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Garey Godson

Garey Godson

Ein Gespräch über Schönheit, den Room of Understanding und die Geburtstunde eines neuen Nigerias

Gare Anighoro alias Garey Godson ist ein in Berlin lebender nigerianischer Künstler, Musikproduzent und Creative Writer. Mit seinem von ihm als Afrofusion bezeichneten Sound und seinem unabhängigen Plattenlabel Room of Understanding bahnt er sich abseits von den Erwartungen, die die Musikindustrie an afrikanische Millenials stellt, seinen eigenen Weg zum Erfolg. Mit Akono hat er über die aktuelle Lage in Nigeria, seine künstlerischen Freundschaften in Deutschland und über verschiedene Begriffe von Schwarzer Schönheit gesprochen.

A: Was ist eigentlich genau Afrofusion?

G: Unter Afrofusion verstehe ich einen befreienden und zukunftsweisenden Weg für afrikanische Millennials, sich auszudrücken, ohne notwendigerweise dem Status quo der Erwartungen der Industrie zu erliegen. Es ist eine futuristische Perspektive auf Musik, da sie afrikanische Melodien mit westlichen Einflüssen verschmilzt. Sie kombiniert Rhythmen aus R’n’B, Hip-Hop, Soul & Afro-Beats. Alle diese Musikrichtungen haben im Kern ihre Wurzeln in Afrika, aber was ich meine, ist, dass sie durch westlichen Einfluss rekommerzialisiert wurden. Aber die ursprünglichen afrikanischen Klänge, Farben und Melodien kann man in meiner Musik hören, und man merkt, dass dies nicht amerikanisch und nicht westlich ist, was die Interpretation und den Gesang betrifft. Aber die Produktion ist in gewisser Weise eine Verschmelzung von allem. Sie ist einfach sehr klar oder frei. Mein Album Still I Rise ist von Maya Angelous gleichnamigen Gedicht inspiriert, da es gefühlvoll und rhythmisch ist und Ideen wie Belastbarkeit, Selbstliebe, Stärke und Schönheit bei Afrikaner:innen in der Diaspora und darüber hinaus fördert. Meine musikalischen Einflüsse stammen von internationalen und nigerianischen Künstler:innen wie Jay Z, Lauryn Hill, Nipsey Hussle, Kanye West, Tuface Idibia, T-Pain, Jesse Jags, Odunsi The Engine, Nonso Amadi und Burna Boy.

A: Wie bist du denn bei diesem Sound angelangt? Erzähl uns bitte etwas über deinen musikalischen Werdegang.

Musik war ein wichtiger Teil meiner Erziehung. Mein Vater hatte eine sehr umfangreiche Plattensammlung von internationalen und heimischen Künstler:innen. Bei uns zuhause liefen immer Platten von Fela Kuti, Barry Wonders, Marvin Gaye, Majek Fashek, Prince und Michael Jackson. Ich bin in einem evangelischen Elternhaus aufgewachsen und war als Teenager Mitglied im Kirchenchor. So ungefähr mit 19 Jahren habe ich dann begonnen, mich für Musikproduktion zu interessieren und habe Songs geschrieben, selbst gesungen und für lokale Künstler:innen in Nigeria produziert. Nach meinem Abschluss bin ich nach Europa gezogen und habe an der TU Ilmenau einen Master in Kommunikations- und Medienwissenschaften gemacht. Dort habe ich meinen Freund und Co-Produzenten Hannes alias HKMK kennengelernt. 2018 haben wir zusammen das Plattenlabel Room of Understanding gegründet. Zuerst war es die Freundschaft, die uns zusammengebracht hat, und dann die Musik. Je mehr Zeit wir miteinander verbrachten, desto mehr haben wir verstanden, wie unterschiedlich wir im Sinne unserer kulturellen Erfahrungen sind. Als wir dann beschlossen, gemeinsam Musik zu machen, fingen wir an, offene Konversationen über politische und kulturelle Themen zu sprechen, die uns auf unterschiedliche Art und Weise betrafen. Menschen, die in Deutschland aufgewachsen sind, haben häufig Wissen und eine Haltung, die sie nur ungerne hinterfragen. Ich habe versucht, einige Dinge in Frage zu stellen, und wir haben gemeinsam auf freundschaftliche Art und Weise versucht, voneinander zu lernen. Dieser Raum der Verständigung wurde dann zum Room of Understanding, in dem gemeinsame Musik entstand. Vieles davon durchbricht die Mauern dessen, was die Leute denken, wie wir aussehen oder klingen sollten, und schafft einen Raum, in dem sich Menschen jedes Glaubens oder jeder Sexualität frei fühlen können, sich auszudrücken. Der durchschnittliche Nigerianer wie ich ist auf so viele Arten unterdrückt worden. Vor allem diejenigen von uns, die in Nigeria leben. Aus der Unterdrückung gibt es immer zwei Wege der Flucht: Entweder man wird selbst zum Unterdrücker, wenn man die Gelegenheit dazu hat, oder man versucht, etwas zu tun, um Unterdrückung zu hinterfragen. Ich für meinen Teil will mit meiner Arbeit Dinge hinterfragen und ein positives Beispiel abgeben. Der Room of Understanding wurde deshalb auch geschaffen, um andere aufstrebende Kreative dabei zu unterstützen, ihre Stimme zu finden und ihre Kunst der Welt zu präsentieren.

