Samuel Osazes Der falsche Mond von Yenagoa vermittelt die nicht enden wollende Unzufriedenheit, Wut und Verbitterung der nigerianischen Jugend über den Zustand des Landes. Osaze gehört zu einer ausgewählten Gruppe von Dichtern wie Akeem Lasisi, Rasaq Malik, Olajide Salawu, Gbenga Adeoba und anderen, die die traditionelle Ästhetik durch die Verwendung von Bildern aus der mündlichen Poesie neu interpretieren. Osazes Poesie scheint hauptsächlich von seinem Esan- und Edo-Erbe beeinflusst zu sein, das ihm als Ausgangspunkt für den Ausdruck seiner Gefühle dient.
Der Gedichtband von Osaze ist eine düstere Anschuldigung gegen die Ablehnung und Vernachlässigung durch frühere Machthaber, die Nigeria in einen Körper verwandeln, dessen Schmerz der späteren Generation gehört. Das einleitende Gedicht der Sammlung, Der Sklaventreiber, begründet die Unzufriedenheit des Dichters, die sich durch das ganze Buch zieht. Der Sklaventreiber ist, wie Osaze beschreibt, „ein Ungeheur, das vom Blut der Lämmer trinkt / und Taubheit vorgibt / für die Fäuste des Hungers / die gegen die Wände des leeren Magens / trommeln…“. Neben anderen lebhaften Bildern fängt Osaze in seiner Dichtung das Gefühl der Desillusionierung und der Hoffnungslosigkeit ein, wenn er die Jugend als „ein weites, reiches Feld, das von Heuschrecken in Ödnis verwandelt wurde“ beschreibt.
Das gesamte Werk des Dichters ist von einem anklagenden Ton geprägt (der in gewissem Sinne das Tempo der Klagen vorgibt, auch, wenn diese von der nigerianischen Jugend unausgesprochen bleiben). In einigen wenigen Fällen wird die Wut des Dichters jedoch durch sein Bewusstsein für die erhaltende Kraft der Kultur gemildert, was zeigt, dass nicht alles korrupt oder entmutigend ist. Die Gedichte Ein Esan-Mädchen tanzen sehen und Nach dem Tanz, beide im vierten Abschnitt des Buches, loben den Rhythmus einer Tänzerin und wie dieser zu einem Mittel wird, mit dem sich der Optimismus dem Geistigen nähert. Im vierten Abschnitt betrachtet der Dichter das Tanzen als einen Weg, um in die spirituelle Welt einzutreten, auf der Suche nach einer persönlichen und möglicherweise auch nationalen Wiedergeburt. Dieser Abschnitt symbolisiert, dass das Einzige, was in diesem Land funktioniert, die Unterhaltung und die Künste sind.
Osaze gelingt es zwar gut, die Not der nigerianischen Gesellschaft und die Verzweiflung ihrer Jugend in seinen Gedichten darzustellen, doch scheint die Sammlung ein wenig zu sehr nach flüssigem Sprachgebrauch zu streben. Vielleicht liegt das daran, dass die mündliche Form, die beim Schreiben verfolgt wird, nicht vollständig erforscht wird. Es ist wichtig zu erwähnen, dass das Konzept und die Prämisse des Buches gut sind, und es gibt einige bemerkenswerte Zeilen, aber die schriftlichen Elemente könnten besser verfeinert werden.
Beginnen wir mit der Verwendung der mündlichen Poesie in seinem Werk. In den meisten nigerianischen Volksgruppen sind die Formen der mündlichen Poesie typischerweise auf präzise Formulierungen angewiesen, die bei der Beschreibung des Themas nicht an Bedeutung verlieren. Das Gedicht „Sklaventreiber“ zum Beispiel könnte von einer sparsameren Wortwahl profitieren, damit der Leser die Qualen der nicht gewürdigten Arbeit im Sinne des Dichters versteht. Mündlich vorgetragene Poesie versucht, mit wenigen Worten viel zu sagen. Die Mundartdichter, die diese Gedichte vortragen, wissen, dass Worte nicht nur wegen des Bildes, das sie offenbaren, Macht haben, sondern auch wegen ihrer Fähigkeit, an die Gefühle zu appellieren, indem sie dem Leser etwas Neues offenbaren, während sie alles andere der Phantasie überlassen. Da Osaze mit seinen Gedichten versucht, die mündliche Form auf das Papier zu übertragen, erwartet der Leser eine Präsentation und Organisation, die eine Aufführung auf dem Papier nachahmt. Dabei geht es nicht unbedingt um das Wiederholen traditioneller Elemente der mündlichen Poesie, sondern um eine originelle Übermittlung des Gedichts an den Leser, bei der seine Worte über ihr Thema hinaus wirken. Das Gedicht Bei meiner Heimkehr reckt die Fäuste in die Luft zum Beispiel hat so viel Potenzial in der Art, wie es beginnt: „Bringt mich zurück woher ich komme“. Doch die darauffolgenden Zeilen „um meinen zornigen Wurzeln / bis in den Mutterschoß zu folgen, wo ich den / ersten Atemzug tat beim Mahl mit/ den Göttern des Tages“ in eine Metapher, die den Leser so verwirrt, dass das Ziel des Gedichts verloren geht.
Nichtsdestotrotz ist Osaze’s Buch ein wertvoller Beitrag zur Lyrikgemeinschaft in Nigeria. Er schließt sich zeitgenössischen nigerianischen Dichtern an und untersucht die allgemeine Erfahrung junger Menschen, die von jahrelanger schlechter Staatsführung betroffen sind, die ihre Vision vom Nigerianischsein sowohl individuell als auch kollektiv ausgelöscht hat. Von Rasaq Maliks Erkundung des Verlusts in seinen vielen Erscheinungsformen, Saddiq Dzukogis Einsatz von Poesie als Meditation für die Trauer, Ndubuisi Aniemekas Klagen über geschrumpfte Träume bis hin zu Romeo Orioguns Untersuchung des Übergangs und der Transformation des Selbst, sowohl innerhalb als auch außerhalb der nigerianischen Grenzen, bleibt der Fokus dieser Dichter, die Ratlosigkeit über den nigerianischen Staat zu zeigen. Innerhalb und außerhalb der nigerianischen Grenzen beherrscht die Verzweiflung über die Vernachlässigung der eingesperrten Bürger des Zorns, wie Osaze sie beschreibt, weiterhin die jüngsten Gedichte. Angesichts der Vorbereitungen auf die Wahlen ist Osazes Lyrik geeignet, den Puls der Nation in dieser Zeit zu hören. Sie beleuchtet die bekannten und unbekannten Lasten, die unverhältnismäßig stark auf den Schultern der größten Bevölkerungsgruppe Nigerias – der Jugend – liegen.
Samuel Osaze, Der falsche Mond von Yenagoa. Gedichte englisch/deutsch. Übersetzt von Andrea Jeska. akono Verlag 2021.ISBN 978-3-949554-00-1.125 Seiten. Softcover. Hier im Webshop bestellen
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