von Haythem Guesmi
Die Geschichte Afrikas beinhaltet das ständige Navigieren zwischen utopischer Vision und brutaler Realität, wie die jüngsten Arbeiten des ägyptischen Filmemachers Tamer el-Said und zuvor auch die des Schriftstellers Ayi Kwei Armah zeigen.
Ein permanenter Daseinszustand
Entzauberung hat irgendwie etwas an sich, das sie zu etwas besonders Afrikanischem macht. Afrikaner und Afrikanerinnen haben in einer long durée gelebt, die so alt ist wie das Leben selbst. Das bedeutet, dass sie unendlich oft mit ansehen mussten, wie ihre Hoffnungen und Träume erfüllt, dann zerschlagen, erprobt und verworfen wurden. Entzauberung wird zu einem permanenten Daseinszustand, den Afrikaner:innen gut kennen und dem sie direkt ins Gesicht sehen können.
Jedes Mal, wenn ein Projekt des aufrichtigen sozialen Wandels scheitert, wird dieser enttäuschende Zustand der Entzauberung sichtbar. Nach den afrikanischen Unabhängigkeitsbewegungen und dem Arabischen Frühling verwandelte sich die Euphorie, wieder frei zu sein und von den unendlichen Möglichkeiten zu träumen, die die Zukunft bietet, schließlich langsam und stetig in eine trostlose Realität von Korruption, Elend und Tod. Doch die Erinnerung an diese euphorischen Erlebnisse ist nach wie vor so intensiv, dass ein starkes Gefühl der Sehnsucht wie ein utopischer Puls auf dem Kontinent nachschlägt.
Der janusartige bildliche Ausdruck von Entzauberung und Hoffnung definiert und prägt noch immer die afrikanische Kunst. Im Abstand von fast 50 Jahren bieten Tamer el-Saids Film In the Last Days of the City (2016) und Ayi Kwei Armahs Roman The Beautyful Ones are not yet born (1968) fast identische Dramatisierungen dieses afrikanischen Zustands – und lösen damit aktiv die afrikanische Moderne aus dem lähmenden Diskurs des Afropessimismus.
In the last days of the city begleitet den männlichen Protagonisten Khaled (Schauspieler Khalid Abdalla), der desillusioniert ist über das trostlose Schauspiel eines Kairos, das am Rande des völligen Zusammenbruchs steht. El-Saids Debütfilm, der schon 2009 gedreht wurde, verwebt fiktionale und nicht-fiktionale Elemente, um im Rückblick einen düsteren Blick auf die letzten Tage von Hosni Mubaraks autoritärem Regime zu werfen, das durch die Revolution von 2011 gestürzt wurde. Er lenkt die Aufmerksamkeit auf die sich verschlechternde Situation unter der gegenwärtigen brutalen Herrschaft von Mubaraks Nachfolger Abdel Fattah el-Sisi zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Films im Jahr 2016.
In the last days of the city zeigt Khaleds Alltag und seine Suche nach einer neuen Wohnung in der Innenstadt von Kairo, seine häufigen Besuche bei seiner sterbenden Mutter, die Trennung von seiner Liebe Laila, seine Unfähigkeit, über die künstlerische Leitung seines Dokumentarfilmprojekts zu entscheiden, und seine entfernte Freundschaft mit anderen arabischen Filmemachern aus Beirut, Bagdad und Berlin. Er fühlt sich von sich selbst, seinem Volk und seiner Stadt zutiefst entfremdet. Das zeitgenössische Kairo ist eine monströse Stadt, die ihre Bewohner:innen aussaugt: Versagen, Krankheit und Tod werden zu der Ästhetik, um die herum das Leben von Khaled und allen in seiner Nähe gestaltet wird.
Die Schönen sind noch nicht geboren worden
Fast 50 Jahre zuvor machte Ayi Kwei Armahs Enttäuschung über Kwame Nkrumahs Ghana The Beautyful Ones Are Not Yet Born zu einem perfekten Beispiel für das, was Joe E. Obi Jr. den Desillusionierungsroman nannte. Armahs Debütroman erschien 1968, zwei Jahre nach dem Staatsstreich, der Nkrumahs Regierung stürzte, und elf Jahre, nachdem Ghana als erstes subsaharisches Land unabhängig wurde. Er schildert rückblickend die ernüchternde Realität von Nkrumahs Autoritarismus und seine schrecklichen Auswirkungen auf Accra und dessen Bevölkerung.