Zwei Männer
Room of Understanding, HKMK und Garey Godson. Foto: © Max Judge

A: Du hast gerade so ein tolles T-Shirt an, auf dem Afro Beauty steht. Du hast auch einen Text verfasst, der An Ode to the Black Skin heißt. Magst du etwas erzählen über Vorstellungen von Black Beauty, die deine Musik unterfüttern?

Am Gymnasium hatte ich einen tollen Literaturlehrer, der sich gut mit Geschichte auskannte, uns zu Gedichtlesungen und Theatervorstellungen mitnahm und uns in die Welt Schwarzer Schriftsteller:innen wie Léopold Sédar Senghor, Maya Angelou, Wole Soyinka und anderen einführte. Ein wiederkehrendes Thema in deren Werken war das des Schwarzen Stolzes und der Schwarzen Schönheit. Ich hatte das Privileg, etwas über mein kulturelles Erbe zu erfahren und darüber, dass wir vor der Ausbeutung des afrikanischen Kontinents Könige und Königinnen waren. Die Negritude-Bewegung, die im frankophonen und karibischen Raum schon lange vor meiner Geburt begann, half mir, die Tatsache zu begreifen: Black is beautiful. Dieses Wissen gab mir auch einen besseren Einblick in den Beitrag Afrikas zu den globalen Künsten und Wissenschaften.

Es ist ein Privileg, als Künstler die Möglichkeit zu haben, Erzählungen zu definieren und umzugestalten. In Zeiten wie diesen bin ich davon überzeugt, dass Literatur, Musik und Kunst in allen Formen wichtige Werkzeuge für gesellschaftliche Veränderungen sind. Für Schwarze auf der ganzen Welt war dieses Jahr ein Schlüsselmoment für Reflexion und Aktion. Ich glaube, es ist an der Zeit, den Status quo aufzurütteln, indem wir uns auf sinnvolle Gespräche einlassen und die Erzählung durch Agenden, die Veränderungen bewirken, neu gestalten. Wir können durch unsere Stimme, unsere Plattformen und unsere Solidarität mit unseren Schwarzen Brüdern und Schwestern auf lokaler und internationaler Ebene eine Rolle bei der Gestaltung der Zukunft spielen.

A: Eine Zeile aus deinem Song Tha Juice geht „When you come from where I come from you know that we don’t give up” und du beziehst dich immer wieder auf das Gedicht „Still I Rise“ von Maya Angelou. Was bedeutet es für dich im Leben, Hindernisse zu überwinden?

G: Ja, tatsächlich stammt das Gedicht aus einer Zeit, in der extrem starke Segregation herrschte und ist eine Ode ans Schwarzsein und die Fähigkeit, sich über Hindernisse im Leben zu erheben. In Nigeria muss man immer einen Weg finden. Das kann ich nicht schönreden. Wenn man das Gefühl hat, dass die Regierung nicht hinter einem steht, muss man einen Weg finden. Es gibt viele junge Menschen in Nigeria, die sich die Dinge von Grund auf selbst erschaffen haben oder Dinge zusammenfügen oder auslagern. Es ist uns also in die Wiege gelegt, uns unseren eigenen Weg zu bahnen. Das ist der Kampfgeist.

