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Mode & Design

Yinka Ilori

Yinka Ilori
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Die Farbexplosion nigerianischer Art in London

Der Londoner Designer Yinka Ilori verarbeitet in seinen Werken Erinnerungen an eine fröhliche, bunte Kindheit. Er will die Geschichte seines nigerianischen Erbes mit Hilfe von Möbeln erzählen und seinen charakteristischen farbenfrohen Stil in größere Architekturprojekte in London einbringen.

Yinka Ilori, © Creative Review

Bei uns gab es immer Parties, wir gingen in die Kirche und zu Hochzeiten, und zu diesen speziellen Anlässen trugen die Menschen immer überall Farben. Es war eine Farbexplosion! Menschen sind immer glücklich, wenn sie Farben tragen.
Da ist aber auch diese Sehnsucht nach Zuhause. Du vermisst bestimmte Aspekte deines Dorfes oder deiner Stadt oder deiner Mutter oder deines Vaters oder deiner Familie. Ich versuche also, diese besonderen Schlüsselmomente zu erinnern und welche Farben getragen wurden und dann bringe ich diese Farben in meine Arbeiten ein.

Beim Londoner Architekturfestival gewann ein Entwurf Iloris zur Neugestaltung einer düsteren Straßenunterführung in der Londoner Thessaly Road den ersten Preis. Die Umsetzung kann sich sehen lassen: Die farbenfrohen Muster lassen die Straßenunterführung fast zu einem einladenden Raum für Fußgänger:innen und Radfahrer:innen werden. Die örtliche Gemeinde sei jedenfalls stolz, so Ilori.

Happy Street © Yinka Ilori

2019 durfte Ilori zusammen mit einem Architektenteam den zweiten Pavillion im Londoner Dulwich Center gestalten. Das Ergebnis war ein zehn Meter hoher Würfel, der auf vier roten Zylindern steht und europäische und afrikanische kulturelle Traditionen vereint. Der Bau soll laut Ilori Studio eine Feier von Farben, Mustern und Licht sein und das multikulturelle London widerspiegeln. Stoffe und Muster, die man auf dem Lagoser Markt Balogun in Lagos ebenso bewundern könne wie in Londons „Little Lagos“, hätten das das kühne geometrische Muster des Pavillons inspiriert, das einen starken Kontrast zu dem von Sir John Soane entworfenen, unter Denkmalschutz stehenden Galeriegebäude bildet.

der Colour Palace im Dulwich Center

Im selben Jahr überraschte Ilori mit einem ähnlich starken Kontrast zur Architektur Londons durch seinen Beitrag zur Ausstellung Get up stand up now im Somerset House. Das Somerset House wollte die Auswirkungen von 50 Jahren Schwarzer Kreativität in Großbritannien feiern und zeigte zu diesem Anlass eine große Auswahl von Werken aus Kunst, Film, Fotografie, Musik, Literatur, Design und Mode.

Der Kurator Zak Ové lud das Yinka Ilori Studio ein, die neoklassizistische Umgebung des Hauses in eine aufrührerische, farbenfrohe Kulisse für Hunderte von Kunstwerken zu verwandeln. Das Projekt umfasste auch eine lebendige, mehrfarbige Türverkleidung und maßgefertigte Möbel einschließlich gepolsterter Sitze.

Yinka Iloris farbenfrohe Gestaltung des Somerset House

Iloris Werkstatt ist voll von Referenzen, die in Lagos und im Dorf seiner verstorbenen Großmutter gesammelt wurden – Stoffe, Gemälde… und Musik. Tief inspiriert von nigerianischen Afrobeat-Pionieren wie Fela Kuti, King Sunny Ade und Ebenezer Obey, kann man diese Rhythmen sogar in den statischen Objekten spüren, die er produziert:

Zum Weiterlesen und Weitergucken:
Yinka Iloris Website
Yinka Iloris Instagram Account

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Film Musik

Kinshasa Symphony

Kinshasa Symphony
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Eine Ode an ein passioniertes Orchester im Kongo

Wenn wir an der Musik arbeiten, gibt es keine Grenzen. Es ist wie eine Treppe: Man geht hinauf und hinauf.

Dieser Dokumentarfilm über ein Symphonierorchester aus Kinshasa ist zwar schon zehn Jahre alt, aber immer noch ein absoluter Hochgenuss! Er nimmt uns mit in den Alltag der Mitglieder des höchst außergewöhnlichen „Orchestre Symphonique Kimbanguiste“ in der Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo.

Der Dirigent Armand Diangienda gründete das Orchester 1994, nachdem er seinen Job als Flugzeugpilot verloren hatte. Er hat nie eine Ausbildung an einem Konservatorium absolviert, sondern bezeichnet sich selbst im Film einfach als von Natur aus neugierig. Das Ensemble benannte er nach seinem Großvater Simon Kimbangu, einer politischen Ikone der kongolesischen Geschichte.

Als Diangienda zum ersten Mal zwölf junge Menschen versammelte, die Geige spielen lernen wollten, hatte er beispielweise nur fünf Instrumente: „Einer spielte immer 20 Minuten lang und gab dann die Geige an den Nächsten weiter“. Als die Geigensaiten rissen, ersetzten sie sie durch Bremszüge von alten Fahrrädern. Wenn sie eine C-Trompete brauchten, zerschnitten sie ein anderes Instrument. Und als sie einen Schallbecher für eine andere Trompete brauchten, bauten sie den Radkranz aus einem alten Kleinbus um.

Da die Demokratische Republik Kongo schon lange von Krieg, Ausbeutung, Armut und Korruption heimgesucht wird, haben die Musiker:innen des Orchesters ständig logistische Probleme wie Stromausfall oder Mangel an Instrumenten, aber gegen alle Widerstände proben sie anspruchsvolle Werke wie Beethovens Neunte Symphonie und Orffs Carmina Burana. Aus purer Liebe zu der Musik überwinden die sie ein Hindernis nach dem nächsten und geben schließlich zum Unabhängigkeitstag des Kongos ein großes Freiluftkonzert in Kinshasa.

Der Film begleitet einige Mitglieder des Orchesters auf deren Weg zum Konzert und zeigt diese bei den Proben als auch im Alltag bei deren Arbeit und zuhause. Er endet mit Ausschnitten des Auftritts.

Das ist ein bisschen verborgen, aber es gibt afrikanische Rhythmen bei Beethoven

Kinshasa Symphony wurde von den deutschen Regisseuren Claus Wischmann und Matin Baer realisiert. Er gewann zahlreiche Preise, zum Beispiel den Publikumspreis beim Festival des Deutschen Films 2010, beim Bolzano Cinema 2011 und beim Frestival de Cine Aleman Buenos Aires, sowie den Preis für den besten Dokumentarfilm beim CJM Film Festival 2010.

Hier geht es zur offiziellen Website des Film.

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Fotografie

Cedric Mizero

Cedric Mizero

Er ist Modedesigner, Fotograf und bildender Künstler. Cedric Mizero aus Ruanda hat viele kreative Eisen im Feuer. Geboren und aufgewachsen im Dorf Gishoma in der Westprovinz des Landes, zog er 2012 in die Hauptstadt Kigali um. Heute ist er für sein Konzept Fashion For All bekannt, mit dem er die unbesungenen ländlichen Gemeinden seines Landes feiert.

Wie Cedric selbst sagt, hat er eine einzigartige Vision von Mode, die auf Zusammenarbeit und Inklusivität beruht. Sein Langzeitprojekt Mode für alle ist ein Konzept, das tief in seiner Inspiration durch das ländliche Ruanda verwurzelt ist und darauf abzielt, das Bewusstsein für soziale Fragen zu schärfen und durch künstlerischen Ausdruck eine Stimme für die Menschen darzustellen. Mode für alle stellt die Frauen und Männer des Dorfes in den Mittelpunkt der Modekollektionen und lädt dazu ein, über den Wert jedes Einzelnen und ihr Recht auf Zugang und Genuss von Mode unabhängig von Alter, Größe, sozialem oder wirtschaftlichem Status nachzudenken.

Mann auf Schubkarre
Aus der Serie "Fashion for all" © Cedric Mizero

Mode sollte niemals einem bestimmten Alter, einer bestimmten Konfektionsgröße oder einem bestimmten sozialen oder ökonomischen Status vorbehalten sein.