The Beautyful Ones spielt in den letzten Tagen von Nkrumahs Herrschaft und schildert den unerträglichen Alltag eines namenlosen Protagonisten, der sich weigert, sich am System der zügellosen Bestechung und Gewalt zu beteiligen. Er ist entfremdet von seinem sinnlosen Job, seiner schmutzigen Umgebung und sogar von seiner Familie, als er sich zunächst weigert, sich an einer korrupten Transaktion zum Kauf eines Fischerbootes zu beteiligen, die seiner Frau Oyo, seiner Schwiegermutter und Koomsoon, einem alten Freund, der zum korrupten Minister in Nkrumahs Regierung wurde, zugute käme. Der Unbekannte ist ein blasser Erzähler-Protagonist, der verzehrt wird von einem lähmenden Bewusstsein über die Aussichtslosigkeit einer Suche nach Schönheit, Moral und Wahrheit unter solch dystopischen Bedingungen.
Sowohl The Last Days als auch The Beautyful Ones handeln von passiven Protagonisten, die sich nicht mit der zerfallenden Gesellschaft, in der sie leben, und der Unmöglichkeit, in ihrem persönlichen Leben und der korrupten Welt um sie herum Veränderungen herbeizuführen, versöhnen können. Sowohl Khaled als auch der namenlose Protagonist sind hinsichtlich ihrer Wünsche und Erwartungen ambivalent, ständig von ihrer Unfähigkeit überwältigt und schließlich unfähig, eine kohärente Vision davon zu entwickeln, wie Emanzipation aussehen könnte. Sowohl Khaled als auch der namenlose Mann treiben in einem desinteressierten Halbschlaf und auf zielloser Reise durch ihre Städte. Ein tiefes Gefühl der Entfremdung und Frustration stellt die Möglichkeit in Frage, ihre Wanderung als bloße flânerie zu betrachten.
Ihre Unfähigkeit, mit der Welt um sie herum zu resonieren, wird kontrastiert durch die Überfrachtung mit Eindrücken, Gefühlen und Klangbildern, die durch die wiederkehrende Metapher des alles durchdringenden Auges unter narrative Kontrolle gebracht werden. Während sie in ihren Städten umherwandern, fesselt jeder Anblick von dem, was ihnen ungewohnt geworden ist, die Protagonisten in einem hoffnungslosen Versuch zu begreifen, was mit ihren Ländern und Mitmenschen geschehen ist.
Africa is a Country
Dieser Artikel von Haythem Guesmi erschien im Original bei Africa is a Country unter dem Titel „Looking disenchantment in the face“ .
Eine fremde, aufgezwungene Metapher
Für el-Said und Armah trägt die Entzauberung in sich die Besessenheit, das Skandalöse und das Niederträchtige durch einen langsamen, fragenden Blick zu betrachten. The Last days präsentiert Kairo als einen negativen Raum des Verfalls und des Verlusts durch lange Aufnahmen von mittellosen, zahnlosen Bettler:innen und mehrere Szenen, in denen der Schwerpunkt auf dem Auseinanderfallen von Häusern und baufälligen Gebäuden liegt. The Beautyful Ones ist voller lebhafter Beschreibungen von menschlichem Abfall und Kot. Der namenlose Protagonist bewegt sich von der Darstellung des Überlaufens von Exkrementen über „rundherum verfaulende Dinge drängen nach innen und vermischen alle Körpersäfte mit dem Geschmack der Fäulnis“ bis schließlich zum ersehnten Tod von Koomson, dessen „Mund den reichhaltigen Gestank von verfaultem Menstruationsblut hatte“.
Diese Besessenheit damit, Entzauberung mit Demut zu betrachten, hat wie erwartet heftige Kritik auf sich gezogen. The Last Days wurde zwar nach Veröffentlichung in Ägypten verboten, wurde aber weltweit auf mehr als 120 Filmfestivals gezeigt und erhielt mehr als 12 internationale Preise. Das liegt zum Teil daran, dass el-Saids Film den westlichen Blick anspricht, der Afrika als Ödland sieht: Die wüstengelbe und sepiafarbene Ästhetik, durch die Kairo dargestellt wird, und das Spektakel der urbanen Zerstörung können als Ruinenporno gesehen werden, was das immerwährende Bild Ägyptens und Afrikas im Allgemeinen als trostloser Raum des Verfalls und des Todes verstärkt. Ähnliche Bedenken lassen sich auf Armahs Roman übertragen: Chinua Achebe nannte Armah bekannterweise „einen entfremdeten Schriftsteller mit allen Symptomen“ und ging sogar so weit, The Beautiful Ones als „ein krankes Buch“ zu bezeichnen, das „der Krankheit Ghanas so viele fremde Metaphern auferlegt, dass sie nicht mehr wahr ist“.
