Was für radikal-emanzipatorische Zukünfte werden in Afrikas spekulativer Belletristik erdacht?
Die spekulative Belletristik in Afrika erlebt derzeit eine Renaissance. Für diejenigen, die „Who No Know Go Know“ kennen – um das Motto der Kapstädter Plattform Chimurenga aufzugreifen – wird sie zu einem immer bedeutenderen Genre und es ist eine Herausforderung, mit der großen Bandbreite an Autor:innen und Texten, die sich mögliche Zukünfte in Afrika ausmalen, Schritt zu halten.
Indem sie Erzählungen nicht nur in Räumen außerhalb unserer realen Welt, sondern auch in ihr ansiedeln und Geschichten schreiben, die mythologische und futuristische Elemente vermischen, malen sich Afrikas spekulative Belletristik-Autor:innen vielfältige emanzipatorische Zukünfte aus.
In einem einleitenden Essay mit dem Titel „Afrofuturismus: Ayashis‘ Amateki„, der 2018 in der Kurzgeschichten-Anthologie Intruders veröffentlicht wurde, lieferte die südafrikanische Romanautorin Mohale Mashigo eine Art Manifest für spekulative Belletristik-Autoren auf dem Kontinent. Darin verkündet sie, dass man sich mit dem Kontinent als Ganzem und dann mit den Besonderheiten spezifischer Orte, Kulturen und Sprachen in Afrika auseinandersetzen muss, um sich voll und ganz auf diesen Korpus an fiktionalen Werken einzulassen. Diese Proklamation nuanciert und konterkariert sogar einige der Grundsätze des Afrofuturismus, einer afroamerikanischen kulturellen Ästhetik, die im zwanzigsten Jahrhundert entstand.
Es mag eigentlich ganz selbstverständlich erscheinen (ist es aber nicht): Afrika steht im Mittelpunkt seiner spekulativen Belletristik. Und der einfache Akt der Zentralisierung des Kontinents hat ein entscheidendes emanzipatorisches Potenzial. „Waking Up in Kampala“ (2016) des malawischen Schriftstellers Wesley Macheso beleuchtet diesen Punkt deutlich. Die Geschichte spielt in Kampala, dem sogenannten Silicon Valley Afrikas, im Zeitalter der Post-Technokalypse im Sommer des Jahres 2515. Während sich die Geschichte mit allerlei futuristischen Lebensformen auseinandersetzt, ist die Darstellung einer technologischen Übernahme, die die westliche Welt zerstört und Afrika zu einem einzigen großen Land vereint hat, die treibende Kraft der Geschichte. Afrika hat die Technokalypse mit Hilfe seiner „reichen natürlichen Ressourcen“ (Macheso) bekämpft; tatsächlich ist es die führende Weltmacht. Hier arbeitet Macheso an der Umkehrung der globalen gesellschaftspolitischen Ordnung von heute, und damit imaginiert die Geschichte eine radikal veränderte Zukunft.
The Transcendence of boundaries
Interessant ist an dieser Stelle auch, dass die spekulative Fiktion zwar den Kontinent als Landmasse, als Ort, als einheitliche Macht in den Mittelpunkt stellt, aber auch die Menschen Afrikas als Kollektiv in die Zukunft projiziert. Natürlich gibt es einige starke Superheld:innengeschichten, die sich auf das Individuum konzentrieren, aber Konzepte wie ubuntu sind in spekulativen Texten im heutigen Afrika lebendig verwoben. Darüber hinaus könnte man auch hinzufügen, dass ein Großteil der spekulativen Fiktion daran arbeitet, die Dichotomie von dem Eigenen und dem Fremden aufzuheben – es scheint sehr wenig Interesse daran zu bestehen, einen weiteren „Anderen“ in Afrikas vorgestellten Zukünften zu produzieren. In diesem Sinne ist die Zukunft inklusiv.
Die obigen Punkte tragen zu der Idee bei, dass spekulative Fiktion in Afrika in dominante Gegenwarts-Zukunfts-Narrative, die so oft vom Westen vorgeschrieben werden, eingreift und diese stört. Über die Zentralisierung Afrikas hinaus entwirren die Autor:innen des Genres also auch effektiv den Faden der Logik, der die Fortschrittserzählungen aufrecht erhält. Dies wird größtenteils durch die Unterbrechung der Linearität erreicht. Nehmen wir das Werk „Njuzu“ des simbabwischen Autors Tendai Huchu als Beispiel: Huchus Geschichte spielt auf Ceres – dem landwirtschaftlichen Zentrum des Hauptasteroidengürtels -, aber sie bezieht auch den Shona-Wassermann ein, der in Seen und Flüssen leben soll. Hier werden verschiedene Erwartungen irritiert. Zum einen bricht die Geschichte sofort mit der linearen Zeitlichkeit, indem sie ein traditionelles Fabelwesen in eine futuristische Erzählung integriert, die auf einem Planeten im Weltraum spielt.
