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Wie wir Geschichten erzählen
von Marius Kothor

Raoul Pecks vielgefeierte Filmreihe "Exterminates all the Brutes" verfehlt sein eigenes Ziel, die Wirkungsweisen weißer Vorherrschaft und Gewalt in Frage zu stellen. Ein Kommentar.

Die vierteilige HBO-Filmreihe Exterminate All the Brutes des haitianischen Regisseurs Raoul Peck beginnt mit einer starken Prämisse. Die Serie verspricht, die Geschichte der weißen Vorherrschaft in den Konzepten von Zivilisation, Kolonisierung und Ausrottung zu verorten, die das ideologische und materielle Rückgrat für die Konstruktion des Weißseins bildeten. In Anlehnung an eine Aussage seines Freundes, des Schriftstellers Sven Lindqvist, versichert Peck den Zuschauer:innen, dass wir diese Geschichte bereits kennen, und besteht darauf, dass „es nicht das Wissen ist, das uns fehlt … was fehlt, ist der Mut, zu verstehen, was wir wissen.“ Leider gibt Peck dem Publikum nicht den Mut, die Geschichte des Kolonialismus zu verstehen, sondern stellt stattdessen den weißen Mann als Macher der Geschichte in den Mittelpunkt, und zwar auf eine Art und Weise, die die Vorstellung von weißer Überlegenheit erneut festschreibt. Die dekontextualisierten Fotografien, Illustrationen und Reenactments, die die Serie füllen, reduzieren die Opfer der Kolonialisierung weiter auf die Rolle passiver Zuschauer:innen der Geschichte. Die schmerzhafte Ironie ist, dass Peck in seinen Versuchen, die Gewalt des Kolonialismus zu benennen und darzustellen, am Ende selbst diese Gewalt verewigt.

Peck präsentiert die Serie im Stil eines persönlichen Essays, in dem er sein Verständnis der Geschichte, die er erzählt, detailliert darlegt. Doch für eine Serie, die die weiße Vorherrschaft herausfordern soll, stellt Peck seltsamerweise einen weißen männlichen Archetyp, gespielt von Josh Harnett, als Protagonisten in den Mittelpunkt der Geschichte. Episode 1 zeigt eine Dramatisierung eines Kampfes aus dem Jahr 1836, in dem sich eine indianische Frau der Seminole-Nation gegen die Bemühungen der US-Regierung, ihr Land zu stehlen und ihre Schwarzen Freund:innen zu versklaven, wehrt. In den darauf folgenden Szenen schießt Pecks weißer männlicher Archetyp, der in der ersten Episode als Militärgeneral auftritt, der Frau aus nächster Nähe in den Kopf. Ein paar Bilder später greift der General ihren leblosen Körper aus den versehrten Körpern der Seminolen, die auf dem Schlachtfeld verstreut liegen, und skalpiert sie, wobei er ihr abgetrenntes Fleisch und Haar in die Kamera hält. Es ist nicht klar, welche Funktion diese grausamen Szenen haben, abgesehen von ihrem Schockfaktor. In dieser Darstellung des US-Kolonialismus stellt Peck die Seminolen-Frau und ihre Schwarzen Kameraden als nicht ebenbürtig gegenüber der ungeheuren Macht des weißen Mannes dar, der aus der Schlacht triumphierend hervorgeht, unbeschadet von der kleinen vorherigen Niederlage.

Pecks Darstellung indigener Gemeinschaften, die der Gewalt des weißen Mannes leicht erliegen, wiederholt sich in der Serie immer wieder. In einer Dramatisierung der Ereignisse im kolonialen Kongo taucht derselbe weiße männliche Archetyp wieder auf, immer noch gespielt von Harnett, und schießt einem Kongolesen in den Kopf, weil er ihm nicht genug Gummi liefert. In Anspielung auf die Gräueltaten, die belgische Kolonialherren zur Befriedigung von König Leopolds Gier verübten, befiehlt der Weiße einem jungen Kongolesen, dem Toten die Hände abzuschneiden, während im Hintergrund des Bildes eine Masse unbeteiligter Kongolesen steht, die die ihnen zugewiesene Rolle als handlungslose Opfer in der Geschichte, die der Weiße inszeniert, spielen.

Es gibt sicherlich Gründe dafür, den weißen Mann in den Mittelpunkt der Geschichte der Gewalt zu stellen, die mit der Kolonisierung und einer Reihe anderer Verbrechen gegen die Menschlichkeit einherging. Die historischen Aufzeichnungen sind voll von den Geschichten, die die Serie dramatisiert. Vielleicht ist das der Grund, warum viele Kritiken zu dieser Serie so großzügig ausgefallen sind. Die Leute schätzen vielleicht einfach die Tatsache, dass diese Verbrechen filmisch dargestellt werden. Aber indem Peck indigene Gemeinschaften als völlig hilflos gegenüber der Macht des weißen Mannes darstellt, verstärkt er die Idee, dass weiße Männer die einzigen historischen Akteure sind, die eine nennenswerte Handlungsmacht haben. Darüber hinaus stellt Peck die weiße Gewalt als so mächtig dar, dass jeder Versuch, sich ihr zu widersetzen, zum Tod führt. Beim Zuschauen fand ich diese Szenen so entsetzlich, dass ich am liebsten ganz aufgehört hätte, über diese Geschichte nachzudenken. Und genau das ist die Gefahr. Die Serie überschwemmt das Publikum mit Bildern, die so überwältigend sind, dass es außerstande ist, sich eine Welt ohne die Gewalt der weißen Vorherrschaft vorzustellen.

