Kategorien
Literatur

Warsan Shires Gebet für die Unbetrauerten

Warsan Shires Gebet für die Unbetrauerten
von Farah Bakaari

Warsan Shires erster umfassender Gedichtband „Bless the Daughter Raised by a Voice in Her Head“ ist eine Art Gebet für nicht betrauerte Verluste. Die Sammlung behandelt ein breites Spektrum an Themen, von Problemen der psychischen Gesundheit in Einwanderungsgemeinschaften über verpfuschte Sexualerziehung bis hin zu Frauenmorden. Er spiegelt die Umwelt der jungen Dichterin wider, die private Empörung und öffentliche Scham belauscht, die unangemeldet in Familiengeheimnisse und Träume von Einwanderer:innen eindringt, die in der falschen Sprache transportiert werden. Es ist, als ob die junge Dichterin in diesem Akt der unerlaubten Zeugenschaft auch ihre eigene Stimme entdeckt – die Dichterin ist nicht nur diejenige, die hinschaut, sondern diejenige, die benennt und anspricht, was zurückschaut.

Shire ist eine britisch-somalische Dichterin, die in Nairobi geboren und in London aufgewachsen ist. Sie ist die erste „Young Poet Laureate of London“ und die jüngste Mitgliederin der Royal Society of Literature und wurde durch ihre Zusammenarbeit mit Beyoncé bekannt. Shire war jedoch eine der ersten Dichterinnen und Dichter, die in der „Pop-Poesie“- oder „Instagram-Poesie“-Szene berühmt wurden – entweder mit kurzen Videos von Originalgedichten, die von den Dichterinnen und Dichtern selbst vorgetragen wurden, oder mit Social-Media-Posts, in denen prägnante Verse zitiert wurden. Obwohl Shire selbst heute kaum noch online ist, bleibt die Begeisterung für ihre Online-Persönlichkeit ungebrochen. Das zeigt sich auch daran, dass die meisten Rezensionen ihres neuen Buches eher Profile über sie sind als kritische Auseinandersetzungen mit ihrem Werk. Shire veröffentlichte ihre Gedichte erstmals 2011 als Chapbook mit dem Titel „Teaching My Mother How To Give Birth.“ Mit diesem Band tritt Shires Lyrik in eine neue, erwachsenere Phase ein, in der sie mit längeren, formal einfallsreichen Gedichten experimentiert, die sich nicht so leicht in einer Instagram-Bildunterschrift oder einem Kühlschrankmagneten unterbringen lassen.

Ein Phänomen, mit dem sich diese Sammlung trotzig und wiederholt auseinandersetzt, oder besser gesagt, das sie segnet, ist die stille Einsamkeit, die das Leben der Einwanderer:innen plagt. Es ist die Einsamkeit derjenigen, die nie gelernt haben, eine Welt richtig hinter sich zu lassen. Eines meiner Lieblingsgedichte in der Sammlung trägt den etwas unbeholfenen Titel „My Loneliness is Killing Me“ (Meine Einsamkeit bringt mich um), der die Einsamkeit einfängt, die in den melancholischen Erinnerungen eines älteren somalischen Mannes, der in London lebt, zum Ausdruck kommt. Die Sprecherin „beobachtet“ ihren Onkel an einem verregneten Nachmittag, während er raucht, starken somalischen Tee trinkt und sich zu den Klängen von Hassan Aden Samatar an seine Kindheit an den Stränden und in den Straßen von Mogadischu erinnert. Er wartet auf ein Zeichen. Ich setze „beobachten“ in Anführungszeichen, denn obwohl das Gedicht in der dritten Person erzählt wird, ist sich der Leser dennoch der Anwesenheit und des Blicks eines anderen bewusst; ein Gefühl der Einsamkeit drängt sich auf. In der letzten Strophe wird die abwesende Anwesenheit des Dichters explizit gemacht. Die Strophe beginnt mit der Zeile „cidlada ka aktaw, Abti“, die – in einer unglücklichen Tendenz des Textes – mit “be stronger than your loneliness, Uncle / sei stärker als deine Einsamkeit, Onkel übersetzt wird. Dies ist jedoch nur eine von zwei möglichen Übersetzungen, da das Wort im Somali mehrdeutig ist. Das Substantiv „abti“ kann sowohl für die Nichte als auch für den Onkel verwendet werden, sodass die Zeile von beiden Parteien ausgesprochen werden könnte. Die erste Übersetzung (in der die Nichte ihren Onkel anweist, stärker zu sein als seine Einsamkeit) eignet sich daher für eine Lesart, in der die Dichterin von der Szene, deren Zeuge sie ist, abgestoßen wird. In der zweiten Übersetzung (in der sich der Onkel an die Nichte wendet) ist der Schrein des Onkels für die Geister vergangener Träume nicht unbedingt ein Ort der Klage, sondern eine Quelle der Zuflucht. Hier wird die Einsamkeit weder geleugnet noch medikamentös behandelt und hat daher das Potenzial, vorübergehend gelindert zu werden.