Neben der Existenz von Njuzu in der Zukunft ist auch die Verschmelzung von Spiritualität und Technologie in der Kurzgeschichte zentral. In einer Szene versammeln sich die Charaktere zu einer Zeremonie um Bimhas Teich, gesellen sich zu Trommlern und johlenden Frauen vor einem Hologramm von „Nyati, dem Büffel, dem Totem ihres Clans“. An diesem einfachen Ausschnitts sehen wir, dass Hologramm und Totem – Spiritualität und Digitalität, vergangene, gegenwärtige und zukünftige Zeitlichkeiten – miteinander verknüpft sind. Nyati – eine traditionelle heilige Figur – ist hier technologisch fortgeschritten und digital verbunden. Das hinterlässt bei den Leser:innen den starken Eindruck, dass Indigenität keineswegs ein Gegensatz zu Technologie oder Moderne ist. Letztlich verbindet Huchu scheinbar Unvereinbares zu einer radikal anderen, emanzipierten Zukunftswelt.
Nicht nur mythische Kreaturen sind in spekulativer Fiktion in Afrika von Bedeutung, sondern auch die Darstellung der Interaktion zwischen Mensch und Natur ist eine weitere interessante Art und Weise, in der sich Schriftsteller:innen eine radikal befreite Zukunft vorstellen. Man denke nur an die zahlreichen Werke der nigerianisch-amerikanischen Autorin Nnedi Okorafor. Allein in Lagoon (2014) finden wir verschiedene Meeresbewohner:innen, eine Fledermaus und eine Spinne. Über die bloße Darstellung hinaus besitzt jede dieser Kreaturen in Lagoon eine Ich-Erzählung. In ähnlicher Weise erzählen in Namwali Serpells The Old Drift (2019) Moskitos ihre Geschichte. Eine Libelle steht im Mittelpunkt von Wole Talabis Kurzgeschichte Incompleteness Theories (2019). Lauren Beukes‘ Zoo City (2010) integriert verschiedene Tiere in die dystopische Landschaft von Johannesburg. Ein weiteres Beispiel ist die Kurzgeschichte A Butcher Fantasy von Stacy Hardy, die fragt: Wie wäre es, wenn ein Mensch in einer Kuh gefangen wäre? Was wäre, wenn die Rollen von Mensch und Tier vertauscht wären? Sich auf diese Weise mit Multispezies zu beschäftigen, indem man versucht, die Erfahrungen verschiedener Tiere zu verstehen und den Kreaturen in den Erzählungen eine Stimme zu geben, ist ein wesentlicher Schritt zur Anerkennung der nicht-menschlichen Handlungsfähigkeit auf der Erde; ein bedeutender Schritt in unserer heutigen Zeit hin zu einer nachhaltigeren Zukunft.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die imaginierte Zukunft in den spekulativen Fiktionen Afrikas nicht restriktiv ist. Im Gegenteil, sie ist offen, vielfältig, nicht-linear und letztlich auf die Überwindung von Grenzen ausgerichtet.
Abschließend sei gesagt, dass sich die obige Einschätzung vom Inhalt der spekulativen Fiktionen auf die Form überträgt. Nicht nur ist „spekulative Fiktion“ eine weit gefasste Kategorie, auch die Form, in der viele Autoren spekulativer Fiktion ihre Werke heute veröffentlichen, trägt zu ihrem emanzipatorischen Potenzial bei. Indem sie einige der Grenzen überschreiten, die von einer Verlagsindustrie auferlegt werden, die weitgehend eine Gatekeeping-Rolle ausübt, indem sie in der Kurzform schreiben und zu einem großen Teil im digitalen Raum erscheinen, scheint der spekulative Text nicht so sehr durch einige traditionellere Verlagsstrukturen eingeschränkt zu sein. Dies trägt wesentlich dazu bei, die Erzählung der Zukunft auf interessante Weise zu diversifizieren, ja sogar zu emanzipieren.
Teile dieses Artikels basieren auf einem Beitrag von Woods in der Zeitschrift Scrutiny 2: Issues in English Studies in Southern Africa. Erlaubnis unter der Creative Commons License von Africa is a country.
Joanna Woods arbeitet derzeit an zeitgenössischer spekulativer Belletristik des südlichen Afrikas. Sie ist Doktorandin der Anglistik an der Universität Stockholm.
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