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Geschichtskarten von keinem Ort

Geschichtskarten von keinem Ort
von Dina A. Ramadan

Im Zuge des sogenannten Arabischen Frühlings begann Julie Mehretu ein einjähriges Projekt, eine Serie großformatiger Gemälde mit dem Titel Mogamma (A Painting in Four Parts) (2012). Der Titel bezieht sich auf das imposante modernistische Regierungsgebäude, das oft fälschlicherweise der sowjetisch geprägten Nasser-Ära zugeordnet wird, tatsächlich aber 1949, also vor Nassers Herrschaft, errichtet wurde. Das am Rande des Tahrir-Platzes gelegene Gebäude steht für die übermächtige Bürokratie, die die Ägypter:innen unter ihrem enormen Gewicht erdrückt. In ähnlicher Weise verschlingen Mehretus vier vertikale Leinwände den Betrachter mit ihren verzerrten, sich verändernden Perspektiven; die Architekturzeichnung in der oberen Hälfte jedes Gemäldes steht auf dem Kopf und erzeugt einen Spiegeleffekt mit dem unteren Teil. Diese grundlegende architektonische Schicht enthält Details von ähnlichen Orten des Widerstands und der Revolution. Mehretu betrachtet diese Räume jedoch nicht als Bühnen, sondern als „Container“, die durch die sich überlagernden Geschichten geschaffen werden und deren Erzählungen durch die Ausbrüche von Tintenmarkierungen und Gesten, die über die Leinwand explodieren, unterbrochen werden. Der Tahrir-Platz – ein ungeplanter öffentlicher Raum, „die Ansammlung von übrig gebliebenen Räumen“, umgeben von Gebäuden, die verschiedene Momente der ägyptischen Geschichte festhalten – verkörpert die Art von archäologischer Ausgrabung, die die Künstlerin seit fast drei Jahrzehnten unternimmt.

Mehretus künstlerische Bilanz in der Mitte ihrer Laufbahn ist atemberaubend und immersiv. Nach einem Jahr, das von Enge und der Winzigkeit des Lebens geprägt war, wirkt das Werk monumental, nicht nur in seinem Umfang, sondern auch in der Weite und Tragweite seiner Vision und der Welt, die sie sich vorstellt. Ihre vielschichtigen Gemälde und Papierarbeiten befassen sich mit Fragen der Macht, der Überwachung, der Migration, des Krieges, der Vertreibung, des Klimawandels und der Globalisierung, wobei sie sowohl Möglichkeiten als auch Schmerz, Hoffnung und zerbrochene Träume festhalten. Indem sie auf ein breites Spektrum von Referenzen zurückgreift, lässt Mehretu geografische und historische Grenzen in Werken verschwinden, die sich gleichzeitig dringlich und aktuell, aber auch uralt und episch anfühlen. Im Laufe ihrer Karriere, in der sie sich der abstrakten Malerei verschrieben hat, hat Mehretu Annahmen über die anhaltende Relevanz und politische Bedeutung dieses Ansatzes in Frage gestellt. Als äthiopisch-amerikanische Frau widersetzt sie sich den Erwartungen, dass Künstler:innen of Colour gegenständliche Werke schaffen sollten, indem sie die Unterscheidung zwischen Figuration und Abstraktion überflüssig macht. (Die „Abwesenheit“ der Figuration in der „traditionellen“ nicht-westlichen Kunst wurde oft als Rechtfertigung für die Ablehnung dieser Praktiken herangezogen).

Nach ihrem Abschluss an der Rhode Island School of Design Mitte der 1990er Jahre begann Mehretu, ein kompliziertes und komplexes Lexikon zu entwickeln, das ein breit gefächertes Vokabular an Einflüssen enthält. In frühen Arbeiten wie Time Analysis of Character Behavior (1997) und Conflict Location Index (1997) führt die Künstlerin akribische Studien – fast wissenschaftliche Sezierungen – ihres experimentellen Systems von Gesten, Markierungen und Symbolen durch. Mithilfe von Diagrammen und Tabellen zeichnet sie die Bewegung und das Verhalten dieser Figuren auf, von denen jede unabhängig ist und ihren eigenen Weg in einem sorgfältig choreografierten Tanz geht.

