kennt, weiß, wie er sehen muss, und sich selbst in jedem Bild sieht. Es ist schön zu sehen, dass einige dieser Fotograf:innen Anerkennung finden, aber es muss noch mehr passieren.

Seit einiger Zeit haben Sie auf Instagram Archivfotos gepostet, die mit Ihren Recherchen für "Der Schattenkönig" in Verbindung stehen. Diese Sammlung bildet nun die Grundlage für ein digitales Fotoarchiv namens Projekt 3541, das als "Akt der Rückgewinnung" beschrieben wird, da es eine intime Zusammenstellung von Bildern im Zusammenhang mit der italienischen Invasion in Äthiopien von 1935-41 enthält. Wie stellen Sie sich die Auswirkungen und das Wachstum dieses Projekts vor?

Dieses Projekt ist ein gemeinschaftlicher Versuch, über einen Moment der Weltgeschichte zu sprechen und ihn zu verstehen. Diese Geschichte ist nicht nur äthiopisch, sie ist nicht nur ostafrikanisch. Es geht um Italiener:innen, um Brit:innen, um Menschen, die Teil der britischen Kolonialmacht waren, aus Indien und anderen Ländern, die sich an ihre Familienmitglieder erinnern, die nach Äthiopien gingen. Ich bin auf der Suche nach einigen dieser Fotos. Ich möchte, dass die Website eine Drehscheibe für diese Geschichte ist – für Geschichten. Ich bin mir bewusst, dass die meisten Ostafrikaner:innen keinen Zugang zu Kameras hatten und dass die Fotos, die sie vielleicht aus dieser Zeit hatten, von einem Italiener gemacht worden sein könnten. Ich habe auch eine Seite mit dem Titel „Erinnerungen ohne Gesichter“ eingerichtet, auf der ich die Leute auffordere, ihre Erinnerungen beizusteuern. Die Inspiration für diese Seite kam von jemandem, der zu mir sagte: „Mein Großonkel wurde in dieses Gefängnis gebracht, und er wurde zuletzt hier gesehen. Es gibt kein Foto, aber wie kann ich mehr herausfinden?“ Ein Italiener sagte: „Ich weiß, dass mein Großvater ein Kind von einer äthiopischen Frau hatte, vielleicht können Sie mir helfen, diese Person zu finden.“ Und ich weiß, dass es Geschichten gibt, bei denen es nicht um die Suche geht, sondern um die Anerkennung, die Rückforderung, und das kann auch ohne ein Foto geschehen. Ich freue mich sehr auf dieses Projekt, denn dieses Buch, Der Schattenkönig, hat mein Leben auf eine Weise verändert, wie es das erste Buch nicht getan hat. Dieses Buch hat mich in eine andere Kultur, eine andere Sprache, aber auch in verschiedene Aspekte meiner eigenen Geschichte eingeführt. Ich glaube nicht, dass es schon vorbei ist, das Buch ist fertig, aber die Sache ist noch nicht abgeschlossen, und ich denke, die Fotografien sind das Mittel, um Dinge voranzubringen.

Zachary Rosen ist Mitglied des Redaktionsausschusses von Africa is a Country.

Bild im Header: Ceilings, © Ritesh Uttamchandani

Blick Bassy

Der kamerunische Musiker Blick Bassy ist in aller Munde. Über sein politisches Engagement und seine metaphysische Musik.

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Film

Wie wir Geschichten erzählen

Wie wir Geschichten erzählen
von Marius Kothor

Raoul Pecks vielgefeierte Filmreihe "Exterminates all the Brutes" verfehlt sein eigenes Ziel, die Wirkungsweisen weißer Vorherrschaft und Gewalt in Frage zu stellen. Ein Kommentar.

