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In letzter Zeit hat das Wort „Anthropozän“ in meinem Wortschatz erstaunlicherweise eine gewisse Beliebtheit erlangt. Ich gebe zu, dass das Wort selbst an dem denkwürdigen Abend, um den es hier geht, nicht ausgesprochen wurde. Es war ein kühler Abend in Lagos. Unter dem Titel ProvidusBank Poetry Café brachte das Abendprogramm Dichter und Dichterinnen unterschiedlichster Überzeugungen und Stile zusammen. Sie bekamen dort auf der Bühne eine wahrhaftige Plattform zum Austausch über ein weltbewegendes Thema: Umwelt und Klimawandel. Ich persönlich hatte jedoch das Gefühl, dass sich alle Aktivitäten der Literaturveranstaltung um den spannenden Begriff Anthropozän drehten. Damit ist die gegenwärtige Epoche gemeint, in der vor allem seit der industriellen Revolution von 1760 Klima und Umwelt hauptsächlich von menschlichen Aktivitäten geprägt werden.
Bei der Veranstaltung zum Welttag der Poesie spiegelte sich diese Sichtweise in jeder Aufführung wider, denn die Effekte unserer schädlichen menschlichen Praktiken wurden hervorgehoben. Deutlich wurde auch die Überzeugung, dass der Mensch auf die Auswirkungen seiner Taten auf Mutter Erde achten sollte, wenn er weiterhin das Wohlwollen der Erde genießen will. Da die Erde nicht für sich selbst sprechen kann, wurden Dichter und Dichterinnen an diesem Abend zu ihrem Sprachrohr. Sie schilderten die Qualen und Wunden, die Mutter Erde durch die Grobheit der Menschheit zugefügt werden.
Die Veranstaltung trug den Titel „Stimmen für die Erde: ein Abend voller Ideen, Rhythmen und Debatten rund um Umwelt und Klimawandel„. Mit dabei waren als Hauptakt der legendäre Dichter, Dramatiker, Schauspieler und Menschenrechtler Wole Soyinka und fünf namhafte Dichter:innen – Evelyn Osagie, Akeem Lasisi, Umar Abubakar Sidi, Reginald Chiedu Ofodile und Efe Paul Azino. Außerdem umfasste das Podium auch junge, aufstrebende Dichterinnen und Dichter aus ausgewählten Poesie-Kommunen in Lagos – Poets in Nigeria, AJ House of Poetry, Loudthotz und das Bariga Poets Collective. Die verschiedenen poetischen Formen schufen ein schillerndes künstlerisches Ambiente.
Das Publikum bestand hauptsächlich aus der Crème de la Crème der Kreativen, der Banker:innen und der Literaturliebhaber:innen. Sie konnten Zeugen einer Lesung von Afrikas erstem Literaturnobelpreisträger Wole Soyinka werden, der übergeordneter Gastgeber und natürlich Publikumsmagnet und Inspirationskraft der Veranstaltung war. Der gefeierte Schriftsteller und Intellektuelle Odia Ofeimun war ein besonderer Gastdichter, und er gab eine gute Vorstellung seines poetischen Können preis.
In seiner Eröffnungsrede zitierte Walter Akpani, der Moderator des Abends und Geschäftsführer der veranstaltenden Bank, Wangari Maathai, Friedensnobelpreisträgerin 2004, mit den Worten:
Das Thema Klimawandel ... führt uns die Tatsache vor Augen, dass wir uns auf einem Planeten befinden und dass einige der Auswirkungen dessen, was Menschen in einer Ecke der Welt tun, sich auf Menschen in einer entfernten Ecke der Welt auswirken werden. Wir mögen uns also immer noch sehr weit voneinander entfernt fühlen, aber wir sind einander wirklich sehr nahe...