In den frühen 2000er Jahren änderte sich Mehretus Arbeitsweise, als ihre Anliegen globaler wurden. Ihr Interesse an der Kartografie weitete sich aus und sie bezog Karten, Blaupausen und architektonische Pläne in die vielschichtige Landschaft ein, in der sich ihre früheren Figuren bewegen. Transcending: The New International (2003) verschmilzt Karten von Addis Abeba mit denen anderer afrikanischer Hauptstädte. Durch die Verwendung von Luftbildern einheimischer, modernistischer und internationalistischer Architekturstile spielt die Künstlerin mit der Perspektive, um diese Systeme zu verschmelzen und historische Bahnen zu durchbrechen. Die 1970 in der äthiopischen Hauptstadt geborene Mehretu hat oft über den Einfluss ihrer frühen Kindheit während des Moments panafrikanischer Möglichkeiten gesprochen, der dem Bürgerkrieg (1974-1990) vorausging. Transcending thematisiert die gescheiterten Versprechen afrikanischer dekolonialer Projekte und die anschließende Vereinnahmung dieser Träume, während sie gleichzeitig die Hoffnung anerkennt, die sie einst boten.

Africa is a Country

Dieser Artikel erschien im Original auf englisch unter dem Titel „Story maps of no location“ bei Africa is a Country.

In dieser Zeit wurden Bewegung und Migration zu zentralen Fragen für Mehretu. Retopistics: A Renegade Excavation (2001) erforscht die Mobilität in einer zunehmend globalisierten und transitorischen Welt; Nachzeichnungen von Flughafengrundrissen, U-Bahnsteigen und Bahnhöfen, verschiedene Räume des Transits und der Vorläufigkeit verschmelzen mit Teilen antiker Ruinen. Helle, kühne geometrische Formen schießen mit zentrifugaler Geschwindigkeit über die riesige Leinwand. Sie überlagern schwächere Kartierungen, schattenhafte Maquetten, die sich in ihren verwaschenen Blautönen langsamer zu bewegen scheinen. Aufgrund der enormen Größe des Gemäldes wird auch der Betrachter auf seinem Weg durch das Werk in diese vorübergehenden Prozesse einbezogen. Wenn man sich jedoch der Leinwand nähert, zerfällt das Gemälde, als ob seine Einheit nur aus der Ferne aufrechterhalten werden kann, wenn die Vielzahl der Schichten nicht vollständig zu sehen ist. Aus der Nähe ist die Retopistik voll von Details: Symbole, Markierungen, Funken, zarte ätherische Zeichnungen, die eine mythische Qualität verleihen. Diese Beziehung zwischen Maßstab und Detail ist vielleicht der bemerkenswerteste Aspekt von Mehretus hypnotisierenden Kartografien, ihren „Story Maps of No Location“. Ihre weitläufigen Landschaften entfalten sich ständig vor uns, offenbaren divergierende und desorientierte Perspektiven, schwindelerregende Details, die aufeinanderprallen und sich in alternative Geografien aufspalten.