Die vierteilige HBO-Filmreihe Exterminate All the Brutes des haitianischen Regisseurs Raoul Peck beginnt mit einer starken Prämisse. Die Serie verspricht, die Geschichte der weißen Vorherrschaft in den Konzepten von Zivilisation, Kolonisierung und Ausrottung zu verorten, die das ideologische und materielle Rückgrat für die Konstruktion des Weißseins bildeten. In Anlehnung an eine Aussage seines Freundes, des Schriftstellers Sven Lindqvist, versichert Peck den Zuschauer:innen, dass wir diese Geschichte bereits kennen, und besteht darauf, dass „es nicht das Wissen ist, das uns fehlt … was fehlt, ist der Mut, zu verstehen, was wir wissen.“ Leider gibt Peck dem Publikum nicht den Mut, die Geschichte des Kolonialismus zu verstehen, sondern stellt stattdessen den weißen Mann als Macher der Geschichte in den Mittelpunkt, und zwar auf eine Art und Weise, die die Vorstellung von weißer Überlegenheit erneut festschreibt. Die dekontextualisierten Fotografien, Illustrationen und Reenactments, die die Serie füllen, reduzieren die Opfer der Kolonialisierung weiter auf die Rolle passiver Zuschauer:innen der Geschichte. Die schmerzhafte Ironie ist, dass Peck in seinen Versuchen, die Gewalt des Kolonialismus zu benennen und darzustellen, am Ende selbst diese Gewalt verewigt.

Peck präsentiert die Serie im Stil eines persönlichen Essays, in dem er sein Verständnis der Geschichte, die er erzählt, detailliert darlegt. Doch für eine Serie, die die weiße Vorherrschaft herausfordern soll, stellt Peck seltsamerweise einen weißen männlichen Archetyp, gespielt von Josh Harnett, als Protagonisten in den Mittelpunkt der Geschichte. Episode 1 zeigt eine Dramatisierung eines Kampfes aus dem Jahr 1836, in dem sich eine indianische Frau der Seminole-Nation gegen die Bemühungen der US-Regierung, ihr Land zu stehlen und ihre Schwarzen Freund:innen zu versklaven, wehrt. In den darauf folgenden Szenen schießt Pecks weißer männlicher Archetyp, der in der ersten Episode als Militärgeneral auftritt, der Frau aus nächster Nähe in den Kopf. Ein paar Bilder später greift der General ihren leblosen Körper aus den versehrten Körpern der Seminolen, die auf dem Schlachtfeld verstreut liegen, und skalpiert sie, wobei er ihr abgetrenntes Fleisch und Haar in die Kamera hält. Es ist nicht klar, welche Funktion diese grausamen Szenen haben, abgesehen von ihrem Schockfaktor. In dieser Darstellung des US-Kolonialismus stellt Peck die Seminolen-Frau und ihre Schwarzen Kameraden als nicht ebenbürtig gegenüber der ungeheuren Macht des weißen Mannes dar, der aus der Schlacht triumphierend hervorgeht, unbeschadet von der kleinen vorherigen Niederlage.

Pecks Darstellung indigener Gemeinschaften, die der Gewalt des weißen Mannes leicht erliegen, wiederholt sich in der Serie immer wieder. In einer Dramatisierung der Ereignisse im kolonialen Kongo taucht derselbe weiße männliche Archetyp wieder auf, immer noch gespielt von Harnett, und schießt einem Kongolesen in den Kopf, weil er ihm nicht genug Gummi liefert. In Anspielung auf die Gräueltaten, die belgische Kolonialherren zur Befriedigung von König Leopolds Gier verübten, befiehlt der Weiße einem jungen Kongolesen, dem Toten die Hände abzuschneiden, während im Hintergrund des Bildes eine Masse unbeteiligter Kongolesen steht, die die ihnen zugewiesene Rolle als handlungslose Opfer in der Geschichte, die der Weiße inszeniert, spielen.

