
Kamerun: ein Offener Brief von Max Lobe
Leseprobe aus Welcome Mandla Lishivhas Memoir „Boy on the Run“
einmal mehr stellt uns der Sturm der politischen Unsicherheit auf die Probe. Eine greise Macht für eine so junge Bevölkerung.
Jugend ist kein Programm.
Hohes Alter ist nicht mehr gleichbedeutend mit Weisheit.
Wie so oft in unserer Geschichte spalten uns Angst und Müdigkeit. Vor allem Angst. Terror. Das brutale Erwachen einer noch immer so lebendigen Erinnerung.
Wie viele von uns wissen, wer Um Nyobè ist? Wer Duala Manga Bell ist? Die bis zum letzten Atemzug für die Freiheit kämpften.
Der Geruch von Verunsicherung liegt in der Luft. Das Spektakel ist so groß, dass es kaum noch jemanden interessiert. Wir sind resigniert und desillusioniert, wie wir es gewohnt sind. Der Ausdruck [We go do how, nah?] ist der Beweis dafür.
Be bo ya, also, wie sollen wir es machen?
Man wird unsere Herzen aufschneiden, ihre Zellen wie Schubladen aufreißen. Nur zu, durchsucht sie ruhig, ihr werdet einen Schatz darin finden: Würde. Unsere kollektive Würde muss lauter sein als ihr Lärm, ein juristischer Grundkurs, angehende Rechtsprofessoren, die live ihre Kohärenz verlieren – wie soll man das verstehen?
Unsere Würde besteht darin, die Stammesgrenzen zu überwinden, sie zu durchbrechen, uns um eine Idee zu versammeln, die Idee, die wir von uns selbst haben.
Das Wort. Es ist wie eine Säule aus Feuer, die uns zum Handeln führt, und das Handeln ist die Manifestation der Idee, des Willens.
Kamerun, unser gemeinsames Zuhause, ist nicht nur eine von den Mächtigen begehrte Beute. Dieses Land, seine Grenzen, seine Sprachen und alles, und alles, was es ausmacht – welch Erbe! Es ist die Erinnerung an unsere Vorfahren, der Reichtum unseres Landes, die Kraft unserer Kulturen, all unserer Kulturen, und natürlich die unerschöpfliche Vitalität unserer Jugend.
Was sieht man also auf der anderen Seite? Die Verkörperung der Überreste der Kolonialisierung.
Um Nyobè, Ouandié und Moumié wurden ermordet, gerade weil sie genau das verhindern wollten: die Kolonialisierung, die aus dem eigenen Haus, aus dem Schlafzimmer der Eltern kommt, die Kolonialisierung, die uns vorschreibt, womit wir unseren Geist füttern sollen, was wir auslöschen, vergessen und was wir behalten sollen und so weiter. Was für schöne Stunden der Kolonialisierung wir gerade wieder erleben!
Ich kann euch beruhigen, wir sind nicht allein. Schaut euch in der Welt um, es tut sich etwas. Selbst bei unseren alten Kolonialherren tut sich etwas. Die Welt dreht sich, meine lieben Brüder und Schwestern, öffnet die Augen, seht ihr, wie sie sich dreht, die Welt? Welchen Platz möchtet ihr in diesem geopolitischen Makossa einnehmen, in dem sich die Aufrüstung beschleunigt? Was für Trümpfe haben wir auf der Hand?
Um aus der hedonistischen Trübheit zu erwachen, muss man an andere Türen klopfen, zum Beispiel an die des Wissens, der Geschichte, der Pharmazie, unserer Sprachen als Grundlage kollektiven Denkens, man muss sich untereinander vermischen, um neue Selbstbilder fermentieren zu lassen und freizusetzen.
Ich möchte euch sagen, dass die Zukunft nicht nur in Palästen oder Militärlagern geschrieben wird. Im Gegenteil, sie wird auf der Straße geschrieben. Die berühmte Straße, ja, sie ist die öffentliche Tribüne par excellence, auf der wir uns in einem gemeinsamen Chor versammeln, um zu sagen: Es reicht jetzt!
Das erfordert Solidarität, genauso wie Würde, auf dass sie sich in jeder unserer täglichen Gesten widerspiegelt, in der Interaktion zwischen Nachbarn, in der Annahme des anderen, nicht nur wegen seiner Verletzungen – ja, denn uns gegenüber stehen keine Messdiener –, sondern dass die Annahme des anderen auch in Worten geschieht, die Zeugnis ablegen, die heilen und zusammenhalten.
Also, a di beg una, ich bitte euch inständig, gebt weder der Verzweiflung noch dem Hass nach, gebt weder dem Defätismus nach – we go do how, nah? – noch der Versuchung, nur eure eigenen Maniokstangen zu retten.
Konzentrieren wir uns auf das, was uns verbindet: unser brennendes Verlangen nach Gerechtigkeit, Frieden und wahrer Freiheit.
Mit Respekt und Brüderlichkeit,
Hintergrundinformationen
Kamerun steckt derzeit in einer tiefen politischen Krise, die vor allem durch die erneute Kandidatur von Präsident Paul Biya verschärft wird. Der 92-Jährige, der das Land bereits seit 1982 autoritär regiert, hat angekündigt, im Oktober 2025 für eine weitere Amtszeit anzutreten. Kritiker werfen ihm vor, lediglich an der Macht festzuhalten, während demokratische Prozesse zunehmend ausgehöhlt werden. So wurde einer der wichtigsten Oppositionsführer, Maurice Kamto, von der Wahl ausgeschlossen, was landesweit Proteste und Kritik an der fehlenden Transparenz des Wahlprozesses ausgelöst hat. Schon 2008 hatte Biya die Amtszeitbegrenzung aufgehoben, und auch diesmal sind Manipulation und Repression zentrale Vorwürfe gegen sein Regime. Neben der politischen Stagnation verschärfen sich zudem bestehende Konflikte, insbesondere die sogenannte „Anglophone Crisis“ in den englischsprachigen Regionen, die bereits seit Jahren zu Gewalt, Vertreibung und humanitären Notlagen führt. Die erneute Kandidatur Biya gilt deshalb für viele Beobachter als Symbol einer alternden und blockierten Machtstruktur, die jede Aussicht auf politischen Wandel im Keim erstickt.
Bild im Header: Max Lobe, Foto von Roman Lusser
Leseprobe aus Welcome Mandla Lishivhas Memoir „Boy on the Run“
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