Bless the Daughter Raised by a Voice in Her Head

Im gesamten Band verfolgt die Einsamkeit die Menschen wie ein Gespenst; sie ist unausgesprochen, obwohl sie oft geteilt wird, sie ist intim, familiär, körperlich und klebt an der Haut wie Monsunmücken. Das Mädchenalter beispielsweise ist in erster Linie durch eine abgrundtiefe Einsamkeit gekennzeichnet, eine Einsamkeit, die gerade dadurch entsteht, dass das Wissen zu früh und die Sprache zu spät erlernt wird. Die Sammlung beginnt mit einem Gedicht mit dem Titel „Extreme Girlhood“, einer Art Ode an die lärmende Einsamkeit der Mädchenzeit, die ungehört bleibt. Mein Lieblingsgedicht zu diesem Thema ist jedoch „The Abubakr Girls Are Different,“, das von der stillen Gewalt erzählt, durch die sich die Mädchen als Mädchen begreifen, deren Anwesenheit immer umstritten und oft unerwünscht ist. In dem Gedicht beobachten sich die Mädchen gegenseitig und werden sich ihrer sich verändernden Körper und der Art und Weise bewusst, wie die Welt um sie herum diese Körper erhält und diszipliniert. Die letzten beiden Strophen bezeugen die Beschneidung der Mädchen und sind es wert, vollständig zitiert zu werden:

After the procedure, the girls learn how to walk again, mermaids
with new legs, soft knees buckling under
their raw, sinless bodies

We lie in bed besides each other, holding mirrors
to the mouths of our skirts,
comparing wounds.

Nach der Prozedur lernen die Mädchen das Laufen erneut, Meerjungfrauen

Mit neuen Beinen, weichen Knien, die unter ihren

rohen, sündfreien Körpern versagen

Wir liegen nebeneinander im Bett, halten Spiegel

An die Münder unserer Röcke

Wunden vergleichend

Diese außergewöhnlichen Zeilen inszenieren das, was Natalie Diaz in Anlehnung an Berger als das Präverbale bezeichnete, “as in the body when the body was more than body. Before it could name itself body and be limited, bordered by the space body indicated.”. Shires Verse fangen die Verwirrung von Körpern ein, die sich an der Grenze zwischen Erkenntnis und Wahrnehmung aufhalten.

Dennoch wird die Sprache in Shires Text nicht allgemein gepriesen, denn Sprache zu erlernen, bedeutet, Scham zu erlernen, was wiederum bedeutet, weniger zu wissen. Dies ist der Fall in „Bless Maymuun’s Mind“, wo einer Frau Antidepressiva verschrieben werden, während sie zwischen zwei Welten schwebt und keiner angehört. Wenn sie zu Hause anruft, erinnern sie sie daran, “how blessed she is, how proud they are, how all their hopes depend on her / wie gesegnet sie ist, wie stolz man ist, wie alle Hoffnungen auf ihr ruhen.” Und die Ärzte, die nicht in der Lage oder nicht willens sind, über das Symptom hinaus zu forschen, erhöhen ihre Dosis. Die Sprache lässt sie wieder einmal im Stich, diesmal, weil sie ein wenig zu konkret benennt. Sie hört zu. “She imagines she will die here, alone, far from home / sie stellt sich vor, dass sie hier sterben muss, allein, fern von zuhaus.”