Im Laufe ihrer Karriere sind Mehretus Leinwände immer dichter und undurchsichtiger geworden. In den seit 2016 entstandenen Arbeiten hat sie die Klarheit identifizierbarer architektonischer Zuordnungen aufgegeben und sie stattdessen als Erscheinungen integriert. In Epigraph, Damascus (2018), einem sechsteiligen Druck, kombiniert sie eine verschwommene Fotografie der zerstörten Hauptstadt mit architektonischen Zeichnungen der Gebäude der Stadt und einer Schicht aus grauen Markierungen und Gesten. Die dunkle, rauchige Farbpalette verfolgt das Werk und verleiht ihm eine gespenstische Qualität. Durch die Einbeziehung unscharfer Bilder – die aus Medienquellen stammen und dann mit Photoshop bearbeitet und beschnitten wurden – gräbt Mehretu das aus, was sie als „die DNA der Fotografie“ bezeichnet, um zu sehen, was nach all diesen Manipulationen noch durchscheint. In ähnlicher Weise verwischt die Künstlerin in Conjured Parts (Eye), Ferguson (2016), das von der Komposition antiker Gedenktafeln inspiriert ist, eine Schwarz-Weiß-Fotografie der Polizei, die gewaltsam gegen Demonstranten vorgeht, und malt sie in das Werk hinein. Als Teil einer Serie, in der jedes Werk mit einem Körperteil und einer Stadt betitelt ist, durchdringt die viszerale und körperliche Natur der Gewalt und die Missachtung Schwarzer und brauner Körper das Werk. Dieses Gefühl der Beunruhigung wird jedoch durch ein Spiel mit Licht und Schatten erzeugt, denn solche Schrecken können weder dargestellt noch lesbar gemacht werden.

Dina A. Ramadan lehrt am Bard College in Berlin moderne und zeitgenössische Kulturproduktion des Nahen Ostens.

Bild im Header: Julie Mehretu, „Stadia II,“ 2004. Courtesy of the artist.

Gefördert durch die Kulturstiftung des Freistaates Sachsen. Diese Maßnahme wird mitfinanziert durch Steuermittel auf der Grundlage des vom Sächsischen Landtag beschlossenen Haushaltes.

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Fotografie

Anajina

Anajina
von Nader Adem

Dies ist die Geschichte einer historischen Stätte und einer einzigartigen kulturellen Tradition, die seit Jahrhunderten im Süden Äthiopiens existiert.

Meine erste Begegnung mit Anajina liegt über 20 Jahre zurück, als ich zum ersten Mal ein Foto in einer Zeitschrift sah, die mein Vater von seiner Reise nach Äthiopien mitgebracht hatte. Ich war beeindruckt von der Schönheit der Stätte, ihrer weißen Farbe und ihrer einzigartigen Architektur, ohne eine Ahnung von ihrer kulturellen oder religiösen Bedeutung zu haben.

From the series Anajina ©Nader Adem. Courtesy of the artist

Die Erinnerung an diese erste Begegnung kam im Juli 2016 zurück, als ich auf dem Flughafen Bale auf meinen Flug nach Frankreich wartete. Ich sah in einer Sammlung von Fotos touristischer Attraktionen Äthiopiens wieder diese faszinierende Stätte. Diesmal beschloss ich, eine Reise zu unternehmen und diesen Ort zu erkunden, nicht nur, um neue Gegenden in meinem Land kennenzulernen, sondern auch als Fotograf, der auf der Suche nach einer neuen, noch nicht erzählten Geschichte ist. Motiviert wurde ich auch durch die Tatsache, dass ich der erste äthiopische Fotograf sein würde, der visuell die Geschichte dieser Stätte erzählt. Schon viele ausländische Fotograf:innen hatten sich diesem Sujet gewidmet, doch es gab keine Arbeiten von lokalen Fotograf:innen. Nach vier Monaten Recherche und einer zweitägigen Reise von Addis Abeba aus erreichte ich den Ort.

From the series Anajina ©Nader Adem. Courtesy of the artist

Eine Pilgerstätte für Tausende

Tausende von Menschen aus vielen Teilen Äthiopiens strömen zweimal im Jahr nach Anajina, um zu Gott zu beten und an religiösen Ritualen teilzunehmen, um Segen und geistige Erneuerung zu erhalten. Dire Sheikh Hussein oder (Anajina), wie es in der Oromo-Sprache heißt, ist eine heilige Stätte in Bale, im südlichen Teil Äthiopiens. Sie stammt aus dem 12. Jahrhundert und ist nach einem hoch verehrten und geachteten muslimischen Gelehrten namens Sheikh Nur Hussein benannt, der für seine religiösen Lehren, seine große Hingabe und seine bemerkenswerten Wundertaten bekannt war. Es wird geglaubt, dass Gott denjenigen, die die lange und tückische Reise durch Berge und Wüsten auf sich genommen haben, seit Jahren immer wieder beisteht.