Dies war nicht die erste Gelegenheit, bei der nigerianische Dichterinnen und Dichter ihre Besorgnis über den Klimawandel und Umweltverschmutzung zum Ausdruck brachten. In der Vergangenheit haben zahlreiche Dichter:innen zusammen mit Umweltschützer:innen die Verschmutzung und ihre schlimmen Folgen für das Klima angeprangert. Zu denjenigen Dichtern, die sich für die Umwelt einsetzten, gehörten zum Beispiel der verstorbene Ibiwari Ikiriko (Oily Tears of the Delta), Nnimmo Bassey (To Cook a Continent: Zerstörerische Extraktion und die Klimakrise in Afrika), Professor Tanure Ojaide (The Activists), um nur einige zu nennen. Sie alle prangern die Zerstörung der Natur an, besonders im Nigerdelta.
Ein gewisses Alleinstellungsmerkmal der Veranstaltung vom Sonntag, dem 21. März, muss jedoch angemerkt werden. Es war die Verschmelzung der Ideen von alten, mittelalten und angehenden Dichter:innen. In der Einigkeit des Zweckes erhoben sie alle ihre Stimmen für Mutter Erde. Sie waren vehement in der Verurteilung und Warnung vor den Auswirkungen der globalen Erwärmung auf die Welt und die menschliche Existenz.
Das Gedicht von Evelyn Osagie nahm eine dramatische Wendung, um diese Botschaft mit Leben zu erfüllen. Sie kroch auf der Bühne herum, geschmückt mit biologisch nicht abbaubaren Abfällen wie Nylon, Plastikflaschen usw., und erzeugte damit fesselnde Bilder. Sie spiegelten wider, dass Mutter Erde es geschafft hat, sich trotz der Hindernisse der Menschheit weiter zu drehen. Evelyn Osagie beklagte in ihrer Performance die wahllose Müllentsorgung, sie schwankte und taumelte. Das Gedicht mit dem Titel „Nature’s Irate Scream“ (Der wütende Schrei der Natur) wies auf die Gefahren der Umweltzerstörung hin und stellte deren unausweichliche Folgen vor. Es erinnerte sogar an die Waldbrände am Amazonas und den katastrophalen Hagelsturm im Sommer, der die mexikanische Stadt Guadalajara irgendwann im Juni 2019 unter drei Fuß Eis begrub.
Der lyrische Dichter Akeem Lasisi beeindruckte mit seinem entspannten, aber hochrhythmischen Stil mit Einflüssen aus der mündlichen Tradition der Yoruba bei seiner Vorführung von „The Divination“. Voller präziser Metaphern, mit großzügigen Verweisen auf die Sonne und den Mond, war die eindringliche Anspielung des Dichters auf eine Szene, in der das ungebremste Abfackeln von Gas, wie es in der Landschaft des Nigerdeltas üblich ist, der Grund dafür war, dass es Monate dauerte, bis die Sonne im Osten aufging und im Westen unterging.
Der Lauf der Natur ist durch die industrielle Verschmutzung durch den Menschen stark verändert worden. So heißt es im Gedicht:
Monate nach dem Aufbruch aus dem Osten
Ist die Sonne im verweilenden Westen nicht untergegangen
Geblendet von vagabundierendem Rauch
Eine Hölle von Turbulenzen durch abfackelndes Gas
Dieses Gedicht fesselte mich aufgrund einer unvergesslichen Erfahrung an einer Gasabfackelstelle in Imiringi, Bayelsa State. Es gibt viele Beweise für den Zorn der Natur, die täglich angegriffen und an den Rand gedrängt wird. Die bittere Wahrheit ist, dass die Natur sich sicherlich eines Tages wehren wird, aber wir sind vergesslich und wollen die Folgen unseres Handelns nicht wahrhaben.
Reginald Chiedu Ofodile behauptet in seinem Gedicht „Tödliches Gerät“, dass die Angriffe des Menschen auf die Umwelt, die meist in der Stadt stattfinden, sich oft genug gegen ihn wenden! Es ist das, was den Menschen mit vielen unheilbaren Krankheiten plagt und letztlich seine Lebensspanne verkürzt. Angesichts des weit verbreiteten Glaubens, dass die Menschen auf dem Land gesünder und länger leben als die Stadtbewohner, ist diese Behauptung nicht zu beanstanden.