Africa is a Country

Dieser Artikel erschien im Original auf englisch bei Africa is a Country.

Bei allen Problemen mit dem, was Peck in „Exterminate All the Brutes“ darstellt, so ist das, was er nicht sagt, ebenso beunruhigend. Während der gesamten Serie ist Pecks freche, autoritative Stimme in den Bildern zu hören, die die Gewalt in einer schwindelerregenden Auswahl von Fotos, Videos, Animationen, Illustrationen und Reenactments schildert. Doch wenn es um Bilder von sexueller Gewalt geht, ist Peck seltsam still. In einem Teil der Serie wird zum Beispiel ein beunruhigendes Gemälde mit dem Titel „The Rape of the Negro Girl“ gezeigt, aber es wird kein Kontext angegeben. In einem anderen Teil wird dem Betrachter eine Sammlung von Fotografien weißer Männer gezeigt, die Frauen an verschiedenen Orten der Welt sexuell ausbeuten, aber Peck unternimmt keinen Versuch zu erklären, wie sexuelle Übergriffe als Waffe der Kolonialisierung eingesetzt wurden.

Was aus Pecks Ausstellung dieser Bilder hervorgeht, ist im Wesentlichen ein Gespräch zwischen Männern. Peck reduziert die Frauen und Mädchen auf diesen Bildern auf die vielleicht erniedrigendsten Erfahrungen ihres Lebens, um ihre Unterwerfung als Beweis für die Grausamkeiten des weißen Mannes zu verwenden. Diese Darstellung von sexueller Gewalt verstärkt das, was die Medienwissenschaftlerin Ariella Azoulay als die Tendenz beschrieben hat, sexuelle Gewalt als zufällig in der Geschichte des Kolonialismus zu betrachten. Das heißt, sexuelle Gewalt wird als etwas dargestellt, das einfach während des Kolonialismus passiert ist, anstatt als integraler Bestandteil der Mechanismen der Kolonisierung gesehen zu werden. Nicht nur, dass die Europäer sexuelle Übergriffe als Instrument der Unterwerfung benutzten, die Illustrationen und Fotografien, die Peck zeigt, wurden oft als Postkarten in den europäischen Metropolen verbreitet, um weiße Männer zu ermutigen, in die Kolonien zu gehen und dort ihre sexuellen Fantasien auszuleben. Weiße Frauen ihrerseits nutzten diese Bilder, um ihre Frömmigkeit gegenüber der sexuellen Ausbeutung von Frauen in den Kolonien zu definieren.

Raoul Peck und Josh Hartnett bei den Dreharbeiten zu "Exterminate all the Brutes"

Die Art und Weise, wie wir Geschichten erzählen, ist genauso wichtig wie die Geschichten, die wir erzählen. Das Ziel, das Peck mit dieser Serie verbindet, ist ein ehrgeiziges und lobenswertes. Sicher, die Gewalt, die mit der kolonialen Eroberung einherging, muss filmisch dargestellt werden. Aber es reicht nicht aus, einfach nur grausame Bilder dieser Gräueltaten zu zeigen. Um nuancierte Geschichten über den Kolonialismus zu erzählen, geht es nicht nur darum, eine Geschichte der weißen Gewalt zu erzählen. Es geht darum, die Logik des Weißseins komplett zu dezentrieren, die uns dazu bringt, Geschichte aus der Perspektive weißer Männer zu sehen und darzustellen und sexuelle Gewalt gegen Frauen of Color zu ignorieren.

Was wir brauchen, sind gut kontextualisierte filmische Darstellungen dieser Ereignisse, die über die Ausstellung von Gewalt hinausgehen und neue Möglichkeiten eröffnen, Rechenschaft und Wiedergutmachung zu fordern.

Der Weg zu einer geeigneteren Darstellung der Geschichte des Kolonialismus findet sich in den reichen Traditionen des Widerstands in Gemeinschaften überall auf der Welt. Von der Geschichte des Widerstands der amerikanischen Ureinwohner:innen gegen die westliche Expansion über die Revolutionen gegen Sklaverei und Kolonialismus in Afrika bis hin zu der Art und Weise, wie Frauen auf der ganzen Welt weiterhin Gespräche in den Vordergrund stellen, die die Geschichte des Kolonialismus mit dem Verschwinden, dem Handel und der Ermordung von Frauen in ihren Gemeinschaften in Verbindung bringen – die historischen Aufzeichnungen und der zeitgenössische Aktivismus machen deutlich, dass die weiße Vorherrschaft immer von den Menschen angefochten wurde, die sie zu vernichten sucht. Durch die Marginalisierung dieser Perspektiven und die Fokussierung auf weiße Männer in der Serie hat Peck die Gelegenheit verpasst, sich mit der Geschichte des Kolonialismus auf eine Art und Weise auseinanderzusetzen, die die Zuschauer befähigt, sich eine Zukunft vorzustellen, in der das Weißsein nicht im Zentrum von Macht und Autorität steht.

Marius Kothor ist Doktorandin am Fachbereich Geschichte in Yale mit einem breiten Forschungsinteresse an afrikanischer Geschichte des 20. Jahrhunderts, Gender und Black Internationalism. Ihre Dissertation befasst sich mit den politischen und wirtschaftlichen Beiträgen von Händlerinnen zur Unabhängigkeitsbewegung Togos und wie der antikoloniale Kampf Togos afroamerikanische Diskurse zur Dekolonisierung in Afrika beeinflusste.

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