From the series Anajina ©Nader Adem. Courtesy of the artist

Anajina ist jedoch einer großen Bedrohung durch diejenigen ausgesetzt, die eine puritanischere Version des Islams befürworten, während der Einfluss des Wahhabismus in der Region zunimmt.

Zur Zeit meiner Ankunft trafen viele Pilger:innen ein, um sich auf das Fest Eid Arafah vorzubereiten, eines der beiden jährlichen Feste in der Region.
Die Pilger kommen gewöhnlich am Nachmittag des ersten Tages in Anajina an, um die Feierlichkeiten am Abend und in der Nacht zu genießen. Sie rezitieren Gedichte, die Gott und Scheich Nur Hussein preisen, schmücken ihr Gesicht mit der weißen Kreide des Ortes als religiöse Pflicht zur Einhaltung der rituellen Praktiken und beten durch ihn zu Gott, in der Hoffnung, dass ihre Wünsche nach spiritueller Erneuerung bald erfüllt werden.

From the series Anajina ©Nader Adem. Courtesy of the artist

Anajina ist ein Ort der Wallfahrt, des Sufismus und der ästhetischen, architektonischen und sozialen Werte, die für die kulturelle Vielfalt in Äthiopien stehen.

From the series Anajina ©Nader Adem. Courtesy of the artist
Nader Adem ist ein Fotograf aus Addis Ababa. fotografiert seit 2012 Portraits und Reportagen, arbeitet aber auch als Werbefotograf.
Nader Adem auf Instagram
www.naderadem.com
Gefördert durch die Kulturstiftung des Freistaates Sachsen. Diese Maßnahme wird mitfinanziert durch Steuermittel auf der Grundlage des vom Sächsischen Landtag beschlossenen Haushaltes.

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Film Verschiedenes

Wie eine starke Kreativindustrie Volkswirtschaften auf die Sprünge hilft

Wie eine starke Kreativindustrie Volkswirtschaften auf die Sprünge hilft
von Dr. Mehret Mandefro

Die Filmemacherin Mehret Mandefro spricht für TED über die wichtige Rolle der Kreativindustrie in Äthiopien und weltweit.

Wenn Staats- und Regierungschefs darüber nachdenken, welche Branchen das Wirtschaftswachstum ankurbeln können, wird die Kunst oft übersehen. Doch die Filmemacherin Mehret Mandefro ist der Meinung, dass der Kreativsektor tatsächlich die Kraft hat, die Wirtschaft wachsen zu lassen – und gleichzeitig die Demokratie zu stabilisieren. In diesem spannenden Vortrag gewährt sie einen Blick hinter die Kulissen, wie sie die Kultur in Äthiopien wieder auf die wirtschaftliche Agenda setzt, und erklärt, warum andere Länder davon profitieren würden, das Gleiche zu tun.

Stellen Sie sich vor, wie viel effektiver Musik, Filme und Kunst wären, wenn Künstler gut bezahlte Jobs hätten und die Regierung sie unterstützen würde. In diesem Fall gehen Wirtschaftswachstum und demokratisches Wachstum Hand in Hand. Ich denke, jede Regierung, die Kunst als ein "nice to have" und nicht als ein "must-have" ansieht, macht sich etwas vor. Kunst und Kultur in all ihren Formen sind unverzichtbar für das wirtschaftliche und demokratische Wachstum eines Landes. Gerade Länder wie Äthiopien können es sich nicht leisten, genau den Sektor zu ignorieren, der das Potenzial hat, den größten zivilen Einfluss auszuüben.