Es gibt sicherlich Gründe dafür, den weißen Mann in den Mittelpunkt der Geschichte der Gewalt zu stellen, die mit der Kolonisierung und einer Reihe anderer Verbrechen gegen die Menschlichkeit einherging. Die historischen Aufzeichnungen sind voll von den Geschichten, die die Serie dramatisiert. Vielleicht ist das der Grund, warum viele Kritiken zu dieser Serie so großzügig ausgefallen sind. Die Leute schätzen vielleicht einfach die Tatsache, dass diese Verbrechen filmisch dargestellt werden. Aber indem Peck indigene Gemeinschaften als völlig hilflos gegenüber der Macht des weißen Mannes darstellt, verstärkt er die Idee, dass weiße Männer die einzigen historischen Akteure sind, die eine nennenswerte Handlungsmacht haben. Darüber hinaus stellt Peck die weiße Gewalt als so mächtig dar, dass jeder Versuch, sich ihr zu widersetzen, zum Tod führt. Beim Zuschauen fand ich diese Szenen so entsetzlich, dass ich am liebsten ganz aufgehört hätte, über diese Geschichte nachzudenken. Und genau das ist die Gefahr. Die Serie überschwemmt das Publikum mit Bildern, die so überwältigend sind, dass es außerstande ist, sich eine Welt ohne die Gewalt der weißen Vorherrschaft vorzustellen.

Africa is a Country

Dieser Artikel erschien im Original auf englisch bei Africa is a Country.

Bei allen Problemen mit dem, was Peck in „Exterminate All the Brutes“ darstellt, so ist das, was er nicht sagt, ebenso beunruhigend. Während der gesamten Serie ist Pecks freche, autoritative Stimme in den Bildern zu hören, die die Gewalt in einer schwindelerregenden Auswahl von Fotos, Videos, Animationen, Illustrationen und Reenactments schildert. Doch wenn es um Bilder von sexueller Gewalt geht, ist Peck seltsam still. In einem Teil der Serie wird zum Beispiel ein beunruhigendes Gemälde mit dem Titel „The Rape of the Negro Girl“ gezeigt, aber es wird kein Kontext angegeben. In einem anderen Teil wird dem Betrachter eine Sammlung von Fotografien weißer Männer gezeigt, die Frauen an verschiedenen Orten der Welt sexuell ausbeuten, aber Peck unternimmt keinen Versuch zu erklären, wie sexuelle Übergriffe als Waffe der Kolonialisierung eingesetzt wurden.

Was aus Pecks Ausstellung dieser Bilder hervorgeht, ist im Wesentlichen ein Gespräch zwischen Männern. Peck reduziert die Frauen und Mädchen auf diesen Bildern auf die vielleicht erniedrigendsten Erfahrungen ihres Lebens, um ihre Unterwerfung als Beweis für die Grausamkeiten des weißen Mannes zu verwenden. Diese Darstellung von sexueller Gewalt verstärkt das, was die Medienwissenschaftlerin Ariella Azoulay als die Tendenz beschrieben hat, sexuelle Gewalt als zufällig in der Geschichte des Kolonialismus zu betrachten. Das heißt, sexuelle Gewalt wird als etwas dargestellt, das einfach während des Kolonialismus passiert ist, anstatt als integraler Bestandteil der Mechanismen der Kolonisierung gesehen zu werden. Nicht nur, dass die Europäer sexuelle Übergriffe als Instrument der Unterwerfung benutzten, die Illustrationen und Fotografien, die Peck zeigt, wurden oft als Postkarten in den europäischen Metropolen verbreitet, um weiße Männer zu ermutigen, in die Kolonien zu gehen und dort ihre sexuellen Fantasien auszuleben. Weiße Frauen ihrerseits nutzten diese Bilder, um ihre Frömmigkeit gegenüber der sexuellen Ausbeutung von Frauen in den Kolonien zu definieren.

Raoul Peck und Josh Hartnett bei den Dreharbeiten zu "Exterminate all the Brutes"

Die Art und Weise, wie wir Geschichten erzählen, ist genauso wichtig wie die Geschichten, die wir erzählen. Das Ziel, das Peck mit dieser Serie verbindet, ist ein ehrgeiziges und lobenswertes. Sicher, die Gewalt, die mit der kolonialen Eroberung einherging, muss filmisch dargestellt werden. Aber es reicht nicht aus, einfach nur grausame Bilder dieser Gräueltaten zu zeigen. Um nuancierte Geschichten über den Kolonialismus zu erzählen, geht es nicht nur darum, eine Geschichte der weißen Gewalt zu erzählen. Es geht darum, die Logik des Weißseins komplett zu dezentrieren, die uns dazu bringt, Geschichte aus der Perspektive weißer Männer zu sehen und darzustellen und sexuelle Gewalt gegen Frauen of Color zu ignorieren.