Shire ist am besten, wenn sie nicht zu viel erklärt, sondern sich zurückhält und darauf vertraut, dass ihre Leser:innen den Sprung in die Interpretation wagen. Ein brillantes Beispiel dafür ist „Bless This House“, ein düsteres, witziges Gedicht, das Aphorismen – “are you going to eat that?” und “oh, this old thing” – für eine wütende Meditation über die Allgegenwart von häuslicher Gewalt und Vergewaltigungskultur nutzt. In dem Gedicht wird das Patriarchat als eine Form des Todestriebs dargestellt, bei dem Männer Frauen Gewalt als eine Form der Selbstvernichtung zufügen. Das Gedicht endet mit: “At parties I point to my body and say/ Oh this old thing? This is where men come to die.” / auf Parties deute ich auf meinen Körper und sage / Oh, dieses alte Ding? Dort kommen Männer zum Sterben hin.

Aber manchmal gerät die Sammlung ins Stocken, wenn der Ton didaktischer und die Form weniger einfallsreich wird. So ist zum Beispiel eines von Shires meistverbreiteten Gedichten, „Home“, in diesem Band abgedruckt. Trotz seiner Popularität und der ungeheuren Leidenschaft, mit der es die erzwungene Migration und die tückische Reise zu einem Zufluchtsort thematisiert, mangelt es dem Gedicht an jeglicher substanziellen formalen Raffinesse. Es fällt nicht leicht, Gedichte wie „Home“ oder „Hooyo Isn’t Home“ angesichts der Schwere ihres Themas als unzulänglich zu empfinden. Doch anstatt die Wahrheit herauszudestillieren, hat die ungeheure Wörtlichkeit dieser empörten Verse den unerwünschten Effekt, dass die Augen des Lesers glänzen und er den Text nicht mehr wahrnimmt.

Shires Vorliebe für übermäßige Erklärungen lässt mich fragen, für welche Zielgruppe ihr Werk eigentlich gedacht ist. Der Band enthält eine ganze Menge Übersetzungen und Transliterationen. Nicht-englische Wörter und Phrasen werden im Gedicht fast immer übersetzt, und in den wenigen Fällen, in denen dies nicht der Fall ist, werden die Übersetzungen in einem Glossar am Ende des Bandes aufgeführt. Das Beharren auf der Übersetzung sowie die Tendenz, nicht-englische Ausdrücke kursiv zu setzen, um sie visuell als sprachliches „Anderes“ zu kennzeichnen, könnte nicht nur ein Bewusstsein, sondern auch eine gewisse Kapitulation vor dem Blick einer weißen Leserschaft (und vielleicht vor den Forderungen eines weißen Verlages) signalisieren. Die Arbeit der sprachlichen Übersetzung ist nur ein Teil der kulturellen Übersetzung, die von minorisierten, rassifizierten Künstler:innen verlangt wird.

Doch wie können wir die Politik der Übersetzung neu bewerten, wenn die Künstlerin selbst einen Zwischenraum bewohnt, in dem die sprachliche und kulturelle Übersetzung für das tägliche Überleben obligatorisch ist? In Shires Text wird schwarzer Humor zu einer Möglichkeit, den Kampf um die Vereinbarkeit der unvereinbaren Anforderungen der gleichzeitigen Zugehörigkeit zu mehr als einer Kultur zum Ausdruck zu bringen. Nehmen wir „Bless the Bulimic“, in dem die Sprecherin Gott um Vergebung für ihre Essstörung bittet: “forgive me please,/ famine back home.” Der absurde Humor, mit dem sie Parallelen zwischen ihrem Zwang, Nahrung gewaltsam aus ihrem Körper auszuscheiden, und der Hungersnot im Heimatland ihrer Vorfahren zieht, zeigt die Gefahren der Übersetzung. In ihrer Folge ist sie nicht in der Lage, Mitgefühl für sich selbst zu haben oder ihre Bulimie als legitime medizinische Störung anzuerkennen, eben weil sie das Inkommensurable zweideutig darstellt. Übersetzung ist also zugleich Symptom und Heilmittel für eine gewisse sprachlich vermittelte diasporische Schizophrenie.