Im Rahmen des Fashion for All Konzeptes schuf Cedric Mizero 2017 die Ausstellung und Kunstinstallation Strong Women, in der Fotografie, Mode und gemischte Medien die weibliche Stärke, Energie und Verantwortung in den Fokus rücken.

Diese Arbeit sollte die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Landfrauen Ruandas lenken und ihnen eine Stimme verleihen und ihre Stärken und gesellschaftliche Rolle anerkennen und würdigen.

Frau mit Tomaten im Korb
Aus der Serie "Strong Women" © Cedric Mizero

Die Fortsetzung zu Cedrics Fotografien starker Frauen heißt A New Life in the Village. Diese Reihe soll die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Probleme von ruandischen Frauen lenken. Es zeigt einige der Herausforderungen auf, denen sie zum Beispiel in ihrer Beziehung zur Medizin gegenüberstehen.

Wie Cedric auf seiner Website schreibt, hat in den letzten Jahren die Verbreitung von modernen Medikamenten den Gebrauch von traditionellen Heilmethoden teilweise verdrängt. Ohne die positiven Aspekte dieser neuen Realität zu untergraben, wolle A New Life in the Village die Frage stellen, was diese Medizin-Revolution für die Menschen in ländlichen Gebieten bedeutet und welche Herausforderungen und Verantwortlichkeiten den Frauen, die als Eckpfeiler der Familie fungieren, bleiben. Diese Fragen bezögen sich auf Bewusstsein, Zugänglichkeit, Verteilung und Nutzung.

Mizeros künstlerischer Ansatz des Geschichtenerzählens strebt danach, bei einem vielfältigen Publikum, das an Realitäten interessiert ist, die zwar global und in vielen Gesellschaften präsent sind, aber aus kultureller Sicht von ihrem Leben losgelöst werden können, ein Nachdenken auslösen...

Aus der Serie "A New Life in the Village" © Cedric Mizero

A New Life in the Village war ein Auftragsprojekt von Store X.
Zur Website von Cedric Mizero geht es hier.

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Musik

Das Bleaching von Techno

Ein Gespräch über das Bleaching von Techno
Wie Aneignung normalisiert und aufrecht erhalten wird

Als Freunde, die sich schon viele Jahre kennen und durch elektronische Musik zueinander gefunden haben, hatten wir schon viele Gespräche über unsere Erfahrungen mit Rassismus in der Amsterdamer Tanzmusik Szene und haben kürzlich beschlossen, einen Teil unserer zuletzt am häufigsten erlebten Kümmernisse aufzuschreiben. Die folgende Unterhaltung fand vor der aktuellen Welle von Protesten statt und trotz des aktuellen Nachdenkens über anti-Schwarzen Rassismus von weißen Akteuren in der Szene sind eine Menge der angesprochenen Themen und Herausforderungen noch immer sehr relevant. Obwohl die holländische Szene im Fokus der Diskussion steht, können überall auf der Welt ähnliche Dynamiken beobachtet werden.

Diese Unterhaltung zwischen Axmed Maxamed und Mathys Rennela fand im November 2019 statt.

Axmed: Kulturelle Aneignung, Künstler:innen, die ‚Schwarze Namen‘ benutzen und sich Schwarze Kulturen aneignen, Geschichten von unverhohlenem und endemischem Rassismus innerhalb der Tanzmusik Szenen, … das sind Themen, die wir in den letzten paar Jahren viel diskutiert haben.

Mathys: In Bezug auf Musik Kreise geht das Ganze weit über kulturelle Aneignung hinaus. Vor allem weil es so viel Musikproduktion vom afrikanischen Kontinent und auch aus der Diaspora und von People of Colour generell gibt. So viele Traditionen und musikalische Werke werden komplett übernommen und von der Industrie ge-whitewashed. Für manche Künstler:innen geht es wirklich darum, eine Schwarze künstlerische Identität anzunehmen, was ich sehr, sehr interessant finde. Ich war letztes Jahr auf dem Dekmantel Festival und ich glaube an dem Freitag oder Samstag….

Axmed: Ich erinnere mich, dass du davon erzählt hast.

Mathys: Ja! Ich erinnere mich, wie aufgeregt ich war, im Line-up einige Künstler:innen aus Afrika zu sehen, wie zum Beispiel Ugandan Methods und da war auch ein Duo, das nach einer Insel im Pazifik benannt war.

Axmed: Nu Guinea.

Mathys: So hießen die. Ich war also aufgeregt, die zu sehen, aber als ich hingegangen bin, habe ich gesehen, dass das zwei weiße Typen waren. Als ich meine Überraschung darüber auf Twitter teilte, waren eine Menge PoC vor allem wegen Ugandan Methods überrascht. Ich habe dann noch weiter die Künstler:innen ausgecheckt und war wirklich überrascht, als mir klar wurde, dass Kamaal Williams gar nicht Schwarz ist. Wenn man den Namen Kamaal Williams hört, zieht man automatisch die Verbindung zum Schwarzen Amerika, vor allem im Zusammenhang mit seiner Musik.

Axmed: Außerdem heißt sein Label Black Focus Records. Als ich das sah, dachte ich ‚Was geht hier vor?‘ Ich weiß, dass er den Namen Kamaal annahm, als er zum Islam konvertierte, bin aber nicht sicher, woher Williams kommt. Dann fing er auch an, arabische Buchstaben in künstlerischen Werken zu benutzen, zum Beispiel für sein Label.

Mathys: Ich frage mich echt, was die wahre Motivation dafür ist, eine Schwarze Identität anzunehmen. Als DJ hat man doch ohnehin Zugang zu Platten von Schwarzen Künstler:innen und man kann Karriere machen, wie das ja auch viele Leute getan haben, indem man einfach Musik vom afrikanischen Kontinent oder karibische Musik spielt. Ich frage mich also, was der Anreiz ist, eine Schwarze Identität anzunehmen. Für mich hat das wirklich Ähnlichkeiten zu dem ‚Sex sells‘ Trend in der elektronischen Tanzmusik, wo attraktive und leicht bekleidete Frauen benutzt werden, um Werbung zu machen für Parties und Festivals, da es kulturell akzeptiert ist, dass diese zwei Dinge zusammengehören. Die Code Switch Podcast Folge ‘Give it up for dj blackface’ handelt von der Tatsache, dass House und Techno ihren Ursprung bei Schwarzen Künstler:innen haben und dass das Annehmen einer Schwarzen Identität Glaubhaftigkeit verschafft. Jedenfalls ist das Whitewashing von House und Techno gänzlich abgeschlossen. Wie auch im Podcast erwähnt wird: Wenn man einen durchschnittlichen weißen Europäer nach der Geschichte von House oder Techno fragt, sagt er wahrscheinlich eher Daft Punk als Jeff Mills.

Dweller forever. writings from a black perspective

Dieser Artikel erschien ursprünglich bei Dweller. Dweller ist seit 2019 ein Festival für elektronische Musik, das Schwarzen Künstler:innen für elektronische Musik eine Plattform bietet und seit 2020 auch ein Blog, dessen Artikel Schwarze Perspektiven fokussieren.

Axmed: Ja, das Bleaching von House und Techno ist definitiv abgeschlossen und nicht nur weiße Leute denken, dass es sich dabei um Musik handelt, die weiß ist, sogar Schwarze Leute glauben das. Die Geschichte wurde total ausgelöscht, auch wenn sie noch nicht so lange her ist. Ich erinnere mich an die Reaktion der Leute, die nicht in Tanzmusik involviert sind, als Black Queer & Trans Resistance NL die Podcast Folge geteilt hat, von der du geredet hast.

Mathys: Obwohl das Annehmen von Schwarzen Identitäten alles andere als ein neues Phänomen ist. Ein gutes Beispiel ist Italo Disco. Um mehr Glaubhaftigkeit zu gewinnen, bestanden Bands wie Change komplett aus Schwarzen Sänger:innen und Tänzer:innen, auch wenn die Proudzent:innen weiß waren. Man könnte argumentieren, dass es wichtig für Marketing Zwecke war, vor allem Schwarze Gesichter im Programm zu haben. Sogar Luther Vandross hat kurz zu dieser Band gehört. Und es überrascht nicht, dass die Anfänge von Italo Disco mit dem ‚Verbot‘ von Disco in den Staaten zusammenfielen, mit anti-Disco Events wie der Disco Demolition Night am 12. Juli 1979 im Comiskey Park in Chicago. Diese anti-Disco Bewegung war ein richtiger Whitelash (auch White Backlash oder White Rage Backlash, ist die negative Reaktion weißer Menschen auf den Fortschritt anderer ethnischer Gruppen in Bezug auf deren Rechte und Möglichkeiten, ihre wachsende kulturelle Parität oder politische Selbstbestimmung, Anm. Red.), angeführt von weißen Cis-Menschen und gegen das Aufkommen von Musikgenres, die aus queeren Gemeinschaften von People of Colour kamen.