Der ganze Talk auf deutsch

Ich habe vor 15 Jahren angefangen, Filme zu machen, während meiner Facharztausbildung für Innere Medizin, wie man das eben so macht. Ich forschte zu HIV-Disparitäten bei schwarzen Frauen, und aus dieser Arbeit wurde ein Dokumentarfilm, und seitdem mache ich Filme. Ich betrachte die Filme und Serien, die ich mache, als eine Art visuelle Medizin. Damit meine ich, dass ich versuche, Geschichten auf die Leinwand zu bringen, die große soziale Barrieren ansprechen, wie Rassismus in Amerika, Geschlechterungleichheit in Äthiopien und globale gesundheitliche Ungleichheiten. Und es ist immer meine Hoffnung, dass die Zuschauer inspiriert werden, etwas zu unternehmen, um den Menschen zu helfen, diese Barrieren zu überwinden. Visuelle Medizin.
Die meiste Zeit lebe und arbeite ich in Äthiopien, dem Land, in dem ich geboren wurde, und derzeit sitze ich im Beirat der Kommission der äthiopischen Regierung zur Schaffung von Arbeitsplätzen. Jetzt fragen Sie sich sicher, was eine Ärztin, die zur Filmemacherin und nicht zur Wirtschaftswissenschaftlerin geworden ist, in der Arbeitsbeschaffungskommission zu suchen hat. Nun, ich glaube, dass die kreative Industrie, wie Film und Theater, Design und sogar Mode, das Wirtschaftswachstum und die demokratischen Ideale in jedem Land fördern kann. Ich habe es gesehen, ich habe dabei geholfen, und ich bin hier, um Ihnen ein wenig mehr darüber zu erzählen.
Aber zuerst etwas Kontext. In den letzten 15 Jahren war Äthiopien eine der am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften der Welt. Dieses Wachstum hat zu einer Verringerung der Armut geführt. Aber laut Zahlen aus dem Jahr 2018 liegt die Arbeitslosenquote in den städtischen Gebieten bei etwa 19 Prozent, mit einer höheren Arbeitslosenquote unter Jugendlichen zwischen 15 und 29 Jahren. Es ist keine Überraschung, dass diese Zahlen unter jungen Frauen noch höher sind. Wie der Rest Afrikas ist Äthiopiens Bevölkerung jung, was bedeutet, dass der städtische Arbeitsmarkt weiter wächst, die Menschen in die Arbeitswelt hineinwachsen und es nicht genug Jobs gibt.
Versetzen Sie sich also in die Lage einer Regierung, die darum kämpft, genügend gut bezahlte Arbeitsplätze für eine wachsende Bevölkerung zu schaffen. Was würden Sie tun? Ich vermute, Ihr erster Gedanke ist nicht: „Hey, lasst uns den kreativen Sektor ausbauen.“ Wir sind darauf konditioniert worden, die Kunst als eine nette Sache zu betrachten, die man gerne hat, aber nicht wirklich als einen Platz am Tisch für Wirtschaftswachstum und Sicherheit. Ich bin da anderer Meinung.

Das Motto von Dr. Mehret Mandefro, eigene Seite

Als ich vor vier Jahren nach Äthiopien zog, dachte ich nicht über diese Probleme der Arbeitslosigkeit nach. Ich dachte vielmehr darüber nach, wie ich die Aktivitäten eines Medienunternehmens, das ich mitbegründet hatte, Truth Aid, in den USA ausbauen könnte. Äthiopien schien ein aufregender neuer Markt für unser Unternehmen zu sein. Am Ende meines ersten Jahres in Äthiopien schloss ich mich einem jungen Fernsehsender an, der auf die Medienszene stürmte, Kana TV, als dessen erste ausführende Produzentin und Direktorin für soziale Auswirkungen. Meine Aufgabe war es, herauszufinden, wie man erstklassige Originalinhalte in Amharisch, der offiziellen Sprache, in einem Arbeitsmarkt produzieren konnte, in dem die Fähigkeiten und die Ausbildung für Film und Fernsehen begrenzt waren. Es gab eigentlich nur eine Möglichkeit, wie wir das machen konnten. Wir mussten stark in die Ausbildung investieren.
Ich war damit beauftragt, das Drehbuchteam auszubilden, und es gab wirklich nur einen Weg, wie wir das tun konnten: on the job, indem ich meine Mitarbeiter dafür bezahlte, Fernsehen zu machen, während sie lernten, wie man Fernsehen macht. Ihr Durchschnittsalter lag bei 24 Jahren, es war ihr erster Job nach der Universität, und sie waren begierig, zu lernen. Wir bauten ein Weltklasse-Studio und begannen.

