Der neue in Kapstadt spielende Film des Regisseurs John Gutierrez handelt von Kolonialismus, Vertreibung und der komplizierten Beziehung des Menschen zur Natur.
Die Meeresschnecke Abalone ist eine heiße Ware auf dem Schwarzmarkt. Sie ist ein Luxuslebensmittel, besonders im Fernen Osten und in Europa begehrt. Es ist daher nicht verwunderlich, dass sie auch das Lebenselixier von Fischerfamilien der Arbeiterklasse ist, die die Meeresmolluske aus geschützten Gewässern wildern. Große Syndikate, die oft mit dem Drogenhandel oder Revierbanden verbunden sind, agieren als Zwischenhändler mit dem Markt. Südafrika, insbesondere die Küste um Kapstadt, ist ein wichtiger Knotenpunkt in diesem illegalen Handel. Erst Anfang dieses Monats hat die Polizei in Kapstadt an einem Tag 65 mutmaßliche Abalone-Wilderer festgenommen.
Sons of the Sea heißt der neue Spielfilm des mexikanisch-amerikanischen Regisseurs John Gutierrez. Der Film hatte seine Premiere bei Cinequest im März 2021 und wird erneut beim Durban International Film Festival in Südafrika zu sehen sein, das vom 22. Juli bis 1. August 2021 stattfindet. Der Film spielt an der Küste der False Bay in Kapstadt. Die Handlung folgt zwei Brüdern aus den „council flats“ von der armen Seite des malerischen Fischerdorfes und Touristenortes Kalk Bay. Einer der Brüder stolpert über eine Ladung gewilderter Abalonen, oder Perlemoen, wie sie vor Ort genannt werden. Der ältere Bruder Mikhail (Marlon Swartz) sieht darin eine Möglichkeit, dem Ghetto zu entfliehen, während der Fund für den jüngeren Bruder Gabe (Roberto Kyle) eher das Ende einer vielversprechenden Zukunft bedeuten könnte. Während sie einen Plan ausarbeiten, um die Abalone auf dem Schwarzmarkt zu verkaufen, beginnt ein abtrünniger Stadtrat (Brendon Daniels), der seine eigene persönliche Tragödie zu bewältigen hat, sie zu jagen.
Ohne jemals didaktisch zu sein, berührt der Film die Themen Kolonialismus, Vertreibung und die komplizierte Beziehung des Menschen zur Natur. Es ist ein wunderschön gedrehter, authentisch gespielter Thriller, der gut auf Festivals laufen wird. Gutierrez lebt in Kapstadt (seine Lebensgefährtin ist die gefeierte südafrikanische Autorin und Regisseurin Nadia Davids, die Sons of the Sea mitproduziert hat), und wir trafen uns, um über den Film und seine Themen zu sprechen, über seine dokumentarische Herangehensweise an die Fiktion und die Ähnlichkeiten zwischen seiner Heimat Kalifornien und seinem derzeitigen Zuhause an der Spitze Afrikas.
DV: Dieses Projekt ist eindeutig ein Herzensprojekt. Wie hat das begonnen?
JG: Es begann 2013, als ein befreundeter Produzent und ich nach Kapstadt kamen, um eine Geschichte für einen Spielfilm zu suchen. Ich sagte ihm: „Alter, wir müssen den Zug nehmen, nach Kalk Bay fahren und du musst dir die Küste ansehen.“ Das taten wir und nahmen ein paar Kleinbildkameras mit, hingen im Hafen herum, machten Fotos und sprachen mit den Leuten … wir wussten, dass es dort etwas gab. Wir wussten nur nicht, was die Geschichte war, die ergab sich dann einfach im Hintergrund.
2018 hatte ich ein Drehbuch geschrieben, ich wurde (dem Produzenten) Khosie Dali durch Imran Hamdulay vorgestellt, der den Film auch produzierte und das Produktionsdesign übernahm. Ich schrieb ein Drehbuch mit dem Titel „Lie of the Land“ über eine weiße Familie, die in ein Haus in Protea Village einzieht, und die Leute, deren Haus es war, versuchen, es zurückzubekommen. Es war ein bisschen ehrgeizig für einen ersten Spielfilm, und Khosi meinte: „Ich glaube nicht, dass wir das mit 5.000 Dollar machen können!“ Ich habe niedrig angefangen. Ich wusste, wir könnten mehr Geld auftreiben, aber mir war klar, dass wir es mit wenig Geld machen mussten.
Also verwarf ich die Idee und beschloss, etwas im Dokumentarstil zu machen – mit ein paar Schauspielern und einer sehr einfachen Geschichte. Ich begann, über meine eigene Heimat in Kalifornien nachzudenken und über die Themen, die ich erforschen wollte, und ich wollte die Brüderlichkeit erforschen. Ich griff auf diese alte Geschichte aus der mexikanisch-amerikanischen Gemeinschaft zurück, in der es um einen Taucher namens Mechudo geht, der im Rahmen eines Wettbewerbs taucht. Er wird gierig und holt sich die größte Perle und stirbt im Wasser. Es gibt viele Adaptionen dieser Geschichte. Er war übrigens auch ein Yaqui-Indianer, das ist eine unglaubliche Volksgruppe, von der meine Familie abstammt. Diese Geschichte wurde von John Steinbeck in der Novelle Die Perle aufgegriffen und das wurden die beiden Inspirationen, von denen ich dachte, dass sie etwas sein könnten, das ich nach Kapstadt verpflanzen könnte. Von da an fing ich an, nach Kapstadt zurückzukehren und mit den jungen Leuten zu sprechen, die in den Fischerhütten leben, mit ihnen abzuhängen, sie beim Surfen zu beobachten und so weiter. Mich also der Geschichte aus einem dokumentarischen Blickwinkel zu nähern, ohne wirklich sicher zu sein, wohin sie führen würde. Ich hörte kleine Stücke von dem, womit sie täglich zu tun hatten. Etwa zur gleichen Zeit stieß ich auf das Buch The Poacher von [dem südafrikanischen Journalisten] Kimon de Greef, mit dem ich mich anfreundete. Und dann habe ich angefangen, tief in die Abalone-Szene einzutauchen, die echt unglaublich ist. Mir wurde klar, dass es hier nicht nur um Leute geht, die versuchen, das schnelle Geld zu machen, sondern um alles. Das ist eine globale Geschichte. Es geht um Menschen, die versuchen, von ihrem Meer zu leben, von dem sie nicht mehr leben können.