Axmed: Ja, und das war auch Teil des Aufkommens von Eurodisco und von dem, was auch ‚post disco‘ genannt wurde und aus dem Bands wie Boney M entstanden sind, auch ein Projekt eines weißen Produzenten mit lauter Schwarzen Bandmitgliedern. Das ist eine ganz andere Diskussion, aber es lohnt sich, darauf hinzuweisen, wie ersetzbar viele der Bandmitglieder waren. Aber grundsätzlich gab da eine weiße Person den Ton an.

Mathys: Lange Zeit war Rap, vor allem Gangsta Rap, Musik, die nur von Schwarzen Künstler:innen gemacht werden konnte, dann wurde er mit dem Bekanntwerden von weißen Rappern wie zum Beispiel Eminem an ein größeres (vorwiegend weißes) Publikum vermarktet und nun ist das Genre teilweise entkoppelt von dem sozio-ethnischen Hintergrund, in dem es seinen Ursprung hatte. Ich habe das Gefühl, in der Tanzmusik haben wir einen Punkt erreicht, an dem sie so ge-whitewashed ist, dass es für weiße Künstler:innen ohnehin nicht mehr nötig sein sollte, eine Schwarze Identität anzunehmen. Ich empfinde es also so, dass es nicht mehr nur um Marketing und Glaubhaftigkeit geht, sondern auch darum, ein Statement zu machen.

Axmed: Interessant, dass du das sagst, denn die Frage ist, was dieses Statement eigentlich genau ist? Ich glaube ehrlich, dass du manchen dieser Künstler:innen zu viel zugestehst, wenn du denkst, dass sie lange darüber nachdenken, Schwarze Identitäten zu benutzen. Ich würde eher argumentieren, dass weiße Künstler:innen die Welt als ihr Spielfeld begreifen und ihnen die Konsequenzen und Auswirkungen ihrer Entscheidungen auf Schwarze und farbige Künstler:innen und Partygänger:innen egal sind. Wenn man es herunterbricht, geht es darum, dass die Szene sich kein bisschen um Schwarze Menschen kümmert, was natürlich ein Produkt der Gesellschaft ist, in der wir leben.Zusätzlich dazu gibt es immer noch Möglichkeiten, das Annehmen einer Schwarzen Identität als Verkaufspunkt zu nutzen. Ein gutes Beispiel dafür in den Niederlanden ist Beesmunt Soundsystem, die den Namen Tanzania Soundsystem für eine ihrer Veröffentlichungen genutzt haben, zusammen mit Swahili Wörtern und Sätzen für die Tracktitel:

Msichana = Mädchen
Mdomo= Mund oder Lippen
Ngono Kijiji = Sex auf dem Dorf
Upotofu = Unmoralisch oder beschämend

Einer der Tracks beinhaltet Massai Gesang und die anderen sind ‚Remixes‘ von Klassikern tansanischer Rumba Bands wie zum Beispiel der Juwata Jazz Band, deren Mitglieder noch leben soweit ich weiß. Wurden die bezahlt? In der Pressemitteilung verweist das Highlife label nicht auf Beesmunt Soundsystem, sondern auf ‚the mysterious Tanzania Sound System‘. Auf dem Coverbild sind zwei nicht identifizierbare Figuren in traditioneller Kleidung und die tansanische Flagge. Das hängt auch stark zusammen mit der ‚Digger-Szene‘, in der meist weiße Djs und Labelbesitzer die ersten sein wollen, die Musik aus ‚weit entfernten Ländern‘ ‚entdecken‘ wollen, wobei sie Leuten ihre Kultur wegnehmen, ohne die Bedeutung hinter der Musik zu verstehen, um sie dann an ein größtenteils weißes Publikum zu vermarkten. Und natürlich davon profitieren. Wir haben zum Beispiel auch über Awesome Tapes From Africa gesprochen.

Mathys: Das ist irgendwie ein Ausdruck von Neokolonialismus. Wenn Leute an Musik vom afrikanischen Kontinent denken, und das ist besonders interessant im Kontekt von Tanzmusik, dann denken sie überhaupt nicht an die ganzen aufkommenden Musiker:innen aus Südafrika, all die Innovationen aus der nigerianischen Szene usw. Sie haben eine bestimmte Vorstellung davon, was „afrikanische Musik“ zu sein hat und das funktioniert über den white gaze (der weiße Blick, er entsteht beim Betrachten Schwarzer Kunstwerke im Rahmen des weißen Ethnozentrismus. Anm. d. Red.): sie muss authentisch klingen, low-tech, und wenn irgendein Tech involviert ist, muss sie gerettet werden. Sie muss die Vorstellung befriedigen, das irgendjemand die Musik aus dem Nichts erschaffen hat, in einem Dorf oder im Busch, mit ganz wenig Ressourcen, und dass die Musik dann verloren gegangen ist und von einem weißen Europäer wiederentdeckt. Awesome Tapes from Africa ist ja nicht irgendein Typ, der in einen Plattenladen gegangen ist und da afrikanische Musik gefunden hat. Der hat einen akademischen Hintergrund, der ihm Legitimität verschafft. Da geht’s nicht nur um die Musik, sondern auch um die Story, und genauso sieht ein neokolonialer Ansatz aus und so hört er sich auch an. Ein lokales Label wäre viel ethischer, ohne den ganzen Fokus auf dieses neokoloniale Narrativ über ‚die Entdeckung‘ von Schätzen, deren Wert vollkommen unterschätzt wurde, bevor sie von einem weißen Mann ‚wiederentdeckt‘ wurden. Nichts lieben die Leute mehr als eine gute Story über eine verlorengegangene Platte, die wiedergefunden wurde. Aber in Realität gibt es nicht viele solcher Stories.

Axmed: Ich glaube auch, dass das mit einem Anspruchsdenken zu tun hat, denn warum liegt die Aufmerksamkeit auf dem einen Künstler, der nicht gefunden werden kann oder denen, die aus persönlichen Gründen nichts mit der Musikindustrie zu tun haben wollen. Anstatt das zu respektieren, wird eine Menge Energie darauf verwandt, diese zu überzeugen oder fast zu zwingen. In manchen Fällen geht es also nicht um die Künstler:innen, sondern um einen weißen Labelbesitzer oder eine weiße Musikjournalistin, die ein Produkt nachfragen, hinter dem sich eine ‚tolle Geschichte‘ verbirgt. Und vergessen wir nicht die Kolonialgeschichte, von der weiße Künstler:innen bewußt oder unbewußt profitieren, was das ganze noch auf einer ganz anderen Ebene problematisch macht.

Mathys: Ein Teil des Reizes an afrikanischer oder karibischer Musik besteht in ihrem Exotismus, und sie wird gerne aus dem Kontext gerissen und mit dem white gaze betrachtet. Musiker:innen vom afrikanischen Kontinent oder aus der Karibik fühlen sich dadurch gehemmt in ihrem künstlerischen Ausdruck. Ihre Musik wird echt dadurch definiert, wie sie im Westen konsumiert wird, und das ist meistens ohne den Kontext. „Sammler:innen“ beschäftigen sich selten mit der Kultur. Das habe ich bei französischer karibischer Musik beobachtet, die immer beliebter wird in ihrer instrumentellen Form (ohne Text). Ich erinnere mich an einen Song in französischem Kreol auf einem Festival, der von karibischem Stolz handelte. Es war eine merkwürdige Erfahrung, einen Song über Selbstbestimmung zu hören, mit Lyrics, die explizit dazu aufrufen, sich von dem weißen Mann zu befreien, der von einem weißen Dj vor einer überwiegend weißen Crowd gespielt wurde. Ich erinnere mich daran, dass ich verwirrt war darüber, dass dieses Lied, das so voller Wut und Traurigkeit war, auf so eine fröhliche Art gespielt wurde. Manche Djs nehmen sich tatsächlich die Zeit, den Kontext der Musik, die sie spielen, zu recherchieren, vor allem wenn sie verantungsbewusst sind. Aber das ist sicherlich nicht die Norm. Leider weigern sich viele DJs, konstruktive Kritik von den Menschen in ihrem Umfeld oder ihrem Publikum anzunehmen, sondern stellen stattdessen lieber zur Schau, dass sie Verbündete sind, tauchen bei Demos auf, um Selfies zu schießen, posten Dinge in den sozialen Medien, um irgendeine Gemeinschaft zu unterstützen, ohne auf die Idee zu kommen, den Mitgliedern der eigenen Szene auszuhelfen, nehmen in Aktivist:innenkreisen zu viel Raum ein, ohne den Leuten Anerkennung zu zollen, die tatsächlich harte Arbeit leisten usw. Es gibt ethische Wege, sich mit Musik zu beschäftigen und es ist an den Djs, durch den Prozess zu gehen, ihre eigene Arbeitsethik zu finden. Es geht darum, sich bewusst zu sein darüber, was man spielt.