A: Lass uns nochmal über Nigeria sprechen. Wie ist deine Einschätzung der aktuellen Ereignisse?

Junge Nigerianer:innen haben sich zu den #endSARS Protesten versammelt, um ihre Stimme für Polizeireformen zu erheben, um Korruption ein Ende zu setzen und staatliche Umstrukturierung zu fordern, vor allem was den Zugang zu Bildung und Beschäftigung von jungen Menschen angeht. Ich denke es handelt sich hier auch um einen intergenerationalen Konflikt: Viele junge Menschen haben das Gefühl, von der älteren Generation im Stich gelassen worden zu sein. Aber erst jetzt, da wir bei Themen von sozialer Gerechtigkeit an vorderster Front stehen, beginnen wir mehr von der Dynamik zu verstehen, die viele Ältere dazu gebracht hat, aufzugeben und sich in diesem System einzurichten. Aber wir sind durch neue Technologien und den Kontakt in verschiedene Teile der Welt befähigt, Dinge zu ändern. Das heißt nicht, dass man Ältere, die sich wirklich leidenschaftlich für ihr Land einsetzen, auschließen sollte vom gesellschaftlichen Veränderungsprozess. Wir brauchen Leute, die mit anpacken wollen, egal welchen Alters, welcher Religion oder welchen Geschlechts.

Aber was die Regierung angeht, ist es mal wieder allzu bezeichnend, was während der Proteste passiert ist. Drei große nigerianische Nachrichtensender, die über die Proteste berichteten, wurden wegen ihrer Berichterstattung mit einer Geldstrafe belegt. In den nächsten Wochen oder Monaten werden die Massenmedien, die größtenteils von der Regierung kontrolliert werden, daher versuchen, die öffentliche Aufmerksamkeit von dem, was wir in der Nacht der Schüsse am Lekki-Gate gesehen haben, abzulenken, die Erzählung umzugestalten und eine Regierungsbeteiligung sogar ganz zu leugnen. Aber unsere kollektiven Stimmen und Energien haben ein neues Bewusstsein ausgelöst. Das verlangt von uns, den Staffelstab zu ergreifen und loszulaufen. Es liegt jetzt an uns, an diejenigen zu erinnern, die ihr Leben für ein besseres Nigeria verloren haben. Wir sollten das alles als Antrieb nutzen, um den Kampf für Gerechtigkeit fortzusetzen. Wir sollten uns an die Namen der Toten erinnern, sie in unsere Kunst einbetten und ihre Geschichten unseren Kindern erzählen. Das ist für die Geburt eines neuen Nigerias von entscheidender Bedeutung. Auch Nigerianer:innen in der Diaspora haben ihre Solidarität in Ländern wie den USA, Deutschland, Großbritannien, Kanada, Finnland und Österreich gezeigt, indem sie sich an friedlichen Protesten beteiligten und auf die Ungerechtigkeiten in Nigeria aufmerksam machten.

Freiheit ist nichts, was einem gegeben wird. Man muss sie sich erkämpfen. Die Ereignisse der letzten Wochen zeigen, dass es in Nigeria einen Aufbruch gibt.

Mann mit Fahne

Immortalizing the lost lives: A vital key in the awakening of a new Nigeria.

It’s exactly one week since the shootings at the Lekki toll gate in Lagos occurred. The 20th of October 2020 was a day that shook many citizens as well as international sympathizers and raised so many questions about the so-called democracy of Africa’s most populous nation Nigeria….

Garey Godson veröffentlichte sein zweites Studioalbum Still I Rise im Jahr 2020, das u.a. die Lieder Koko und Kairo enthielt. Aktuell arbeitet er an seiner EP Lucid Thoughts, die im nächsten Jahr erscheinen soll.

Instagram: Garey Godson

Foto im Header: © Max Judge

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