Die erste Show, die wir als Produkt unserer Ausbildung produzierten, war eine Scripted-Serie mit einer mächtigen Familie im Zentrum namens „Inheritance“. Die zweite Show war Äthiopiens erstes Teenager-Drama namens „Yegna“ und wurde in Zusammenarbeit mit der gemeinnützigen Organisation Girl Effect produziert. Diese Shows machten die Darsteller über Nacht zu Stars und gewannen das Publikum für sich, und der beste Teil meines Jobs wurde schnell zur Leitung dessen, was im Wesentlichen eine Talentschmiede für die Produktion von Inhalten war. Kana produzierte daraufhin mehrere eigene Sendungen, darunter eine Gesundheits-Talkshow namens „Hiyiweti“, was übersetzt „mein Leben“ bedeutet.
Das ist natürlich toll für Kana, aber wir haben etwas Größeres gemacht. Wir haben ein Modell dafür geschaffen, wie Ausbildung zu Beschäftigung wird, und das in einem Markt, in dem die Schaffung neuer Arbeitsplätze, insbesondere für junge Menschen, eine der größten demografischen Herausforderungen ist.
Nun kann man nicht sagen, dass man ein großes soziales Problem wie die Arbeitslosigkeit beseitigt hat, wenn die Arbeitsplätze, die man schafft, nur den Interessen eines einzigen Unternehmens des privaten Sektors dienen. Ich wollte, dass die Crews, die ich ausgebildet hatte, internationale Produktionsstandards kennenlernen und war so begeistert, als eine kanadisch-irische Koproduktion, die ich als Executive Producer betreute, nach Äthiopien kam, um den Spielfilm „Sweetness in the Belly“ zu drehen.

Ich kontaktierte den CEO der staatlichen Führungen in Äthiopien, um zu sehen, ob wir diesen Film als Lernfallstudie verwenden könnten, wie die Regierung das Filmemachen und die Filmemacher unterstützen kann. Das Argument war, dass Filme das Wirtschaftswachstum fördern und Tourismusdollars auf zwei wichtige Arten anziehen können: indem sie Produktionsarbeit nach Äthiopien bringen und, was noch wichtiger ist, indem sie Äthiopien und seine einzigartigen kulturellen Werte in der Welt bekannt machen. Letzteres zapft die Ausdruckskraft einer Nation an.
Aber die Geschichte wird noch besser. Das war genau zu der Zeit, als die Kommission für die Schaffung von Arbeitsplätzen mich beauftragte, eine diagnostische Studie durchzuführen, um die ungedeckten Bedürfnisse von Subsektoren wie Film, bildende Kunst und Design zu bewerten und zu sehen, was die Regierung tun könnte, um auf diese Bedürfnisse zu reagieren. Nachdem wir die Studie abgeschlossen hatten, gaben wir politische Empfehlungen ab, um die Kreativwirtschaft als eine Dienstleistungsbranche mit hohem Potenzial in den National Jobs Action Plan aufzunehmen. Dies führte zu einer größeren Anstrengung namens Ethiopia Creates, die gerade damit beginnt, die Unternehmer der Kreativwirtschaft zu organisieren, damit der Sektor florieren kann. Ethiopia Creates organisierte kürzlich eine Filmexport-Mission zum europäischen Filmmarkt, wo ein Team äthiopischer Filmemacher ihre Projekte für potenzielle Finanzierungsmöglichkeiten vorstellen konnte.
Nun ist es ein unglaublich wichtiger Meilenstein, Kultur auf die wirtschaftliche Agenda zu setzen. Aber in Wahrheit geht es um weit mehr als nur um Arbeitsplätze. Äthiopien befindet sich an einem kritischen Punkt, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch demokratisch. Es scheint, als ob der Rest der Welt an einem ähnlichen „Make-or-Break“-Moment steht. Aus meiner Perspektive vor Ort in Äthiopien kann das Land einen von zwei Wegen einschlagen: entweder einen Weg der inklusiven, demokratischen Teilhabe oder einen eher spaltenden Weg der ethnischen Spaltung. Wenn wir uns alle einig sind, dass der Weg der Inklusion der richtige ist, stellt sich die Frage: Wie kommen wir dorthin?

