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Auf den Spuren von Jeneba

Auf den Spuren von Jeneba
von Mariama Wurie

Mit dem Film "Retracing Jeneba" schafft Sierra Leones Dokumentarfilm den Übergang von reiner Advocacy zu Kunst.

Sierra Leones Filmgeschichte – besonders die Geschichte des Dokumentarfilms- ist nicht besonders üppig, dafür sehr tragisch. Sie ist vor allem durch Cry Freetown geprägt, den ersten und bekanntesten Dokumentarfilm des Landes geprägt. Cry Freetown kam zur Jahrtausendwende heraus und erzählt über 27 Minuten von den Gräueltaten, die im Bürgerkrieg Sierra Leones auf dem Höhepunkt des Konfliktes geschahen. Es folgte der von der Kritik gefeierte und mehrfach preisgekrönte Film One Goal, ein Film über eine Fußballmannschaft, die aus Kriegsamputierten besteht. Viele der Mitwirkenden von One Goal wurden in La Vita Non Perde Valore von 2012 – einem ebenfalls hochgelobten Film über die Arbeit eines italienischen Pastors, der durch Gott Kriegsopfern hilft – erneut interviewt. Und schließlich ist da noch Survivors – der Bericht über die Überlebenden der Ebola-Pandemie, die in Sierra Leone zwischen 2014 und 2017 wütete. In letzter Zeit sind außerdem einige Amateur-Dokumentarfilme über die allgegenwärtige Vergewaltigungskultur des Landes, Prostitution und Menschenhandel und die Auswirkungen des Coronavirus im ländlichen Raum erschienen. Die meisten dieser Filme wurden im Auftrag von Nachrichtensendern und für Advocacy-Zwecke produziert. Die Botschaft lautet: Die Menschen in Sierra Leone leiden, und niemand scheint sich darum zu kümmern, bitte schickt Hilfe. Sie hinterlassen bei Bürger:innen und Kulturschaffenden ein Gefühl der Hilflosigkeit und bei Regierungen und NGOs Gleichgültigkeit. Es scheint, dass ein Eingreifen nicht in ihren jährlichen Entwicklungsplan für das Land passt.
Vor diesem Hintergrund produzierte der Künstler Joseph Kaifala, der während des Krieges wegen seiner bloßen Existenz verhaftet wurde, eine immersive und handlungsorientierte Dokumentation über seine Erfahrungen. Retracing Jeneba ist Kaifalas persönliche Geschichte – die Geschichte darüber, wie er während des Bürgerkriegs zwischen Sierra Leone, Liberia und Guinea geboren und aufgewachsen ist. Wie er inhaftiert und wieder freigelassen wurde, um dann tagelang zu Fuß über die Grenzen zu marschieren. Wie er in einem Flüchtlingslager landet, seine Großmutter, seinen Vater, sein Zuhause und seine Würde verliert – aber nie die Hoffnung. Es ist die Geschichte, wie diese sehr tragische Erfahrung der Antrieb für all die Arbeit und Kunst ist, die er heute schafft – und all seinen heutigen Erfolg. In seinem eindringlichen Stil ist der Film ein Aufruf zum Handeln – er ermutigt Zivilist:innen, ihre Geschichten mit anderen zu teilen und so von den Narben des Krieges zu heilen. Diese Ermutigung ist so wirksam, dass die bekannte Sängerin und Rapperin Fantacee Wiz während der Fragerunde der Filmpremiere in Sierra Leones Hauptstadt Freetown das Mikrofon in die Hand nahm, um ihre Geschichte von Vergewaltigung und sexuellem Missbrauch während des Krieges zu erzählen – und über die Maßnahmen zu sprechen, die sie ergreifen will, um denjenigen zu helfen, die seit Jahren mit dem gleichen Trauma zu kämpfen haben.
Laut Kaifala ist seine Inspiration für einen derartigen Dokumentarfilm in Sierra Leones Tradition des Geschichtenerzählens verankert. Er sagt selber, Sierra Leone habe zwar kaum so etwas wie eine Filmgeschichte – was es aber gäbe, sei eine Geschichte des Theaters, der Live-Performance und des mündlichen Geschichtenerzählens. Das mündliche Geschichtenerzählen ist eine Tradition, die bei den 13 Stämmen als „djeli“ bekannt ist – das sind Männer und Frauen, die das Publikum bewegen, indem sie die Vergangenheit, die Zukunft und die Gegenwart durch Erzählgesänge bei Familienfesten zum Leben erwecken.
Kaifalas Retracing Jeneba ist nicht nur ein Dokumentarfilm aus Sierra Leone. Es ist die Geschichte davon, wie ein Trauma zum Handeln anspornen kann. Es ist die Geschichte davon, warum Sierra Leoner:innen weiterhin Geschichten erzählen sollten. Es ist eine eindringliche Erfahrung, die die Djeli-Sprache eines sierraleonischen Mende-Mannes hervorruft.
Kaifalas Film ist vielleicht auch ein Abbild dessen, wie er sein Leben lebt. Er ist Anwalt, Programm-Manager bei Sierra Leones führender feministischer Organisation Purposeful, Historiker, Autor von drei hochgelobten Werken (eines davon ist ein Buch mit Maximen), Aktivist, Obmann von Massengräbern und einer, der Spenden sammelt, um Schulen in Kleinstädten zu bauen, in denen es vorher keine gab.