Was wir brauchen, sind gut kontextualisierte filmische Darstellungen dieser Ereignisse, die über die Ausstellung von Gewalt hinausgehen und neue Möglichkeiten eröffnen, Rechenschaft und Wiedergutmachung zu fordern.

Der Weg zu einer geeigneteren Darstellung der Geschichte des Kolonialismus findet sich in den reichen Traditionen des Widerstands in Gemeinschaften überall auf der Welt. Von der Geschichte des Widerstands der amerikanischen Ureinwohner:innen gegen die westliche Expansion über die Revolutionen gegen Sklaverei und Kolonialismus in Afrika bis hin zu der Art und Weise, wie Frauen auf der ganzen Welt weiterhin Gespräche in den Vordergrund stellen, die die Geschichte des Kolonialismus mit dem Verschwinden, dem Handel und der Ermordung von Frauen in ihren Gemeinschaften in Verbindung bringen – die historischen Aufzeichnungen und der zeitgenössische Aktivismus machen deutlich, dass die weiße Vorherrschaft immer von den Menschen angefochten wurde, die sie zu vernichten sucht. Durch die Marginalisierung dieser Perspektiven und die Fokussierung auf weiße Männer in der Serie hat Peck die Gelegenheit verpasst, sich mit der Geschichte des Kolonialismus auf eine Art und Weise auseinanderzusetzen, die die Zuschauer befähigt, sich eine Zukunft vorzustellen, in der das Weißsein nicht im Zentrum von Macht und Autorität steht.

Marius Kothor ist Doktorandin am Fachbereich Geschichte in Yale mit einem breiten Forschungsinteresse an afrikanischer Geschichte des 20. Jahrhunderts, Gender und Black Internationalism. Ihre Dissertation befasst sich mit den politischen und wirtschaftlichen Beiträgen von Händlerinnen zur Unabhängigkeitsbewegung Togos und wie der antikoloniale Kampf Togos afroamerikanische Diskurse zur Dekolonisierung in Afrika beeinflusste.

Blick Bassy

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Literatur

Wir brauchen mehr: Fokus auf afrikanische Oratur

Wir brauchen mehr: Fokus auf afrikanische Oratur
von Akaninyene

Es war einmal ein großer malischer Schriftsteller....

… namens Amadou Hampâté Bâ, der sagte, dass es jedes Mal, wenn ein alter Mann stirbt, so ist, als ob eine Bibliothek niedergebrannt worden wäre. Bâ bezog sich damit auf den Zustand der afrikanischen Literatur, aber jedes Mal, wenn ich das lese, stellt sich mir die Frage, ob das Glas halb leer oder halb voll ist. Denn obwohl es ein Zeugnis für den potenziellen literarischen Reichtum des afrikanischen Kontinents ist, erinnert es mich daran, dass wir trotz der Menge an literarischem Output, den der Kontinent hervorbringt, erst an der Oberfläche dessen kratzen, was eigentlich möglich wäre.

Wie die meisten von uns wissen, ist Afrika der zweitgrößte Kontinent der Welt. Mit 55 Ländern und über 2.000 Sprachen ist es wohl die vielfältigste Landmasse der Erde, mit einer reichen Palette an mündlichen Traditionen, von denen die meisten in den einheimischen Sprachen der Bewohner verankert sind. In Anbetracht der Tatsache, dass afrikanische Sprachen etwa ein Drittel aller weltweit verwendeten Sprachen ausmachen, ist es ganz schön schockierend, dass die meisten Sprachen, die in schulischen, formalen und offiziellen Kontexten verwendet werden, fremde – meist europäische – Sprachen sind.