In Interviews spricht Shire von der Vorherrschaft der Poesie in ihrer somalischen Gemeinschaft in London. Dieser Einfluss ist jedoch, zumindest auf der formalen Ebene, in ihrer eigenen Poesie kaum zu erkennen, die keine formalen Merkmale mit der somalischen Dichtungstradition teilt und deren strikte Einhaltung der metrischen Skandierung in scharfem Kontrast zu Shires Art, im Bewusstseinsstrom zu schreiben, steht. Stattdessen hat ihre freie Lyrik mehr mit dem Genre der Hees oder somalischen Balladen gemein, eine Affinität, die der Band selbst durch die Berufung auf große somalische Vokalisten wie Hasan Adan Samatar und Magool anstelle von beispielsweise Hadraawi oder Hassan Sheikh Mumin behauptet.

Unabhängig davon hat die Sammlung für Shire-Fans und Skeptiker etwas zu bieten. In ihren Versen steckt eine gewisse unerschrockene Wahrheit, die zwar nicht immer formal interessant, aber immer gewagt, ja sogar anklagend ist. „Bless the Daughter Raised by a Voice in Her Head“ ist ein zärtliches Angebot für Bulimiker, Einsame, Heimwehkranke, Depressive, Verlassene, Außenseiter und Papierlose – ein kühner, doch unbeständiger Band von einer jungen, talentierten Dichterin.

Farah Bakaari ist Doktorandin an der Cornell University und forscht über afrikanische Literatur des 20. und 21. Jahrhunderts, postkoloniale Studien und Traumatheorie. Sie ist in Somaliland geboren und aufgewachsen.

Bildrechte Foto im Header: ©Image credit Yves Salmon via Flickr CC BY-NC-ND 2.0.

Blick Bassy

Der kamerunische Musiker Blick Bassy ist in aller Munde. Über sein politisches Engagement und seine metaphysische Musik.

Weiterlesen »

contribute

Du hast Fragen, Kritik oder Themenvorschläge für akono? Dann schreib uns gerne.
Kategorien
Literatur Uncategorized

Für die Erde vereinen sie ihre Stimmen über Zeiten hinweg


Für die Erde vereinen sie ihre Stimmen über Altersgrenzen hinweg
von Samuel Osaze

Zum Welttag der Poesie trafen sich in Lagos altbekannte und neue Gesichter, um über umweltpolitische und Klimathemen zu dichten. Ein Bericht.

In letzter Zeit hat das Wort „Anthropozän“ in meinem Wortschatz erstaunlicherweise eine gewisse Beliebtheit erlangt. Ich gebe zu, dass das Wort selbst an dem denkwürdigen Abend, um den es hier geht, nicht ausgesprochen wurde. Es war ein kühler Abend in Lagos. Unter dem Titel ProvidusBank Poetry Café brachte das Abendprogramm Dichter und Dichterinnen unterschiedlichster Überzeugungen und Stile zusammen. Sie bekamen dort auf der Bühne eine wahrhaftige Plattform zum Austausch über ein weltbewegendes Thema: Umwelt und Klimawandel. Ich persönlich hatte jedoch das Gefühl, dass sich alle Aktivitäten der Literaturveranstaltung um den spannenden Begriff Anthropozän drehten. Damit ist die gegenwärtige Epoche gemeint, in der vor allem seit der industriellen Revolution von 1760 Klima und Umwelt hauptsächlich von menschlichen Aktivitäten geprägt werden.