Axmed: Die häufigste Reaktion auf die Art von Kritik, die du gerade formuliert hast, ist ja oft „Dann darf ich jetzt also überhaupt keine Musik mehr spielen?“ Manchmal löst sowas aggressive und sogar gewaltvolle Reaktionen aus, wenn es doch darum bei der Kritik gar nicht geht. Es ist doch nicht unvernünftig, wenn Leute annehmen, dass man Schwarz ist oder vom afrikanischen Kontinent kommt, wenn man einen Namen benutzt, der genau das vorgibt. Um nochmal das Beispiel von Awesome Tapes from Africa zu bemühen: Er ist sich der Kritik schon seit Jahren bewusst, er wurde in den sozialen Medien dafür kritisiert, dass er diesen Namen hat, obwohl er nicht aus Afrika kommt. Seine schnippische Antwort darauf war: „Ich bin auch kein Tape.“ Er ist jemand, der eigentlich die Dynamiken und die Kritik versteht, aber trotzdem entscheidet, nicht darauf einzugehen. Wenn Künstler:innen einen bestimmten Bekanntheitsgrad erreicht haben, sind sie irgendwie unantastbar, oder zumindest haben sie das Gefühl, niemandem gegenüber mehr Rechenschaft ablegen zu müssen. Das ist zum Beispiel bei Cairo Liberation Front der Fall. Es war schon höchst problematisch, dass zwei weiße Jungs diesen Namen benutzt haben, aber die sind an den Punkt gekommen, wo ihre Parties ausverkauft waren. Heutzutage buchen die zwar Künstler:innen arabischer Herkunft, aber sie haben sehr problematisch angefangen: ihren Namen verteidigt, Bauchtänzerinnen auf der Bühne gehabt und Stereotype über die arabische Welt bedient. Ursprünglich hießen sie sogar „Nobody beats the dürüm.“ Sie haben niemals öffentlich über dieses Verhalten in der Vergangenheit gesprochen und indem sie ihr Fehlverhalten nicht zugeben, haben sie Tür und Tor geöffnet für anderen Kollektive, die ähnlich problematische Ansätze haben.

Mathys: Ich habe das Gefühl, wenn man ein bestimmtes Projekt hat, an dem man seit Jahren gearbeitet hat, selbst wenn es problematisch angefangen hat, selbst wenn die Kritik nur als Begleiterscheinung eines kommerziellen Erfolges auftritt, ist es wichtig, über die Vergangenheit seines Projektes nachzudenken und über die Botschaft, die man transportiert.

Axmed: Einige dieser Projekte haben ja ganz klein angefangen, aber landen, bevor man sich versieht, auf großen Festivals. Radio Noet Noet zum Beispiel, ein komplett weißes DJ Kollektiv, das sich auf Musik vom afrikanischen Kontinent konzentriert und kulturelle Aneignung betreibt, die wurden noch nie zur Verantwortung gezogen von Musikjournalist:innen, und auch nicht von Schwarzen Leuten um sie herum. Das ist ein Projekt, das noch nicht mal gut durchdacht werden musste, um erfolgreich zu werden.

© Radio Noet Noet

Mathys: Und weil solche Projekte nicht gut durchdacht sind, sind sie so anfällig für Voreingenommenheit. Letztendlich verschaffen sie sich Legitimität durch irgendwelche Verbindungen mit People of Colour. Das macht es schwerer, sie zu kritisieren, denn es gibt sowieso so wenig Räume in der Tanzmusikszene, in denen People of Colour als Musikproduzent:innen aktiv willkommen geheißen werden. Das ist eine perverse Taktik, die einen davor schützt, Verantwortung zu übernehmen, wenn man die People of Colour, die einen kritisieren, gegen die People of Colour ausspielt, denen man ‚hilft‘. Eine perfide Konsequenz daraus ist, dass die weißen Leute aus diesen Projekten am Ende noch idealisisert werden und in Führungspositionen in Gemeinschaften of Colour landen, zu denen sie nicht gehören. Ab dem Punkt gibt es keinen Raum mehr dafür, problematisches Verhalten zu entlernen. Die Sache ist: Der Wunsch, sich zu ändern muss daher kommen, dass man es wirklich will, und nicht, weil man gezwungen wird. Nehmen wir das Beispiel von Thug Entrancer, der wahrscheinlich einzige Dj, der einen problematischen Namen hatte und sich selbst entschlossen hat, ihn aufzugeben, nachem er einen VICE Artikel über weiße Produzenten, die Schwarze Kultur aneignen, gelesen hatte. Später erwähnte er in einem Interview, dass ihn niemand gebeten hat, seinen Namen zu ändern, er aber gemerkt hatte, dass sich einige Leute damit unwohl fühlten, und dass das ausgereicht hat, ihn zu diesem Wandel zu bringen. Situationen, in denen Leute nicht zur Verantwortung gezogen werden, öffnen Tür und Tor für weiteres problematisches Verhalten und da wird dann ein öffentliches darauf hinweisen wichtig und unvermeidbar, um die Szene in eine Richtung zu bewegen, die für alle in Ordnung ist. Leider werden solche öffentlichen Thematisierungen oft zu persönlich genommen: da geht es dann um verletzte Egos statt darum, als Gemeinschaft zu wachsen.

Axmed: Räume, Ressourcen und Gemeinschaften sind begrenzt. Es wird viel Energie in das Erschaffen neuer Plattformen gesteckt, vor allem von queeren People of Colour, die weiterhin sehr marginalisiert sind in der Szene und dann aus Mangel an besseren Alternativen in unsafe spaces landen. Weil niemand zur Verantwortung gezogen wird, wird sich dieser Prozess, der schon lange läuft, noch weiter hinziehen. Den Verantwortlichen fehlt noch immer die Kompetenz, um diese Themen anzugehen und deswegen profitieren sie von der unbezahlten Arbeit marginalisierter Gruppen. Wenn eine Kontroverse innerhalb einer Institution entsteht, wird sie oft ignoriert, außer sie ist zu groß um nicht angegangen zu werden. Das eigene Team zu diversifizieren und sich mit lokalen Gemeinschaften auseinanderzusetzen, sind Möglichkeiten, blinde Flecke zu erleuchten, aber es ist auch wichtig, die Existenz solcher blinder Flecken anzuerkennen. Ich bin an einem Punkt angelangt, an dem es keine Räume mehr gibt, die ich in Amsterdam People of Colour empfehlen würde, und das ist wirklich eine Schande.

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Fotografie

Alun Be

Alun Be
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Eine fotografische Darstellung der afrikanischen Moderne

Afrika strebt nicht mehr danach, modern zu sein, das ist bereits geschehen. Es ist die Moderne, die danach strebt, afrikanisch zu sein.

Alun Be ist ein autodidaktischer Fotograf aus Westafrika, der in seiner Arbeit vorherrschende Vorstellungen vom afrikanischen Kontinent aufbrechen möchte. In der Fotoserie „Edification“ erforscht der Künstler die Auswirkungen von Technologie auf afrikanische Gesellschaften. Er lädt ein zu einem offenen Diskurs über das Schicksal der Menschheit und drängt zu einer Konfrontation mit der imposanten Natur von moderner Technologie, deren Auswirkungen in technologisch weniger durchdrungenen Teilen der Welt oft stärker zu spüren sind.