Die Rolle, die die Kolonialisierung bei der Förderung des weit verbreiteten Gebrauchs von Fremdsprachen gespielt hat, kann kaum überschätzt werden, aber das ist ein Diskussionspunkt für einen anderen Beitrag. In diesem Beitrag möchte ich über das allgegenwärtige Bedürfnis sprechen, das wir als Afrikaner:innen haben und haben sollten, so viel von unserer Geschichte zu bewahren, wie wir können, nicht nur zum Nutzen von uns selbst, sondern auch für die zukünftigen Generationen, die noch nicht geboren sind.

Sprache ist, wie Victor Oladokun schrieb, allumfassend. Sie ist nicht nur ein Mittel, um zu kommunizieren. Sie ist auch ein Aufbewahrungsort für Werte, Bräuche, Kultur und Geschichte. Kurz gesagt: die Verkörperung dessen, was ein Volk ist. Weiter sagte er, dass „jede afrikanische Sprache ein Speicher für mündliche Geschichte und kollektive Werte ist. Die Beherrschung der Sprache gibt den Sprecher:innen daher ein intuitives Gefühl dafür, wer sie sind, woher sie kommen, wer sie potentiell sein können und wohin sie gehen“.

Angesichts des glorifizierten Status von Fremdsprachen auf dem Kontinent ist die Zahl der Afrikaner, die in ihrer Muttersprache lesen und schreiben können, auf einem historischen Tiefstand und es wird erwartet, dass sie mit jeder Generation weiter sinkt. In Anbetracht der Tatsache, dass der Großteil der afrikanischen Literatur in den einheimischen afrikanischen Sprachen existiert und auf Konzepten beruht, die nur im Kontext dieser Sprachen einen Sinn ergeben, ist es wirklich nicht weit hergeholt zu postulieren, dass, wenn die Dinge in diesem Tempo weitergehen, eine Zeit kommen wird, in der die meisten, wenn nicht alle, unserer mündlichen Traditionen für die Annalen der Geschichte verloren sein werden.

Niemand ist sich sicher, wie die Dinge aussehen würden, sollte dieser Tag kommen, aber meiner Meinung nach sollten wir nicht herumsitzen und darauf warten, es herauszufinden. Während die Meinungen darüber, in welcher Sprache wir als Afrikaner:innen sprechen und schreiben sollten, geteilt sein mögen, glaube ich, dass wir alle darin übereinstimmen sollten, dass die Bewahrung unserer Oratur Vorrang vor der Sprache haben sollte, in der sie bewahrt wird.

In der Zeit vor (und kurz nach) der Unabhängigkeit wurde eine Menge afrikanischer Literatur für westliche Leser geschrieben – fast wie ein geschriebener Mittelfinger, um zu zeigen, dass auch wir das können, von dem viele dachten, wir könnten es nicht. Auch wenn ich glaube, dass dies für die damalige Zeit gerechtfertigt oder sogar notwendig war, ist eine neue Generation herangewachsen, und da sich Afrikaner:innen auf der ganzen Welt mit einem Gefühl des unapologetischen Stolzes auf ihre Abstammung und ihr Erbe bewegen, denke ich, dass die Zeit für Sankofa gekommen ist.

Literandra

Dieser Essay erschien im englischen Original bei Literandra, einer gemeinnützigen digitalen Plattform, die literarische Kunstformen, die vom afrikanischen Kontinent ausgehen, vorstellt und zelebriert.

Wie Jennifer Nansubuga Makumbi in unserer Veranstaltung zur Schwarzen Literaturgeschichte sagte, ist es für afrikanische Autor:innen an der Zeit, nicht mehr als bloße Antwort auf fremde Meinungen und Forderungen zu schreiben. Es ist zwar an sich nichts Schlechtes daran, für andere zu schreiben, aber die Wahrheit ist, dass wir als Afrikaner:innen mehr brauchen. Wir müssen für uns selbst lesen, über uns selbst und als Antwort auf die Situationen, die uns betreffen. Wir müssen zurückgehen und die literarischen Relikte sichern, die die Seele des afrikanischen Geschichtenerzählens verkörpern und Generationen von afrikanischen Schriftsteller:innen bis heute inspirieren. Wir brauchen mehr.