Global Dispatches

Episode 185: Joseph Kaifala Joseph Kaifala was just a child when civil war broke out in Liberia and Sierra Leone. The war came to his town in 1989 and as a seven-year-old was imprisoned with his father. They were eventually released and Joseph and his family spent much of the next decade on the run from a brutal civil war that seemed to follow them everywhere.
Kaifala ist in der Tat ein Teil der Riege moderner sierraleonischer Filmemacher, die die Kunst des Dokumentarfilms nutzen, um Gespräche anzuregen und soziale Veränderungen anzustoßen. Bei der Premierenvorführung von Retracing Jeneba betont Kaifala, dass seine wichtigste Botschaft ist, dass die Nation aufhören muss, so zu tun, als hätte es den Krieg nie gegeben und sich einfach dem Versuch hinzugeben, alles zu vergessen. Vielmehr pocht er in einem Raum voller Politiker:innen, Geschäftsfrauen und -männer und gewöhnlicher Zivilist:innen darauf, niemals zu vergessen. Immer und immer wieder über die Wunden zu sprechen, bis sie geheilt sind, und damit sich das Grauen nicht wiederholt. Dies ist eine Erzählung, die im Film widerhallt, wenn Kaifala die Zelle, in der er als Kind in Liberia gefangen gehalten wurde, das Flüchtlingslager, in dem er in Guinea lebte, und das Grab seines Vaters noch einmal besucht. Er sagt, seine Mutter würde nie wollen, dass er diese Orte – vor allem das Grab seines Vaters – besucht, weil es zu sehr schmerzt. Aber für Kaifala ist es nicht nur kathartisch, es erinnert ihn auch an seine Bestimmung. Sein Vater war ein Pädagoge, und so bleibt Bildung sein Vermächtnis auf Erden, denn Kaifala baut Schulen im Namen seines Vaters.

Autorin: Mariama Wurie

Gefördert durch die Kulturstiftung des Freistaates Sachsen. Diese Maßnahme wird mitfinanziert durch Steuermittel auf der Grundlage des vom Sächsischen Landtag beschlossenen Haushaltes.

Blick Bassy

Der kamerunische Musiker Blick Bassy ist in aller Munde. Über sein politisches Engagement und seine metaphysische Musik.

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Systéme K

Système K
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Performancekunst abseits der Weltöffentlichkeit

In Kinshasa erobert heute die Kunst die Straßen. Nichts und niemand kann diese Bewegung aufhalten…

Kinshasa ist die Stadt der Performances... Es gibt keine freie Presse in Kinshasa. Unsere Rolle ist es zu informieren... Manche von uns sammeln und recyceln die Abfälle einer Konsumgesellschaft, zu der wir keinen Zugang haben... Es gibt keine Redefreiheit, aber permanenten Ausdruck. Ob sie wollen oder nicht, wir drücken uns aus. Das ist das System K.

Système K ist ein wunderbarer Dokumentarfilm über die Straßenkunstszene Kinshasas und eine Gruppe von Menschen, die ihre politischen Botschaften voller Leidenschaft auf die Straße bringen – mit Hilfe von Patronenhülsen, Rauch, Blut, Wachs, Plastikmüll, Musik und ihren eigenen Körpern.