Bei der Veranstaltung zum Welttag der Poesie spiegelte sich diese Sichtweise in jeder Aufführung wider, denn die Effekte unserer schädlichen menschlichen Praktiken wurden hervorgehoben. Deutlich wurde auch die Überzeugung, dass der Mensch auf die Auswirkungen seiner Taten auf Mutter Erde achten sollte, wenn er weiterhin das Wohlwollen der Erde genießen will. Da die Erde nicht für sich selbst sprechen kann, wurden Dichter und Dichterinnen an diesem Abend zu ihrem Sprachrohr. Sie schilderten die Qualen und Wunden, die Mutter Erde durch die Grobheit der Menschheit zugefügt werden.
Die Veranstaltung trug den Titel „Stimmen für die Erde: ein Abend voller Ideen, Rhythmen und Debatten rund um Umwelt und Klimawandel„. Mit dabei waren als Hauptakt der legendäre Dichter, Dramatiker, Schauspieler und Menschenrechtler Wole Soyinka und fünf namhafte Dichter:innen – Evelyn Osagie, Akeem Lasisi, Umar Abubakar Sidi, Reginald Chiedu Ofodile und Efe Paul Azino. Außerdem umfasste das Podium auch junge, aufstrebende Dichterinnen und Dichter aus ausgewählten Poesie-Kommunen in Lagos – Poets in Nigeria, AJ House of Poetry, Loudthotz und das Bariga Poets Collective. Die verschiedenen poetischen Formen schufen ein schillerndes künstlerisches Ambiente.

Das Publikum bestand hauptsächlich aus der Crème de la Crème der Kreativen, der Banker:innen und der Literaturliebhaber:innen. Sie konnten Zeugen einer Lesung von Afrikas erstem Literaturnobelpreisträger Wole Soyinka werden, der übergeordneter Gastgeber und natürlich Publikumsmagnet und Inspirationskraft der Veranstaltung war. Der gefeierte Schriftsteller und Intellektuelle Odia Ofeimun war ein besonderer Gastdichter, und er gab eine gute Vorstellung seines poetischen Können preis.

Für Mutter Erde

In seiner Eröffnungsrede zitierte Walter Akpani, der Moderator des Abends und Geschäftsführer der veranstaltenden Bank, Wangari Maathai, Friedensnobelpreisträgerin 2004, mit den Worten:

Das Thema Klimawandel ... führt uns die Tatsache vor Augen, dass wir uns auf einem Planeten befinden und dass einige der Auswirkungen dessen, was Menschen in einer Ecke der Welt tun, sich auf Menschen in einer entfernten Ecke der Welt auswirken werden. Wir mögen uns also immer noch sehr weit voneinander entfernt fühlen, aber wir sind einander wirklich sehr nahe...

Dies war nicht die erste Gelegenheit, bei der nigerianische Dichterinnen und Dichter ihre Besorgnis über den Klimawandel und Umweltverschmutzung zum Ausdruck brachten. In der Vergangenheit haben zahlreiche Dichter:innen zusammen mit Umweltschützer:innen die Verschmutzung und ihre schlimmen Folgen für das Klima angeprangert. Zu denjenigen Dichtern, die sich für die Umwelt einsetzten, gehörten zum Beispiel der verstorbene Ibiwari Ikiriko (Oily Tears of the Delta), Nnimmo Bassey (To Cook a Continent: Zerstörerische Extraktion und die Klimakrise in Afrika), Professor Tanure Ojaide (The Activists), um nur einige zu nennen. Sie alle prangern die Zerstörung der Natur an, besonders im Nigerdelta.
Ein gewisses Alleinstellungsmerkmal der Veranstaltung vom Sonntag, dem 21. März, muss jedoch angemerkt werden. Es war die Verschmelzung der Ideen von alten, mittelalten und angehenden Dichter:innen. In der Einigkeit des Zweckes erhoben sie alle ihre Stimmen für Mutter Erde. Sie waren vehement in der Verurteilung und Warnung vor den Auswirkungen der globalen Erwärmung auf die Welt und die menschliche Existenz.