Es besteht kein Zweifel daran, dass wir inzwischen sehr viel Wissen verloren haben, das unsere Vorfahren von ihren Vorfahren geerbt haben, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass in den Köpfen unserer lebenden Ältesten noch vieles ungenutzt bleibt. Anzunehmen, dass das, was nicht über uns geschrieben wurde, nicht existiert, hieße, die Tiefe der afrikanischen Natur zu ignorieren. Aber sich in der Euphorie unserer mündlichen Traditionen zu sonnen, bedeutet, die Tatsache zu ignorieren, dass die Literatur nur so lange überleben kann, wie die, die sie bewahren.

Von den altägyptischen Schriftgelehrten bis hin zu zeitgenössischen nigerianischen Schriftsteller:innen wurden immer wieder Anstrengungen unternommen, afrikanische Mündlichkeit in Literatur zu übertragen, wo dies möglich war. Mazisi Kunenes Emperor Shaka the Great (1979) zum Beispiel basiert auf der mündlichen Überlieferung der Zulu. In jüngerer Zeit basierten Ben Okris The Famished Road (1991), Jennifer Makumbis Kintu (2014) und Chigozie Obiomas An Orchestra of Minorities (2019) in unterschiedlichem Maße auf mündlichen Traditionen des afrikanischen Kontinents. Wie ihnen ist es auch einigen anderen gelungen, das gesprochene Wort in gedruckter Form zu verewigen, und viele weitere bemühen sich weiterhin um die Bewahrung der afrikanischen Mündlichkeit auf den Seiten der zeitgenössischen Literatur.

Dafür brauchen wir aber mehr: mehr Ältere, die bereit sind, ihr Wissen an die Jungen weiterzugeben, mehr Jugendliche, die bereit sind, dieses Wissen zu erben, mehr Forschungszentren, die sich der Niederschrift afrikanischer Literatur widmen, und mehr Regierungen, die entschlossen sind, lokale Schriftsteller zu unterstützen. Wir brauchen mehr Autoren, die die einheimischen Sprachen beherrschen, mehr Lektoren mit dem kontextuellen Wissen, um diese Autoren zu unterstützen, mehr Verlage, die bereit sind, in diesen Prozess zu investieren, und mehr Buchhändler:innen, die bereit sind, sich für afrikanische Literatur einzusetzen. Das soll nicht heißen, dass wir diese Dinge nicht schon haben. Es soll nur heißen, dass wir mehr brauchen.

Ein großer Malier hat einmal gesagt, dass es jedes Mal, wenn ein alter Mann stirbt, so ist, als wäre eine Bibliothek niedergebrannt worden, und mit jeder Generation, die vergeht, kann man nicht umhin zu bemerken, dass mehr afrikanische Bibliotheken, sowohl im wörtlichen als auch im übertragenen Sinne, niederbrennen. Wir haben das Glück, in einer Zeit zu leben, in der das Licht zwar verblasst, aber die Seelen der afrikanischen Sprachen noch nicht verlassen hat, aber wir müssen uns auf eine Zukunft vorbereiten, in der dies der Fall sein könnte. Wenn dies also als unser unausweichliches Schicksal akzeptiert werden muss und wir unsere Muttersprachen verlieren, hoffe ich, dass wir zumindest dafür kämpfen werden, uns daran zu erinnern, was in der Sprache unserer Mütter erzählt wurde.

Akaninyene ist Büchersammler und Geschichtsenthusiast mit einer besonderen Leidenschaft für vorkoloniale afrikanische Geschichte. Derzeit sitzt er im Vorstand des Centre of Pan African Thought und ist Gründungsredakteur bei Literandra.

Blick Bassy

Der kamerunische Musiker Blick Bassy ist in aller Munde. Über sein politisches Engagement und seine metaphysische Musik.

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