Lekki in Lagos, Nigeria. ©Nupo Deyon Daniel
In seinem zweiten Gedicht „Deserved Appreciation“ beklagt Ofodile die schamlose Respektlosigkeit gegenüber unserem architektonischen Erbe. Was in gesünderen Gefilden als Schatz verehrt wird, wird bei uns wenig geschätzt und sogar abgerissen. Schlimmer noch, in Lagos wurden einige unersetzliche Meisterwerke in unrühmliche Orte umgewandelt – Mülldeponien oder ein Zufluchtsort für Straßenkinder und dergleichen. Das Gedicht ist ein klarer Ruf nach einer sofortigen Änderung der Einstellung und einer Überprüfung unserer Instandhaltungskultur, die im Moment auf dem niedrigsten Stand ist. Mehr noch, die Verachtung für das architektonische Erbe erstreckt sich auch auf kulturelle Praktiken, von denen einige inzwischen verteufelt und vernachlässigt worden sind.
Umar Abubakar Sidis Gedicht „Dichter und Salamander“ entsprach dem Thema der Veranstaltung. Er forderte Dichter und Schriftsteller auf, ihre kreativen Medien zu nutzen, um die Massen über die Notwendigkeit aufzuklären, die Erde vor zerstörerischen menschlichen Aktivitäten zu schützen. Ihm zufolge befindet sich die Erde in einer Krise, daher Lasst die Dichter das Alphabet des Himmels neu schreiben, um das Ozon zu zementieren, Schichten aus Poesie und Gas zu bilden, um die Seelen der Menschen und Salamander vor dem wütenden Buchstaben der Hitze zu schützen“. Die Dichter und Schriftsteller haben eine Verpflichtung, die Erde zu schützen. Da die Feder mächtiger ist als das Schwert, ist eine dringende Kampagne unabdingbar, oder besser gesagt, die Dichter und ihresgleichen sollten ihre Bemühungen im Werben gegen die Zerstörung der Ozonschicht intensivieren.
Auf die gleiche Weise frischt Efe Paul Azinos „After the Floods“ unsere kollektive Erinnerung an die Verwüstung, die monumentalen Schäden und den Tod auf, die die Flut 2019 in Benue, Kogi, Nasarawa, Kwara und anderen Gemeinden im mittleren Gürtel Nigerias angerichtet hat. Derlei Kalamitäten sind die Rache der Natur für unsere Missachtung ihrer Gefühle. Es ist ihr einziges Mittel, um ihren Tribut zu fordern. Azinos zweites Gedicht „One for the Tribe“ war wie ein süßer Nachtisch nach einem schweren Hauptgang. Es war eine Darbietung, die den Geist des Publikums nach der Düsternis der vorherigen Darbietungen aufhellte.
„Smokes and Death“ von Bestman Michael von AJ House of Poetry beschreibt die Auswirkungen der Umweltzerstörung auf die landwirtschaftlichen Produkte und die daraus resultierende Nahrungsmittelknappheit, den Hunger und die Inflation – all das ist Quelle von Schmerz, Tränen und Tod für die Menschheit. Es weist auf die Ironie hin, dass der Mensch sich in seinem Streben nach Einkommen selbst in den Fuß schießt, indem er die Natur beschädigt – den Dreh- und Angelpunkt seines Lebens. In ähnlicher Weise trug der Dichter Increase Nathaniel von Loudthotz ‚I know What Will Kill Us First‘ vor. Das Gedicht stellt die enorme Gefahr einer verschmutzten Erde und den Aufstand im Norden einander gegenüber. Für den Dichter ist weder der „Aufstand“ noch der „Krieg im Norden“ vergleichbar mit dem Elend, das die Erde entfesselt. Was uns zuerst töten wird, „ist das, was wir Mutter Erde und ihren anderen Kindern angetan haben“.