Die jungen und aufstrebenden Stimmen

Das Gedicht von Evelyn Osagie nahm eine dramatische Wendung, um diese Botschaft mit Leben zu erfüllen. Sie kroch auf der Bühne herum, geschmückt mit biologisch nicht abbaubaren Abfällen wie Nylon, Plastikflaschen usw., und erzeugte damit fesselnde Bilder. Sie spiegelten wider, dass Mutter Erde es geschafft hat, sich trotz der Hindernisse der Menschheit weiter zu drehen. Evelyn Osagie beklagte in ihrer Performance die wahllose Müllentsorgung, sie schwankte und taumelte. Das Gedicht mit dem Titel „Nature’s Irate Scream“ (Der wütende Schrei der Natur) wies auf die Gefahren der Umweltzerstörung hin und stellte deren unausweichliche Folgen vor. Es erinnerte sogar an die Waldbrände am Amazonas und den katastrophalen Hagelsturm im Sommer, der die mexikanische Stadt Guadalajara irgendwann im Juni 2019 unter drei Fuß Eis begrub.
Der lyrische Dichter Akeem Lasisi beeindruckte mit seinem entspannten, aber hochrhythmischen Stil mit Einflüssen aus der mündlichen Tradition der Yoruba bei seiner Vorführung von „The Divination“. Voller präziser Metaphern, mit großzügigen Verweisen auf die Sonne und den Mond, war die eindringliche Anspielung des Dichters auf eine Szene, in der das ungebremste Abfackeln von Gas, wie es in der Landschaft des Nigerdeltas üblich ist, der Grund dafür war, dass es Monate dauerte, bis die Sonne im Osten aufging und im Westen unterging.

Der Lauf der Natur ist durch die industrielle Verschmutzung durch den Menschen stark verändert worden. So heißt es im Gedicht:

Monate nach dem Aufbruch aus dem Osten
Ist die Sonne im verweilenden Westen nicht untergegangen
Geblendet von vagabundierendem Rauch
Eine Hölle von Turbulenzen durch abfackelndes Gas

Dieses Gedicht fesselte mich aufgrund einer unvergesslichen Erfahrung an einer Gasabfackelstelle in Imiringi, Bayelsa State. Es gibt viele Beweise für den Zorn der Natur, die täglich angegriffen und an den Rand gedrängt wird. Die bittere Wahrheit ist, dass die Natur sich sicherlich eines Tages wehren wird, aber wir sind vergesslich und wollen die Folgen unseres Handelns nicht wahrhaben.
Reginald Chiedu Ofodile behauptet in seinem Gedicht „Tödliches Gerät“, dass die Angriffe des Menschen auf die Umwelt, die meist in der Stadt stattfinden, sich oft genug gegen ihn wenden! Es ist das, was den Menschen mit vielen unheilbaren Krankheiten plagt und letztlich seine Lebensspanne verkürzt. Angesichts des weit verbreiteten Glaubens, dass die Menschen auf dem Land gesünder und länger leben als die Stadtbewohner, ist diese Behauptung nicht zu beanstanden.

Lekki in Lagos, Nigeria. ©Nupo Deyon Daniel

In seinem zweiten Gedicht „Deserved Appreciation“ beklagt Ofodile die schamlose Respektlosigkeit gegenüber unserem architektonischen Erbe. Was in gesünderen Gefilden als Schatz verehrt wird, wird bei uns wenig geschätzt und sogar abgerissen. Schlimmer noch, in Lagos wurden einige unersetzliche Meisterwerke in unrühmliche Orte umgewandelt – Mülldeponien oder ein Zufluchtsort für Straßenkinder und dergleichen. Das Gedicht ist ein klarer Ruf nach einer sofortigen Änderung der Einstellung und einer Überprüfung unserer Instandhaltungskultur, die im Moment auf dem niedrigsten Stand ist. Mehr noch, die Verachtung für das architektonische Erbe erstreckt sich auch auf kulturelle Praktiken, von denen einige inzwischen verteufelt und vernachlässigt worden sind.
Umar Abubakar Sidis Gedicht „Dichter und Salamander“ entsprach dem Thema der Veranstaltung. Er forderte Dichter und Schriftsteller auf, ihre kreativen Medien zu nutzen, um die Massen über die Notwendigkeit aufzuklären, die Erde vor zerstörerischen menschlichen Aktivitäten zu schützen. Ihm zufolge befindet sich die Erde in einer Krise, daher Lasst die Dichter das Alphabet des Himmels neu schreiben, um das Ozon zu zementieren, Schichten aus Poesie und Gas zu bilden, um die Seelen der Menschen und Salamander vor dem wütenden Buchstaben der Hitze zu schützen“. Die Dichter und Schriftsteller haben eine Verpflichtung, die Erde zu schützen. Da die Feder mächtiger ist als das Schwert, ist eine dringende Kampagne unabdingbar, oder besser gesagt, die Dichter und ihresgleichen sollten ihre Bemühungen im Werben gegen die Zerstörung der Ozonschicht intensivieren.