Dr. Mehret Mandefro

Ich würde behaupten, dass einer der besten Wege, die Demokratie zu sichern, darin besteht, jeden mit den Geschichten, der Musik, den Kulturen und der Geschichte der anderen in Kontakt zu bringen, und natürlich ist es die Kreativwirtschaft, die das am besten kann. Es ist der Sektor, der der Zivilgesellschaft beibringt, wie man Zugang zu neuen Ideen findet, die frei von Vorurteilen sind. Künstler haben seit langem Wege gefunden, Inklusion zu inspirieren, Geschichten zu erzählen und Musik zu machen, um eine nachhaltige politische Wirkung zu erzielen. Der verstorbene, große amerikanische Held, der Kongressabgeordnete John Lewis, verstand dies, als er sagte: „Ohne Tanz, ohne Schauspiel, ohne Fotografie wäre die Bürgerrechtsbewegung wie ein Vogel ohne Flügel gewesen.“
Jetzt stellen Sie sich vor, wie viel effektiver Musik, Filme und Kunst wären, wenn Künstler gut bezahlte Jobs hätten und die Regierung sie unterstützen würde. In diesem Fall gehen Wirtschaftswachstum und demokratisches Wachstum Hand in Hand. Ich denke, jede Regierung, die Kunst als ein „nice to have“ und nicht als ein „must-have“ ansieht, macht sich etwas vor. Kunst und Kultur in all ihren Formen sind unverzichtbar für das wirtschaftliche und demokratische Wachstum eines Landes. Gerade Länder wie Äthiopien können es sich nicht leisten, genau den Sektor zu ignorieren, der das Potenzial hat, den größten zivilen Einfluss auszuüben. So wie John Lewis verstand, dass die Bürgerrechtsbewegung ohne die Künste nicht flügge werden konnte, so kann auch die Zukunft Äthiopiens oder eines anderen Landes, das sich in einer schwierigen Phase befindet, ohne einen florierenden Kreativsektor, der wie eine Industrie organisiert ist, nicht flügge werden. Die wirtschaftlichen und demokratischen Vorteile, die diese Branchen bieten, machen die Kreativwirtschaft zu einem wesentlichen Faktor für Entwicklung und Fortschritt.

Filmdatenblatt Berlinale: DIFRET

Anwältin Meaza Ashenafi hat in Addis Abeba ein Netzwerk gegründet, das mittellosen Frauen und Kindern kostenlosen Rechtsbeistand gewährt. Mutig setzt sie sich gegen alle Schikanen von Polizei und männlichen Regierungsvertretern zur Wehr.
Mandefro wurde 1977 in Addis Abeba geboren und wuchs in den USA auf. Ihr Vater, Ayalew Mandefro, war äthiopischer Verteidigungsminister. Ihre Familie flüchtete in die USA, nachdem das kommunistische Regime in Äthiopien versucht hatte, ihren Vater zu ermorden. Nach einem erfolgreichen Medizinstudium in den USA promovierte sie in Kulturanthropologie an der Temple University, wo sie eine Dissertation über die Gestaltung der amerikanischen Gesundheitspolitik in der Bundesregierung verfasste. Anschließend absolvierte sie eine Ausbildung in internistischer Grundversorgung, wo sie Forschungen über HIV-Disparitäten bei Schwarzen Frauen betrieb.
Mandefro war a White House Fellow in der Obama-Administration. Heute ist sie Filmemacherin, Gruppenleiterin bei Indaba Africa, Mitbegründerin des Realness Institute und Mitbegründerin von Truth Aid Media und ist Mitglied des Beirats des Shared Harvest Fund.

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