„Edification“ ist eine Fotoreihe, in der Kinder an unbestimmten Orten in Afrika mit einer Virtual Reality Brille dargestellt werden. Diese Art von tragbarer Technologie ist in der Lage, einen Ort aus der Welt des Betrachters zu simulieren – weit entfernt von der Realität der Personen, die die Brille tragen. Für Alun Be stellt die Virtual Reality Maske eine zeitgenössische Version der traditionellen dekorativen oder zeremoniellen Maske dar, die in afrikanischen Gesellschaften in zahlreichen Variationen getragen wird.

Die Maske ist ein Geist, der sich mit der Idee der unsichtbaren Welt beschäftigt. Sie offenbart die Spannung zwischen dem, wer wir sind, und der Art und Weise, wie wir dargestellt werden

Auf seiner Website schreibt Alun Be über sich selbst:
Alun Be ist ein Künstler, der sich um die Darstellung der afrikanischen Moderne bemüht. Geboren als Alioune Ba 1981 in Dakar, Senegal, schreibt Be die Entwicklung seines Werkes weitgehend seiner französischen, amerikanischen und westafrikanischen Erziehung zu. Seine Fotoserien befassen sich weitgehend mit Intergenerationalität, weiblichem Empowerment und Technologie.

Und weiter:

Ich gehöre zu einer neuen Generation autodidaktischer Fotografen aus Westafrika, die im Kern den Wunsch haben, der Welt innerhalb unserer eigenen Darstellungsweisen ein neues Fenster zur Kreativität des afrikanischen Kontinents zu bieten. Meine Fotografien nutzen die Nuancen unserer Kulturen, um die Selbstwahrnehmung des Betrachters tiefgreifend zu beeinflussen. Ich verwende den Kontrast als gemeinsamen Nenner unserer Lebensweisen und als Mittel, um Stereotypen und Regeln, die unser gesellschaftliches Verhalten bestimmen, in Frage zu stellen. Mein Ausdrucksmedium gibt mir die Fähigkeit, die Welt auf hyperrealistische Weise einzufangen, und doch ist es flink genug, um das Bewusstsein dessen, was man für real hält, zu transformieren. Ich ertappe mich dabei immer wieder dabei, wie ich jene Aspekte erforsche, die oft verborgen oder falsch dargestellt werden, wobei ich mich oft auf den Abbau von Stereotypen konzentriere oder die unsichtbare Seite der Medaille beschwöre. Meine Kunst drückt das Unerwartete aus; sie enthüllt den Blickwinkel, aus dem wir die Welt nicht sehen.

Aus Edification, © Alun Be

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Literatur

Die Spur des Bienenfressers

Die Spur des Bienenfressers
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Ein ghanaischer Krimi der Extraklasse

Sonokrom, ein Dorf im Hinterland Ghanas, hat sich seit Jahrhunderten kaum verändert. Hier spricht man noch die Sprache des Waldes, trinkt aphrodisierenden Palmwein und wandelt mit den Geistern der Vorfahren. Doch eine verstörende Entdeckung und das gleichzeitige Verschwinden eines Dorfbewohners stören die ländliche Ruhe…

Für alle Krimifans haben wir heute einen besonders schönen Tipp: „Die Spur des Bienenfressers“ von Nii Parkes. In einem Dorf in der Nähe von Accra entdeckt eine junge Frau durch Zufall einen knochenlosen Haufen menschlicher Überreste. Da sie die Geliebte eines Ministers ist, schalten sich sofort höhere Beamte ein, die den Fall so schnell wie möglich lösen wollen. Kayo, ein junger Mann, der in einem biochemischen Institut in Accra arbeitet, aber eine Kriminaltechnik Ausbildung in Großbritannien absolviert hat, soll den Fall aufklären. Da sein Chef ihm hierfür allerdings nicht freigeben will, verhaftet die Polizei Kayo kurzerhand und schickt ihn zur Spurensicherung nach Sonokrom.

Inspektor Donkor lächelte. „Haben Sie sich CSI angeschaut?“ „Ja.“ „Das sind Sie.“ Er warf Kayo einen bedeutungsschwangeren Blick zu. Kayo runzelte die Stirn, immer noch perplex. „Ich hörte, Sie sind Kriminaltechniker.“ „Ja, bin ich.“ „Also, wir haben da einen Fall in einem Dorf in der Nähe von Tafo, bei dem wir Ihre Hilfe benötigen. Wir hätten uns gar nicht erst damit abgegeben, aber der Verkehrsminister schläft mit einer Tussi aus Tafo. Sie hat irgendwelche menschlichen Überreste entdeckt, und der Minister hat mich höchstpersönlich angerufen und gebeten, ein paar Leute dorthin zu schicken. Und jetzt will er Ergebnisse sehen.“ Der Inspektor klopfte mit dem Mittelfinger auf den Tischrand, als würde er Sekunden zählen. „Das Interesse des Ministers bedeutet eine gute Gelegenheit, sich befördern zu lassen. Und nicht nur eine Beförderung, auch Sonderzulagen sind die Lebensader des öffentlichen Dienstes. Unsere offiziellen Gehälter sind ein Witz.“ Er lachte herzhaft. Kayo war überrascht, wie melodiös sein Lachen klang. Wider Willen musste er lächeln.

Zwischen den in Sonokrom einfallenden Polizeibeamten aus der Hauptstadt und den bisher von Polizeigewalt verschonten und deswegen eher gleichgültigen Dorfbewohner:innen kommt es zu Reibungen: die Polizisten halten sich nicht an die Regeln des Anstandes und des Respektes und erhalten daher auch keinerlei Informationen. Kayo gelingt es, mit viel Feingefühl für die alten Sitten und die Bedeutungswelt der Menschen aus Sonokrom sein gesammeltes Beweismaterial durch die Geschichten und Mythen des Dorfes zu deuten.

Schriftsteller mit Hut
Nii Parkes,© Marianne San Miguel

Der junge Kriminaltechniker Kayo und der alte Jäger Opanyin Poku sind die zwei sich im Buch abwechselnden Narrative und stehen laut Nii Parkes symbolhaft für das Nebeneinander aus Sprachen, Kulturen und Bedeutungswelten von Menschen in afrikanischen Ländern und das Aufeinandertreffen von postkolonialem Stadtleben mit dem ‚außerkolonialen‘ Landleben, wie Parkes es nennt. Die Leserin, die zu Beginn der Geschichte wahrscheinlich ihre ganze Hoffnung für die Lösung des Falls in Kayos moderne Kriminaltechnik legt, versinkt mit ihm zusammen mehr und mehr in die entschleunigte und idyllische Welt Sonokroms, die voller Mythen und Geschichten steckt.

Oduro löste den Knoten in dem Tuch, das er sich um die Hüften gebunden hatte, und zog ein Fläschchen aus Holz hervor. „Da.“ Er hielt es über Kayos Kalebasse. Kayo runzelt die Stirn. „Was ist das?“ „Etwas aus der Rinde von Hwema. Macht den Wein stärker.“ Der Medizinmann schüttete zwei Tropfen in seine Kalebasse, nahm einen Zug und schmatzte mit den Lippen. Kayo hielt Oduro seine Kalebasse hin, um etwas davon abzubekommen, rührte seinen Wein mit dem Finger um und trank. Er wartete bis das, was er getrunken hatte, von seinem Magen aufgenommen war, und fühlte zuerst eine angenehme Schwere und dann die eigentliche Wirkung. Er fuhr sich langsam mit der Zunge über die Lippen. „Vater Oduro, das schmeckt wirklich prima! Heizt richtig ein!“ Oduro lehnte sich über den Tisch, packte Kayo an den Schultern und grinste. „Es ist auch ein Aphrodisiakum.“ Er lachte, bis er am ganzen Körper bebte und mit ihm auch Kayos Schultern. Das Gelächter wurde immer stürmischer und ansteckender und überwältigte schließlich auch Kayo. Er spürte, wie ihm plötzlich schwindelig wurde. Die Schatten im Raum schienen größer zu werden und mitzulachen, der Duft der Buschfleischsuppe breitete sich aus und kitzelte Augen und Gaumen mit seinen pfeffrigen Fingern. Schließlich hatte Kayo das Gefühl, mit Oduro zusammen im Raum zu schweben und auf die Kalebassen, die Menschen, die Suppentöpfe hinunterzublicken, die sich in einem Wirbel von Farben und Formen auflösten. Von draußen war ein fernes melodisches Xylophon zu vernehmen, dessen Töne vom Wind getragen wurden und wie ein Zauber die Nacht zu durchschneiden schienen.