Der „Satan des Lichts“ zum Beispiel treibt auf den Dächern der Markthallen aus Wellblech auf staubigen Marktplätzen sein Unwesen. Mit zwei Hörnern auf dem Kopf und einer andauernden fiesen Grimasse erschrickt er Kinder auf der Straße. Der im Kongo lebende französische Dokumentarfilmer Renaud Barret begegnet in Systéme K einer Gruppe faszinierender Künstler:innen, die Kunst auf der Straße und für die Straße machen. Sie heißen zum Beispiel Freddy, Béni, Kongo Astronaute, Strombo, Majesktik, Kokoko! und Geraldine und intervenieren mit Skulpturen, Bildern und Performances im öffentlichen Raum, abseits der Weltöffentlichkeit und abseits des Kunstmarkts. Ihre Kunst ist spektaktakulär und politisch, denn sie bezieht sich auf Ausbeutung, die Privatisierung von Wasser, persönliche und nationale Traumata und die Geschichte des Kongo. Système K zeigt Kinshasas leidenschaftliche und vitale Subkultur, die die Stadt als ihre Bühne begreift.

Hier ein paar Filmausschnitte:

The Hollywood Reporter

If you think you know street art because you’ve seen a few works by Banksy or Shepard Fairey, then you should take a look at the immersive documentary System K (Systeme K), which follows several Kinshasa artists who bring the medium to a whole new level.

Ein Film von Renaud Barret
Frankreich
2019, 94 Minuten

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Kinshasa Symphony

Kinshasa Symphony
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Eine Ode an ein passioniertes Orchester im Kongo

Wenn wir an der Musik arbeiten, gibt es keine Grenzen. Es ist wie eine Treppe: Man geht hinauf und hinauf.

Dieser Dokumentarfilm über ein Symphonierorchester aus Kinshasa ist zwar schon zehn Jahre alt, aber immer noch ein absoluter Hochgenuss! Er nimmt uns mit in den Alltag der Mitglieder des höchst außergewöhnlichen „Orchestre Symphonique Kimbanguiste“ in der Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo.

Der Dirigent Armand Diangienda gründete das Orchester 1994, nachdem er seinen Job als Flugzeugpilot verloren hatte. Er hat nie eine Ausbildung an einem Konservatorium absolviert, sondern bezeichnet sich selbst im Film einfach als von Natur aus neugierig. Das Ensemble benannte er nach seinem Großvater Simon Kimbangu, einer politischen Ikone der kongolesischen Geschichte.

Als Diangienda zum ersten Mal zwölf junge Menschen versammelte, die Geige spielen lernen wollten, hatte er beispielweise nur fünf Instrumente: „Einer spielte immer 20 Minuten lang und gab dann die Geige an den Nächsten weiter“. Als die Geigensaiten rissen, ersetzten sie sie durch Bremszüge von alten Fahrrädern. Wenn sie eine C-Trompete brauchten, zerschnitten sie ein anderes Instrument. Und als sie einen Schallbecher für eine andere Trompete brauchten, bauten sie den Radkranz aus einem alten Kleinbus um.

Da die Demokratische Republik Kongo schon lange von Krieg, Ausbeutung, Armut und Korruption heimgesucht wird, haben die Musiker:innen des Orchesters ständig logistische Probleme wie Stromausfall oder Mangel an Instrumenten, aber gegen alle Widerstände proben sie anspruchsvolle Werke wie Beethovens Neunte Symphonie und Orffs Carmina Burana. Aus purer Liebe zu der Musik überwinden die sie ein Hindernis nach dem nächsten und geben schließlich zum Unabhängigkeitstag des Kongos ein großes Freiluftkonzert in Kinshasa.

Der Film begleitet einige Mitglieder des Orchesters auf deren Weg zum Konzert und zeigt diese bei den Proben als auch im Alltag bei deren Arbeit und zuhause. Er endet mit Ausschnitten des Auftritts.

Das ist ein bisschen verborgen, aber es gibt afrikanische Rhythmen bei Beethoven

Kinshasa Symphony wurde von den deutschen Regisseuren Claus Wischmann und Matin Baer realisiert. Er gewann zahlreiche Preise, zum Beispiel den Publikumspreis beim Festival des Deutschen Films 2010, beim Bolzano Cinema 2011 und beim Frestival de Cine Aleman Buenos Aires, sowie den Preis für den besten Dokumentarfilm beim CJM Film Festival 2010.

Hier geht es zur offiziellen Website des Film.

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