Der Höhepunkt der Veranstaltung war jedoch der Auftritt des legendären Wole Soyinka (Literaturnobelpreisträger 1986), flankiert von der Schauspielerin und Herausgeberin Taiwo Ajai-Lycett und dem Schauspieler Bimbo Manuel, alle drei in blauen Astronauten-Fluganzügen, um das spaßig-heroische Gedicht „2009: A Space Odyssey‘ (für Kinder unter 90+)“ vorzutragen. Der Hauptmoderator des Abends hatte daran erinnert, dass dieser Auftritt von Soyinka zur Darbietung eines seiner Texte vielleicht der erste seit über zwei Jahrzehnten war. Es war also ein historischer Moment, dass der Dichter und Schauspieler Soyinka live auf die Bühne kam, und dann auch noch im Kostüm! Bei seinem letzten Auftritt hatte der Künstler, der oft als „Löwe des Schreibens“ bezeichnet wird, zu Ehren der berühmten Boko-Haram-Gefangenen Leah Sharibu gelesen aus einem seiner Werke vorgelesen. Viele der damals Anwesenden werden sich noch daran erinnern, dass der Achtzigjährige in Tränen ausbrach, als er zu einem bestimmten Abschnitt des Gedichts kam. Er sagte, dass ein Vers in dem Gedicht ihn sehr an das Ableben seiner eigenen Tochter Yetade erinnert habe, die vor ein paar Jahren verstorben ist.
Zunächst forderte der eigenwillige Professor das Publikum auf, sich von der Düsternis zu befreien, die im Raum herrschte. Er bemerkte, dass Poesie, vor allem durch junge Leute, oft zu ernst genommen werde:
...sie denken, Poesie sei nichts als eine feierliche, düstere und finstere Beschäftigung... Eigentlich sollte Poesie einen Sinn für Humor haben.“
Taiwo Ajai-Lycett, Wole Soyinka und Bob Manuel (von links) ©Samuel Osaze
Und bei der anschließenden Aufführung seiner 22-seitigen Sammlung „2009: A Space Odyssey“, sagte Soyinka: „Wir werden Ihnen eine halb-biografische Erfahrung vorlesen. Sie ist eine Art Helden-Mockery, um die Poesie hier mal ein bisschen aufzuhellen.“ Als dann das große Finale kam, brachte es das Publikum zum Lachen und Brüllen vor Freude. Aufgeteilt in sechs Abschnitte mit 27 Strophen, nutzt das Gedicht den Stil der heroischen Poesie, um den Traum des englischen Milliardärs-Unternehmers Richard Branson zu persiflieren. Als Gründer von Virgin Galactic träumte Branson davon, seinen Geburtstag im Jahr 2019 mit dem Gedenken an die Weltraumexpedition Apollo II zusammenfallen zu lassen. Sein Bestreben war es, Menschen in den Orbit zu befördern, um den 50. Jahrestag der ersten Mondlandung von 1969 zu feiern.
Der Preis für die Reise war mit 250.000 Dollar pro Person unverschämt hoch angesetzt. Da Dichter sich diese unerschwingliche Summe nicht leisten können, erweist sich die Persona in diesem spöttischen Heldenstück, die der Ogunkanako der NASA ist, als besonders erfindungsreich. Er nutzt die Macht der Poesie, um ein Freiticket zu ergattern, und stürzt sich zusammen mit seinen Mitstreitern in das Vergnügen der Weltraumfahrt. Die poetische Phantasie ist die Erfüllung des vergeblichen Traums des englischen Milliardärs.
Diese Vorführung war keineswegs unpassend zum Abendmotto, denn verfügbare Statistiken zeigen, dass Weltraumstarts aufgrund der Verbrennung von festen Raketentreibstoffen einen saftigen Kohlenstoff-Fußabdruck hinterlassen können. Science Focus sagt: „Viele Raketen werden jedoch mit flüssigem Wasserstoff angetrieben, der „saubere Wasserdampf“-Abgase produziert, obwohl die Produktion von Wasserstoff selbst erhebliche Kohlenstoffemissionen verursachen kann.
Nach der geistigen Wanderung mit Soyinka als poetischem Piloten verließen die Zuhörer die Veranstaltung gesättigt, weil sie ein vollwertiges Menü aus Zeilen, Reimen und Rhythmen zu Ehren unserer so sehr missbrauchten Mutter Erde zu sich genommen hatten, und vielleicht mit dem Vorsatz, sich fortan für die Erhaltung der endlosen, großzügigen Gaben der Natur einzusetzen.
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