Auf die gleiche Weise frischt Efe Paul Azinos „After the Floods“ unsere kollektive Erinnerung an die Verwüstung, die monumentalen Schäden und den Tod auf, die die Flut 2019 in Benue, Kogi, Nasarawa, Kwara und anderen Gemeinden im mittleren Gürtel Nigerias angerichtet hat. Derlei Kalamitäten sind die Rache der Natur für unsere Missachtung ihrer Gefühle. Es ist ihr einziges Mittel, um ihren Tribut zu fordern. Azinos zweites Gedicht „One for the Tribe“ war wie ein süßer Nachtisch nach einem schweren Hauptgang. Es war eine Darbietung, die den Geist des Publikums nach der Düsternis der vorherigen Darbietungen aufhellte.

„Smokes and Death“ von Bestman Michael von AJ House of Poetry beschreibt die Auswirkungen der Umweltzerstörung auf die landwirtschaftlichen Produkte und die daraus resultierende Nahrungsmittelknappheit, den Hunger und die Inflation – all das ist Quelle von Schmerz, Tränen und Tod für die Menschheit. Es weist auf die Ironie hin, dass der Mensch sich in seinem Streben nach Einkommen selbst in den Fuß schießt, indem er die Natur beschädigt – den Dreh- und Angelpunkt seines Lebens. In ähnlicher Weise trug der Dichter Increase Nathaniel von Loudthotz ‚I know What Will Kill Us First‘ vor. Das Gedicht stellt die enorme Gefahr einer verschmutzten Erde und den Aufstand im Norden einander gegenüber. Für den Dichter ist weder der „Aufstand“ noch der „Krieg im Norden“ vergleichbar mit dem Elend, das die Erde entfesselt. Was uns zuerst töten wird, „ist das, was wir Mutter Erde und ihren anderen Kindern angetan haben“.

Soyinkas Wiederkehr

Der Höhepunkt der Veranstaltung war jedoch der Auftritt des legendären Wole Soyinka (Literaturnobelpreisträger 1986), flankiert von der Schauspielerin und Herausgeberin Taiwo Ajai-Lycett und dem Schauspieler Bimbo Manuel, alle drei in blauen Astronauten-Fluganzügen, um das spaßig-heroische Gedicht „2009: A Space Odyssey‘ (für Kinder unter 90+)“ vorzutragen. Der Hauptmoderator des Abends hatte daran erinnert, dass dieser Auftritt von Soyinka zur Darbietung eines seiner Texte vielleicht der erste seit über zwei Jahrzehnten war. Es war also ein historischer Moment, dass der Dichter und Schauspieler Soyinka live auf die Bühne kam, und dann auch noch im Kostüm! Bei seinem letzten Auftritt hatte der Künstler, der oft als „Löwe des Schreibens“ bezeichnet wird, zu Ehren der berühmten Boko-Haram-Gefangenen Leah Sharibu gelesen aus einem seiner Werke vorgelesen. Viele der damals Anwesenden werden sich noch daran erinnern, dass der Achtzigjährige in Tränen ausbrach, als er zu einem bestimmten Abschnitt des Gedichts kam. Er sagte, dass ein Vers in dem Gedicht ihn sehr an das Ableben seiner eigenen Tochter Yetade erinnert habe, die vor ein paar Jahren verstorben ist.