Neben Parkes humorvollem Grundton und der liebevollen Beschreibung seiner Charaktere ist das Besondere an seinem Roman die Auflösung des Falles, die wir hier natürlich nicht verraten wollen, die einen aber zum Nachdenken bringt über den eigenen Wahrheitsbegriff und die Implikationen, die dieser für das eigene Leben hat. Als die Situation immer unfassbarer wird, müssen Kayo und sein Ermittler einsehen, dass westliche Logik und politische Bürokratie ihre Grenzen haben.

Der Jäger seufzte. „Für Sie ist das vielleicht die Geschichte, die Sie brauchen. Aber ob es die Wahrheit ist, kann ich nicht sagen. Ich habe einfach nur erzählt. Man muss sich auf dieser Welt genau überlegen, welche Geschichte man erzählt, denn davon hängt vieles ab. Zum Beispiel, wie wir leben.“ Garba klopfte auf den Rand seiner leeren Kalebasse einen Adowa-Rhythmus, hörte aber abrupt wieder auf. „Wenn ich was sagen darf…“ Er warf Kayo einen Blick zu, und Kayo nickte. „Ihr Älteren schickt uns im Kreis herum. Wenn wir Fragen stellen, antwortet ihr mit einem Sprichwort. Ich möchte dazu nur eines sagen. Ja, ich bin zwar Polizist, aber ich möchte keinen Ärger machen. Ihr Leute seid in Ordnung, total in Ordnung, …“ Garba hob die Hand, als wolle er verhindern, dass jemand sprach, während er Luft holte. „Wir wollen euch helfen. Mein Freund hier neben mir, Mr Kayo, weiß das vielleicht nicht, aber unser Chef ist total verrückt. Wenn wir ihm nicht irgendwas erzählen, wird das Dorf nie zur Ruhe kommen. Ich schwöre bei meiner Mutter, dass die Polizisten euch alle hier überleben werden, ‚tschuldigung, wenn ich das so sage. Also sucht euch eine Geschichte aus, die ihr erzählen wollt.“ Nach längerem Schweigen sagte Oduro: „Über das, was ihr hier gesehen oder gehört habt, könnt ihr mit keinem reden.“ Kayo runzelte die Stirn. „Und warum nicht?“ „Als ich euch wegschickte, um diese Sache im Bambus zu verbrennen, habt ihr mit dem Rauch einen Zauber eingeatmet. Wenn ihr das, was ihr hier gesehen oder gehört habt, jemandem erzählt, der nicht aus dem Dorf ist, wird es sich anhören, als würdet ihr weinen.“ „Wenn dem so ist, warum sagt ihr uns dann nicht einfach die Wahrheit?“ Kayo war selbst überrascht, als er mit der Handfläche auf den Tisch schlug. Oduro lächelte. „Geduld.“ Er legte seine Hand auf die Kayos. „Die Zeit ist noch nicht reif dafür.“

Nii Parkes selbst sagte hierzu in Interviews:

Als Wissenschaftler weiß ich selbst, dass der Glaube an die Vernunft seine Grenzen hat – wäre das nicht so, gäbe es keine Religion, keinen Weihnachtsmann. Ich bin der Meinung, dass Mythen und Geschichten zu einer vollständigeren »Wahrheit« führen können als wissenschaftlicher Vernunftglaube allein. Wir können nicht einer Wissenschaft, deren Lehrsätze auf Leerstellen gründen, die als Konstanten bezeichnet werden, einen so hohen Stellenwert zusprechen, ja sie sogar als einziges Erklärungsmodell für die ungelösten Rätsel der Welt betrachten – dafür ist die Menschheit viel zu komplex.

Nii Parkes stellt die alte Krimi-Formel ›Wer hat’s getan?‹ auf den Kopf. ›Was ist gestorben?‹ lautet die Frage hier, und Parkes konfrontiert seinen Helden mit einer Welt, in der Wissenschaft korrumpierbar und Wunderbares möglich erscheint. Kayo soll einen Tatverlauf konstruieren, der mit den gesicherten Beweismitteln übereinstimmt, doch beim Palmweintrinken mit den Dörflern erfährt er eine Geschichte, die die Herkunft des Dings in der Hütte auf fantastische Weise erklärt.

Geschichten, die Weisheit der Alten, die Macht der Mythen – das sind Schlüsselbegriffe in diesem Kriminalroman von Nii Parkes. Er lässt in seinem mit Wortwitz und Verve geschriebenen Buch zwei Lebenswelten kollidieren: die rasende, postkoloniale Realität des urbanen Ghana, mit ihrem Kapitalismus, der Korruption, den hilflos strampelnden Armen, arroganten Reichen und desillusionierten Rückkehrern; und die Welt der Dorfgemeinschaft, in der Tradition, Autoritäten und Magie noch lebendig sind.

Parkes schreibt voller Humor und voller Liebe für seine Figuren und für die eigenwilligen Charaktere einer archaisch anmutenden Welt. Dabei entwickelt er seine Geschichte dramaturgisch geschickt, beschleunigt sie bis in ein vergnügliches und dabei doch auch weises Finale. So kommt ›Die Spur des Bienenfressers‹ flott, unterhaltsam und gewinnend klug daher – einfach bestens nicht nur für ein Romandebüt.

Nii Ayikwei Parkes ist Schriftsteller, Herausgeber, soziokultureller Kommentator und Performance-Dichter. Er hat einen MA in kreativem Schreiben aus Birkbeck (University of London) und erhielt 2007 den nationalen ACRAG-Preis Ghanas für Poesie und literarische Interessensvertretung. „Die Spur des Bienenfressers“ war 2010 in der engeren Auswahl des Commonwealth-Preises. Parkes Werk wurde auf italienisch, französisch, chinesisch, niederländisch, deutsch und arabisch übersetzt. Seine neuesten Gedichtbände sind die Broschüre „Ballast: a remix“ (2009) und „The Makings of You“ (Peepal Tree Press).

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Fotografie

Omar Victor Diop

Omar Victor Diop
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Fotos, die von Schwarzem Protest, Würde und Freiheit erzählen

Der senegalesische Fotograf Omar Victor Diop setzt die Tradition der afrikanischen Studiotradition fort und erzählt in seinen Bildern auf faszinierende Art und Weise von der Würde und Freiheit der Schwarzen, von Schwarzem Protest oder Identität und Selbstfindung der Menschen in der afrikanischen Diaspora.

Diops Debutserie Fashion 2112, The Future of Beauty, wurde 2011 in Bamako auf der panafrikanischen Austellung der afrikanischen Foto-Biennale gezeigt und erntete so viel Anerkennung, dass er aus der Kommunikationsbranche ausstieg und sich ganz der Fotografie widmete.

Fashion 2112 ist eine visuelle Projektion dessen, was unsere Standards für Schönheit und Eleganz werden könnten bis zu dem Tag, an dem Wegwerfen zum schlechten Ton gehören wird. Plastik, Papier, Metallreste, die edlen und eleganten Materialien des 22. Jahrhunderts!

Diop produziert seine Arbeiten in Serien, von denen wir euch hier drei tolle vorstellen möchten:

Liberty

Der Ton der Freiheit ist nicht der des Wehklagens, sondern der der Kontemplation, der Feierlichkeit und des Feierns.

Der Aba-Frauenaufstand © Omar Victor Diop (Anmerkung: Der sogenannte Aba-Frauenaufstand 1929 in Nigeria richtete sich gegen die Steuerpolitik der britischen Kolonialherrschaft.)

Auf seiner Website verortet Diop seine jüngste Fotoserie im Schwarzen Freiheitskampf. Die Erwähnung und Darstellung von Schwarzem Protest hält Diop für äußerst nötig in diesem Zusammenhang, um eine „Chronologie von Affirmationsbewegungen (Selbstbejahungsbewegungen)“, die für die Würde von Schwarzen auf der ganzen Welt begonnen wurde, fortzuführen.
Die Geschichte des Schwarzen Protestes ist reichhaltig, ob es sich nun um Sklavenaufstände, Märsche für die Emanzipation und gegen die Apartheidbewegungen, für die Unabhängigkeit oder gegen Polizeigewalt handelt. Diop will jedoch auch auf eine Verbindung zwischen den afrikanischen Gesellschaften und der afrikanischen Diaspora herstellen: selten würden Parallelen zwischen Protestbewegungen auf dem Kontinent und außerhalb davon in den Blick genommen.