DV: Warum ist der Handel mit Abalone so eine große Sache auf dem Schwarzmarkt?
JG: Man kann in die Kriminalgeschichte einsteigen, wo es um Gangster geht, um die chinesische Triade, und es geht um Drogen, die in die Cape Flats gepumpt werden im Austausch für Abalone, die in China für Hunderte und Aberhunderte von Dollar verkauft wird. Für mich ist die Abalone, die Gabe und Mikhail finden, die Schatztruhe, der „McGuffin“, der einen durch die Geschichte führt. Im Kern der Geschichte geht es um eine Gruppe von Männern, die von einem Ort in der Welt kommen, die von diesem Ort gelebt haben, und sie wurden vertrieben. Aufgrund des systemischen Rassismus und der Geschichte des Kolonialismus kämpfen sie darum, an dem Ort zu überleben, von dem sie kommen. Und das ist eine universelle Geschichte, die sich mit meinen Leuten zu Hause verbindet; der Schwarzen Gemeinschaft, der Gemeinschaft der amerikanischen Ureinwohner:innen und der hispanischen Gemeinschaft. Wenn sie diesen Film sehen, sehen sie sich selbst darin reflektiert. Während ich also eine sehr spezifische südafrikanische Geschichte erzählte, erzählte ich in dieser Besonderheit eine globale Geschichte über das Braun- und Schwarzsein in einer Welt, die kolonisiert wurde.
DV: Es gibt definitiv viele historische und kulturelle Gemeinsamkeiten zwischen Kalifornien und Kapstadt. Haben Sie das bei Ihrer Arbeit auch bemerkt?
JG: Es gibt tiefgreifende Ähnlichkeiten in der Landschaft, besonders in der San Francisco Bay Area, wo ich herkomme, und in Kapstadt, diesem unglaublichen, atemberaubenden Zusammentreffen von Bergen und Meer. Dann gibt es die radikalen Unterschiede zwischen den Wohlhabenden und den Verarmten – obwohl diese Unterschiede in Kapstadt natürlich noch viel intensiver sind. Auf einer intimen Ebene spüre ich eine Vertrautheit zwischen dem farbigen Kapstadt und dem mestizischen Kalifornien – dieselbe Geschichte des kulturellen Zusammenstoßes, der Mischung aus Ureinwohner:innen, gewaltsam herbeigeholten Menschen und Siedlern. Auch andere Dinge sind vertraut: das Zusammenkommen der Familie in großer Zahl zum Essen, die Formung des Einzelnen als Teil eines Kollektivs, einer Gemeinschaft. Es gibt also sowohl schmerzhafte als auch schöne Markierungen der Gleichheit.
Africa is a Country
DV: Mit Blick auf die Themen Kolonialismus und Vertreibung fiel mir auf, dass es in diesem Film keine weißen Charaktere gibt, obwohl Kapstadt eine relativ große weiße Bevölkerung hat. Kapstadt wird oft so beschrieben, dass es sich sehr kolonial anfühlt, obwohl es schon Jahrzehnte in der Demokratie ist. War das eine bewusste Entscheidung und was war die Motivation dahinter?
JG: Die ursprünglichen Geldgeber empfahlen drei weiße männliche Schauspieler für die Rolle des Regierungsbeamten Peterson, aber wir (die Produzenten) trafen uns als Gruppe und beschlossen, das Angebot abzulehnen. Aus zwei Gründen: Ich wollte das Weißsein im Film dezentralisieren, obwohl es natürlich ein durchgängiges Merkmal ist. Die koloniale Prägung ist überall, in der Landschaft, in den Bildern, im gesamten sozialen Kontext/Konstrukt der Welt der Jungen. Aber es war auch wichtig, weil der Beamte aus der gleichen Welt kommen musste wie die Jungen, und in gewisser Weise sind alle vier männlichen Charaktere (vom kleinen Jungen bis zum erwachsenen Mann) repräsentativ für ein einziges Leben und wie gefangen wir in der Geschichte sein können. Außerdem tut es immer mehr weh, wenn die eigenen Leute einem Gewalt antun, das wissen wir, und es gibt immer eine schwierige, komplizierte Geschichte dahinter.
John Gutierrez ist ein Latinx-Autor/Regisseur, geboren und aufgewachsen in San Jose, Kalifornien.
Dylan Valley ist Mitglied der Redaktion von Africa is a Country. Er ist Filmemacher und gehört der Fakultät für Fernsehstudien der Wits University an.
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