Zunächst forderte der eigenwillige Professor das Publikum auf, sich von der Düsternis zu befreien, die im Raum herrschte. Er bemerkte, dass Poesie, vor allem durch junge Leute, oft zu ernst genommen werde:

...sie denken, Poesie sei nichts als eine feierliche, düstere und finstere Beschäftigung... Eigentlich sollte Poesie einen Sinn für Humor haben.“

Taiwo Ajai-Lycett, Wole Soyinka und Bob Manuel (von links) ©Samuel Osaze

Und bei der anschließenden Aufführung seiner 22-seitigen Sammlung „2009: A Space Odyssey“, sagte Soyinka: „Wir werden Ihnen eine halb-biografische Erfahrung vorlesen. Sie ist eine Art Helden-Mockery, um die Poesie hier mal ein bisschen aufzuhellen.“ Als dann das große Finale kam, brachte es das Publikum zum Lachen und Brüllen vor Freude. Aufgeteilt in sechs Abschnitte mit 27 Strophen, nutzt das Gedicht den Stil der heroischen Poesie, um den Traum des englischen Milliardärs-Unternehmers Richard Branson zu persiflieren. Als Gründer von Virgin Galactic träumte Branson davon, seinen Geburtstag im Jahr 2019 mit dem Gedenken an die Weltraumexpedition Apollo II zusammenfallen zu lassen. Sein Bestreben war es, Menschen in den Orbit zu befördern, um den 50. Jahrestag der ersten Mondlandung von 1969 zu feiern.

Der Preis für die Reise war mit 250.000 Dollar pro Person unverschämt hoch angesetzt. Da Dichter sich diese unerschwingliche Summe nicht leisten können, erweist sich die Persona in diesem spöttischen Heldenstück, die der Ogunkanako der NASA ist, als besonders erfindungsreich. Er nutzt die Macht der Poesie, um ein Freiticket zu ergattern, und stürzt sich zusammen mit seinen Mitstreitern in das Vergnügen der Weltraumfahrt. Die poetische Phantasie ist die Erfüllung des vergeblichen Traums des englischen Milliardärs.
Diese Vorführung war keineswegs unpassend zum Abendmotto, denn verfügbare Statistiken zeigen, dass Weltraumstarts aufgrund der Verbrennung von festen Raketentreibstoffen einen saftigen Kohlenstoff-Fußabdruck hinterlassen können. Science Focus sagt: „Viele Raketen werden jedoch mit flüssigem Wasserstoff angetrieben, der „saubere Wasserdampf“-Abgase produziert, obwohl die Produktion von Wasserstoff selbst erhebliche Kohlenstoffemissionen verursachen kann.
Nach der geistigen Wanderung mit Soyinka als poetischem Piloten verließen die Zuhörer die Veranstaltung gesättigt, weil sie ein vollwertiges Menü aus Zeilen, Reimen und Rhythmen zu Ehren unserer so sehr missbrauchten Mutter Erde zu sich genommen hatten, und vielleicht mit dem Vorsatz, sich fortan für die Erhaltung der endlosen, großzügigen Gaben der Natur einzusetzen.

Die Feier zum Welttag der Poesie in Lagos verdient wirklich eine jährliche Wiederholung.
Sam Osaze ist Festivalverwalter für das jährliche Buch- und Kunstfestival der CORA Arts & Cultural Foundation in Lagos. Im Jahr 2016 schloss er sich Menschenrechtsaktivist:innen an, die für die Freilassung des Performance-Künstlers Jelili Atiku kämpften. 2014 war er Programmbeauftragter des Lagos Book & Arts Festival. Sein erster Gedichtband, Ein Esan-Mädchen tanzen sehen, erscheint im Juli bei Akono.
Gefördert durch die Kulturstiftung des Freistaates Sachsen. Diese Maßnahme wird mitfinanziert durch Steuermittel auf der Grundlage des vom Sächsischen Landtag beschlossenen Haushaltes.

Blick Bassy

Der kamerunische Musiker Blick Bassy ist in aller Munde. Über sein politisches Engagement und seine metaphysische Musik.

Read More »

contribute

Du hast Fragen, Kritik oder Themenvorschläge für akono? Dann schreib uns gerne.