Die Geschichte des Schwarzen Protestes ist reichhaltig, ob es sich nun um Sklavenaufstände, Märsche für die Emanzipation und gegen die Apartheidbewegungen, für die Unabhängigkeit oder gegen Polizeigewalt handelt. Diop will jedoch auch auf eine Verbindung zwischen den afrikanischen Gesellschaften und der afrikanischen Diaspora herstellen: selten würden Parallelen zwischen Protestbewegungen auf dem Kontinent und außerhalb davon in den Blick genommen.

Thiaroye, 1944 © Omar Victor Diop (Anmerkung: Die französischen Kolonialtruppen verübten 1944 im senegalesischen Thiaroye ein Massaker an den Tirailleurs sénégalais, senegalesischen Soldaten, die im Ersten Weltkrieg in Einheiten des französischen Heeres mitgekämpft hatten. Diese wehrten sich gegen korrupte und rassistische Kolonialbeamte, die ihnen nur die Hälfte der zugesagten Entschädigung zukommen lassen wollten)

Die Fotografien der Serie Liberty sind allegorisch und enthalten symbolische Elemente aus der Sprache der Blumen.

Diaspora

Identität und Selbstfindung – sowohl auf kollektiver als auch auf persönlicher Ebene – sind Themen, die im Vordergrund von Omar Victor Diops Projekt Diaspora stehen. Die fotografische Serie ist eine Reise durch die Zeit, in der weniger thematisierte Erzählungen über die Rolle der AfrikanerInnen außerhalb Afrikas vertieft und belichtet werden.

Pedro Camejo (1790-1821). Besser bekannt als „Der erste Schwarze“, war ein venezolanischer Soldat aus der patriotischen Armee während des venezolanischen Unabhängigkeitskrieges, der den Rank eines Lieutnants erreichte. Er bekam seinen Spitznamen, weil er bei jeder Schlacht in vorderster Reihe kämpfte. Er war auch der einzige Schwarze Offizier in der Armee von Simón Bolívar. © Omar Victor Diop

In dieser Serie fordert Diop die Betrachterin auf, ihre eigenen Vorstellungen von Geschichte zu überdenken. Diop begann seine Recherchen für Diaspora während eines viermonatigen Aufenthalts in Spanien, wo er in die Realität des Fremdseins eintauchte, und sich zunächst mit der europäischen Geschichte des 15. bis 19. Jahrhunderts beschäftigte.
In der barocken Malerei wurde er dabei zum Zeugen eines Erwachens von intensiven und zuvor nie dagewesenen Interaktionen zwischen Afrika und dem Rest der Welt. Anhand von Portraits herausragender AfrikanerInnen in der europäischen Geschichte setzt Diop deren Lebenswege und Vermächtnisse mit seinen eigenen in Verbindung.

Albert Badin (1747 oder 1750-1822) Adolf Ludvig Gustav Fredrik Albert Badin, geboren Couchi, auch bekannt als Badin, war ein schwedischer Hofdiener und Hofschreiber und ehemaliger Versklavter, dann Diener von Königin Luise Ulrike von Preußen und später von Prinzessin Sophie Albertine von Schweden. Obwohl sein Name Couchi war, wurde er Badin genannt, was soviel heißt wie Unruhestifter oder Betrüger. © Omar Victor Diop

Diop verwendet in seinen Fotografien Hinweise aus der Welt des Sports, insbesondere des Fußballs, um auf die Dualität eines Lebens in Ruhm und Ehre bei gleichzeitiger dauerhafter Konfrontation mit der eigenen „Andersartigkeit“ hinzuweisen. Paradoxe, auf die er dabei stößt, haben in seinen Augen die Männer auf den Portraits und heutige Profifußballer in Europa gemeinsam.

August Sabac el Cher (1836-1885) war einer der ersten Afrodeutschen. Er wurde als Kind an Prinz Albert von Preußen „verschenkt“, als dieser in Ägypten zu Besuch war. August wurde als Preuße erzogen und heiratete eine Weiße Frau. Die Nachkommen der Familie Sabac el Cher dienten in drei deutschen Armeen: unter dem Kaiser, unter Hitler und unter Adenauer. © Omar Victor Diop

Re-Mixing Hollywood

Eine weitere tolle Serie von Diop und seinem Kollegen Antoine Tempé ist Re-mixing Hollywood, in der sie weltberühmten Bildern aus Hollywood ein afrikanisches Remake verpassen.

 

Kino ist wahrscheinlich die universellste Form der Kunst, da es alle Barrieren, seien sie geografischer, kultureller oder ethnischer Natur, überwindet. Große Filme der Vergangenheit und der Gegenwart zeigen ikonische Szenen, die die Popkulturen sehr unterschiedlicher Gesellschaften enorm beeinflusst haben. Afrikanische Großstädte waren davon nicht ausgenommen.

Frida © Omar Victor Diop

Viele der Motive sind sofort wiederzuerkennen, nur zeigen sie Modelle aus Dakar und Abidjan, wo die Fotos in Hotels aufgenommen wurden.

Ein Hotel ist eine Schnittstelle, an der Kulturen und Herkünfte aus der ganzen Welt nebeneinander existieren und in einem ständigen Kreislauf von Neuerfindungen und Neuinterpretationen miteinander verschmelzen. Das ist die Essenz dieses Projekts. Die Künstler wollten den Zauber eines guten Films feiern, die Art und Weise, wie er es dem Zuschauer ermöglicht, sich mit einer Handlung, einem Schauspieler, unabhängig von seiner Herkunft und dem Ort, an dem sich die Geschichte abspielt, in Beziehung zu setzen.

Hier geht es zur Website des Künstlers.

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Literatur

Der dunkle Fluss

Der dunkle Fluss
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Eine poetisch feinfühlige Allegorie auf einen von Gewalt heimgesuchten Ort

Benjamin und seine drei Brüder sind kluge, abenteuerlustige Kinder, die durch die Straßen ihres Heimatortes im Westen Nigerias ziehen und sich mit Spielereien und viel Fantasie die Zeit vertreiben. Solange ihr Vater im Haus ist und streng über sie wacht, haben sie eine geordnete und glückliche Kindheit. Als das Familienoberhaupt jedoch zum Arbeiten in eine andere Stadt versetzt wird, befreien sich die vier Jungen aus den väterlichen Fesseln und erkunden als Fischer einen verbotenen, gefährlichen Fluss am Rande der Stadt. Die Fische, die sie dort fangen, sind Vorboten der epischen Tragödie, die sich fortan entfaltet.

Der Omi-Ala war ein grausamer Fluss. Lange Zeit war er von den Bewohnern Akures vergessen worden, wie eine Mutter, die von ihren Kindern verlassen wird. Früher einmal war er ein klarer Fluss gewesen, der die ersten Siedler mit Fisch und sauberem Trinkwasser versorgte. Wie viele andere Flüsse in Afrika hielten die Menschen den Omi-Ala für einen Gott und beteten ihn an. Sie errichteten Gedenkstätten in seinem Namen und bemühten sich um die Gunst und den Rat Yemayás, Oshas, von Meerjungfrauen und anderen Wassergeistern und Göttern. Das änderte sich, als die Kolonialisten aus Europa kamen und die Bibel einführten und die zu Christen bekehrten Anhänger Omi-Alas sich von ihm abwendeten und ihn fortan als Wiege des Bösen betrachteten.Und so wurde er zur Quelle düsterer Gerüchte. Unter anderem hieß es, an seinen Ufern würden seltsame Rituale begangen. Die Rede war von Leichen, Tierkadavern und anderen Opfergaben, die auf dem Fluss trieben oder an seinen Ufern lagen.