Das Aufzwingen einer fremden Metapher geht in beiden Werken tiefer. Das zentrale Wechselspiel zwischen Fiktion und Realität in The Last Days und The Beautyful Ones wird kontraproduktiv und kann das Publikum nicht von seinen Vorzügen überzeugen. In el-Saids Film lässt die Meta-Ästhetik der Bildschirmintervention des Regisseurs in Schnitt und Tempo der 250 Stunden Filmmaterial verschiedene Erzählbögen und die Entwicklung der Charaktere sinnlos und unvollständig. Auch armahs Roman schlüpft abrupt in den Essay-Modus, um langatmige und direkte ideologische und politische Aussagen aufzunehmen. Beide Werke brechen immer wieder aus ihrer fiktionalen Erzählung aus, um sich an einer expliziten und bisweilen irritierenden Kontrolle durch den Autor zu versuchen.
Was Derek Wright in seiner Analyse von Armahs Roman als „eine monolithische Vision“ bezeichnet hat, trifft auf beide Werke zu: Die Verschmelzung der Position des Autors, des Erzählers und des Protagonisten als ein und dieselbe subsumiert die unterschiedlichen Perspektiven, die in den Kunstwerken im Spiel sind, zu der vereinheitlichenden negativen politischen Vision der männlichen Schriftsteller. Dies führt zu einem Scheitern der Vorstellung einer alternativen und generativen Vision der afrikanischen Zukunft.
Die problematischste Dimension in The Last Days und The Beautyful Ones ist jedoch die passive Rolle der Frauen. Wie John Berger in Ways of Seeing schreibt: „Männer handeln und Frauen erscheinen“. Laila und Oyo sind da, um betrachtet zu werden. Sie sprechen kaum und bleiben eindimensional. Im Gegensatz zu den Männern wird nie anerkannt, dass sie die Dinge aktiv selbst in die Hand nehmen, obwohl Laila Ägypten verlässt, um eine bessere Zukunft zu suchen, und Oyo versucht, den Deal mit Koomsoon-Abkommen zur Verbesserung ihrer Lebensbedingungen abzuschließen.
Stattdessen sind beide Frauen auf die Rolle beschränkt, den männlichen Protagonisten zu helfen, sich mit sich selbst zu versöhnen. Lailas Besuch in Khaleds Wohnung und ihre durch einen letzten Kuss wiedererwachte Liebe retten den männlichen Protagonisten vor sich selbst und vor der Verzweiflung. In der letzten Szene der Endzeitszene bleibt der starke Eindruck zurück, dass Khaled einen Selbstmordversuch am Fenster wagte, sich aber wegen seiner erneuerten Hoffnung diesem Todestrieb widersetzte. In The Beautyful Ones verliebt sich der Mann nach einer geschlechtslosen Ehe und einer Abstoßung gegenüber Oyos Narbe aus ihrem Kaiserschnitt wieder in seine Frau, nur wegen ihres neu entdeckten Respekts für seine moralische Ehrlichkeit, nachdem er sich weigert, mit Koomsoon zu fliehen, was den männlichen Protagonisten dazu bringt, sich eine bessere Zukunft vorzustellen. Diese beiden Ereignisse ermöglichen schließlich den Abschluss beider Werke, wobei die Beiträge der Frauen im Wesentlichen darauf abzielen, die Ängste der Männer zu lindern.
Die revolutionäre Kraft
Entzauberung unterscheidet sich jedoch von Verzweiflung, und noch mehr von Apathie. In fast jeder Einstellung in The Last days wird an die revolutionären Kräfte erinnert, die später die Diktatur Mubaraks stürzen sollten. Heute wissen wir im Rückblick, dass diese Kräfte besiegt wurden und ein neues brutales Regime herrscht, aber diese Energien werden wieder aufleben und sich in eine weitere Revolution verwandeln, weil Cairos Bewohner:innen bleibende Erinnerungen an bessere, revolutionäre Tage haben. Armahs Roman drückt eine ähnlich hartnäckige Hoffnung auf Freiheit von neokolonialer Unterdrückung aus, wenn am Ende des Romans die neue Regierung verkündet wird und der Mann über ein bezauberndes Kunstwerk nachdenkt: „Die grüne Farbe wurde mit einer sorgfältigen Inschrift aufgehellt, die eine ovale Form bildete: Die Schönen sind noch nicht geboren. In der Mitte des Ovals befand sich eine einzelne Blume, einsam, unerklärlich und sehr schön.“
In diesen und anderen Fällen verkörpert die Entzauberung den ahistorischen und ortlosen Impuls eines utopischen Alltags in Afrika. Entzauberung ist nicht das Ende der Träume; sie ist das Feuer fürs nächste Mal.