Wir wussten, dass unsere Eltern uns schwer bestrafen würden, sollten sie jemals dahinterkommen, dass wir zum Fluss gingen. Trotzdem machten wir uns keine Gedanken darüber, bis eine Erdnussverkäuferin aus der Nachbarschaft uns auf dem Weg dorthin entdeckte und Mutter davon berichtete. Das war Ende Februar, und wir waren seit fast sechs Wochen am Fischen. An diesem Tag hatte Solomon einen großen Fisch geangelt. Wir sprangen auf, sahen zu, wie er sich am Haken wand, und stimmten das Fischerlied an, das Solomon sich ausgedacht hatte und das wir immer in Momenten wie diesen sangen.Es war die abgewandelte Version eines bekannten Liedes, gesungen von der ehebrecherischen Frau von Pastor Ishawuru – der Hauptfigur der in Akure damals beliebtesten christlichen Fernsehserie 'The Ultimate Power' –, nachdem sie für ihre Sünde verbannt worden war. Solomon hatte zwar die Idee dazu gehabt, aber die Vorschläge für den Text kamen eigentlich von uns allen. Boja zum Beispiel änderte 'Wir haben dich erwischt' in 'Die Fischer haben dich erwischt' um. Wir ersetzten die Kraft Gottes, sie vor den Versuchungen des Teufels zu bewahren, durch unsere Kraft, einen Fisch zu fangen und nicht entwischen zu lassen. Wir hatten so viel Spaß mit dem Lied, dass wir es manchmal sogar zu Hause oder in der Schule summten.

Das vielbeachtete Debut des in den USA lebenden Nigerianers Chigozie Obiama sollte man unbedingt lesen. Obiama erschafft vor der düsteren Kulisse einer bösen Prophezeiung und eines Strudels der Gewalt eine poetische und wunderschön komponierte Geschichte über Loyalität, geschwisterliche Liebe, Verlust und Trauer, Heilung und Gemeinschaft.

Das Buch wurde in 26 Sprachen übersetzt und mehrfach ausgezeichnet, unter anderem stand es auf der Shortlist für den Man Booker Prize. Zahlreiche Medien weltweit wählten das Buch auf ihre jeweiligen Bestenlisten des Jahres 2015, darunter das Wall Street Journal und die New York Times. Die Deutsche Welle führte es im April 2015 als Buchempfehlung des Monats und der Guardian nannte Der dunkle Fluss mit Abstand den besten Debütroman 2015.

Obioma wurde 1986 in Akure in Nigeria geboren. Wenn euch interessiert, wie er über sein eigenes Buch spricht, guckt euch das Interview mit ihm auf TVC Africa an:

Darin sagt er unter anderem, dass die Geschichte Der dunkle Fluss auch eine Metapher für die Kolonisierung Afrikas ist:

Zu Beginn des Romans hatten die Jungs Ambitionen. Obembe zum Beispiel wollte Anwalt werden, bis der Verrückte ins Spiel kam. Es ist also eine Metapher dafür, was passiert, wenn eine äußere Kraft von außen kommt und die Einigkeit stört.

In einem Artikel in der New York Times erzählt Obioma, wie er über das Geschichtenerzählen seines Vaters zum Lesen kam:

Mein Vater war ein begnadeter Geschichtenerzähler. Im Krankenhaus erzählte er mir die eine oder andere Geschichte, oder, wenn er nicht zu müde war, manchmal auf mein Bitten hin auch viele. Ich versuchte, mir die Welten vorzustellen, die sich durch seine sorgfältig gewählten Worte entfalteten. Wenn er zum Beispiel die Geschichte des ersten weißen Mannes erzählte, der auf dem Fahrrad in Igboland ankam, gab er Fahrradgeräusche von sich, stampfte mit den Füßen und keuchte. Er verlieh diesen Geräuschen so viel Angst, so viel Bedeutung, dass mir noch Tage danach lebhafte Bilder in Erinnerung blieben. Diese Momente waren so fesselnd, dass ich manchmal den Wunsch hatte, meinen Krankenhausaufenthalt zu verlängern.

Die Website des Autors findet ihr unter chigozieobioma.com

Dort findet ihr auch Informationen über seinen 2019 erschienenen Roman „Orchestra of Minorities“. Für diejenigen, die Englisch können, ist auch Obiomas Stadtporträt von Lagos im Guardian sehr lesenswert:

The Guardian

Booker prize nominee Chigozie Obioma loves Lagos, but shares the centuries-old fear that it may ‘spoil’. With 2,000 new people arriving every day, the city faces its toughest challenge yet

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Verschiedenes

Africa Riding

Africa Riding

Africa Riding auf ARTE porträtiert die Community der „Riders“: unkonventionelle junge Afrikaner:innen, die sich für eine neue kulturelle und soziale Ordnung einsetzen. Von Ghana bis Ruanda, von Senegal bis nach Uganda – die Rider nehmen uns mit zu ihren „Playgrounds“: ramponierte Gehwege, verlassene Plätze, holprige Straßen oder versandete Pisten… Die vielen Hindernisse machen aus diesen Freigeistern wahre Krieger – auf dem Asphalt und im Leben.

Jackson ist der Vater des Skatesports im Osten Afrikas. 2005, als er sich noch kaum auf einem Brett halten konnte, baute er eine Rampe inmitten der Zuckerrohrplantage seiner Mutter im Slum Kitintale in Kampala. Heute ist der Skatepark Garant für sozialen Frieden, zieht die Jugendlichen der Umgebung und darüber hinaus an und stärkt so die sozialen Bindungen in der Gesellschaft.

Ibrahim ist nie ohne sein BMX-Rad unterwegs, das er aus Teilen von verschiedenen Märkten Kampalas zusammengebaut hat. Sein Lieblingsgelände ist der freie Platz hinter dem ugandischen Parlament. Ein symbolisches Augenzwinkern, damit seine Stimme gehört wird – die einer Jugend, die in einem Land mit eingeschränkter Redefreiheit mehr Rechte einfordert.

Kigali ist kein Hotspot für Rollerskater – noch nicht zumindest. Hier gibt es keine Halfpipes und keine Sprayer. Der Sport ist hier noch völlig unbekannt – und daher bietet auch ein Rollerskater wie Abdul Karim Habyarimana einen sehr seltenen Anblick. Vor allem, wenn er bei seinen akrobatischen Schussfahrten auf offener Straße ganz lässig die Autos überholt. Für Karim spielt sich das Leben auf acht Rollen ab: eine Einstellung, die er auch dem Rollerskating-Nachwuchs näherbringen will.

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Kenya, let’s dance

Kenya, let's dance
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Balletttänzerinnen in Kibera, Nairobi

Das Viertel Kibera liegt am Rande der kenianischen Hauptstadt Nairobi. Es ist vor allem für den schwierigen Lebensbedingungen seiner Einwohner:innen bekannt: Schulabbrüche, Schwangerschaften bei Minderjährigen, Vergewaltigungen und finanzielle Schwierigkeiten gehören zum Alltag. Dass es in Kibera eine lebendige Kulturszene gibt, darüber wird seltener gesprochen. Dazu gehören zum Beispiel Ballettkurse, die von vielen Jugendlichen gern angenommen werden. Die folgende Reportage hat die Kurse besucht und Jungen und Mädchen getroffen, die fest daran glauben, durch das Tanzen der Armut ihrer Elternhäuser entfliehen zu können.

Die sechszehnjährige Elsy lebt mit ihrer Mutter und den beiden Geschwistern auf engstem Raum. Das Dach tropft, und die Wände sind so dünn, dass man jedes Gespräch der Nachbarn mithört. Etwa 300.000 Menschen leben in Kibera unter ähnlichen Bedingungen. Elsy möchte dieser Lebenssituation entkommen. Und sie weiß auch schon, wie: durch Ballett. Mit acht Jahren kam sie erstmals damit in Berührung. Anfangs konnte sie wenig mit der langsamen westlichen Musik, die sich so sehr von den afrikanischen Rhythmen unterscheidet, anfangen. Heute aber liebt Elsy Ballett. Initiiert werden die Kurse von zwei Organisationen, die sich zum Ziel gesetzt haben, vor allem Kindern und Jugendlichen mittels Kunst einen Ausweg aus dem harten Alltag zu bieten. Neben Ballett gibt es Kurse für Theater, Akrobatik, Gesang und Kunsthandwerk. Doch das Geld ist knapp und die Angebote begrenzt. Außerdem fehlen geeignete Trainingsmöglichkeiten. So engagiert sich Elsy zum einen in Spendenauftritten dafür, Geld für weitere Kurse zu sammeln. Zum anderen verfolgt sie ihren persönlichen Traum. Denn sie weiß, dass es am Ende nur die Besten schaffen werden.

Hier geht es zur Website der Organisation, die Kunstprojekte für Kinder in Kenia und Malawi organisiert.

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