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Der dunkle Fluss
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Eine poetisch feinfühlige Allegorie auf einen von Gewalt heimgesuchten Ort

Benjamin und seine drei Brüder sind kluge, abenteuerlustige Kinder, die durch die Straßen ihres Heimatortes im Westen Nigerias ziehen und sich mit Spielereien und viel Fantasie die Zeit vertreiben. Solange ihr Vater im Haus ist und streng über sie wacht, haben sie eine geordnete und glückliche Kindheit. Als das Familienoberhaupt jedoch zum Arbeiten in eine andere Stadt versetzt wird, befreien sich die vier Jungen aus den väterlichen Fesseln und erkunden als Fischer einen verbotenen, gefährlichen Fluss am Rande der Stadt. Die Fische, die sie dort fangen, sind Vorboten der epischen Tragödie, die sich fortan entfaltet.

Der Omi-Ala war ein grausamer Fluss. Lange Zeit war er von den Bewohnern Akures vergessen worden, wie eine Mutter, die von ihren Kindern verlassen wird. Früher einmal war er ein klarer Fluss gewesen, der die ersten Siedler mit Fisch und sauberem Trinkwasser versorgte. Wie viele andere Flüsse in Afrika hielten die Menschen den Omi-Ala für einen Gott und beteten ihn an. Sie errichteten Gedenkstätten in seinem Namen und bemühten sich um die Gunst und den Rat Yemayás, Oshas, von Meerjungfrauen und anderen Wassergeistern und Göttern. Das änderte sich, als die Kolonialisten aus Europa kamen und die Bibel einführten und die zu Christen bekehrten Anhänger Omi-Alas sich von ihm abwendeten und ihn fortan als Wiege des Bösen betrachteten.Und so wurde er zur Quelle düsterer Gerüchte. Unter anderem hieß es, an seinen Ufern würden seltsame Rituale begangen. Die Rede war von Leichen, Tierkadavern und anderen Opfergaben, die auf dem Fluss trieben oder an seinen Ufern lagen.

Wir wussten, dass unsere Eltern uns schwer bestrafen würden, sollten sie jemals dahinterkommen, dass wir zum Fluss gingen. Trotzdem machten wir uns keine Gedanken darüber, bis eine Erdnussverkäuferin aus der Nachbarschaft uns auf dem Weg dorthin entdeckte und Mutter davon berichtete. Das war Ende Februar, und wir waren seit fast sechs Wochen am Fischen. An diesem Tag hatte Solomon einen großen Fisch geangelt. Wir sprangen auf, sahen zu, wie er sich am Haken wand, und stimmten das Fischerlied an, das Solomon sich ausgedacht hatte und das wir immer in Momenten wie diesen sangen.Es war die abgewandelte Version eines bekannten Liedes, gesungen von der ehebrecherischen Frau von Pastor Ishawuru – der Hauptfigur der in Akure damals beliebtesten christlichen Fernsehserie 'The Ultimate Power' –, nachdem sie für ihre Sünde verbannt worden war. Solomon hatte zwar die Idee dazu gehabt, aber die Vorschläge für den Text kamen eigentlich von uns allen. Boja zum Beispiel änderte 'Wir haben dich erwischt' in 'Die Fischer haben dich erwischt' um. Wir ersetzten die Kraft Gottes, sie vor den Versuchungen des Teufels zu bewahren, durch unsere Kraft, einen Fisch zu fangen und nicht entwischen zu lassen. Wir hatten so viel Spaß mit dem Lied, dass wir es manchmal sogar zu Hause oder in der Schule summten.

Das vielbeachtete Debut des in den USA lebenden Nigerianers Chigozie Obiama sollte man unbedingt lesen. Obiama erschafft vor der düsteren Kulisse einer bösen Prophezeiung und eines Strudels der Gewalt eine poetische und wunderschön komponierte Geschichte über Loyalität, geschwisterliche Liebe, Verlust und Trauer, Heilung und Gemeinschaft.

Das Buch wurde in 26 Sprachen übersetzt und mehrfach ausgezeichnet, unter anderem stand es auf der Shortlist für den Man Booker Prize. Zahlreiche Medien weltweit wählten das Buch auf ihre jeweiligen Bestenlisten des Jahres 2015, darunter das Wall Street Journal und die New York Times. Die Deutsche Welle führte es im April 2015 als Buchempfehlung des Monats und der Guardian nannte Der dunkle Fluss mit Abstand den besten Debütroman 2015.

Obioma wurde 1986 in Akure in Nigeria geboren. Wenn euch interessiert, wie er über sein eigenes Buch spricht, guckt euch das Interview mit ihm auf TVC Africa an:

Darin sagt er unter anderem, dass die Geschichte Der dunkle Fluss auch eine Metapher für die Kolonisierung Afrikas ist:

Zu Beginn des Romans hatten die Jungs Ambitionen. Obembe zum Beispiel wollte Anwalt werden, bis der Verrückte ins Spiel kam. Es ist also eine Metapher dafür, was passiert, wenn eine äußere Kraft von außen kommt und die Einigkeit stört.

In einem Artikel in der New York Times erzählt Obioma, wie er über das Geschichtenerzählen seines Vaters zum Lesen kam:

Mein Vater war ein begnadeter Geschichtenerzähler. Im Krankenhaus erzählte er mir die eine oder andere Geschichte, oder, wenn er nicht zu müde war, manchmal auf mein Bitten hin auch viele. Ich versuchte, mir die Welten vorzustellen, die sich durch seine sorgfältig gewählten Worte entfalteten. Wenn er zum Beispiel die Geschichte des ersten weißen Mannes erzählte, der auf dem Fahrrad in Igboland ankam, gab er Fahrradgeräusche von sich, stampfte mit den Füßen und keuchte. Er verlieh diesen Geräuschen so viel Angst, so viel Bedeutung, dass mir noch Tage danach lebhafte Bilder in Erinnerung blieben. Diese Momente waren so fesselnd, dass ich manchmal den Wunsch hatte, meinen Krankenhausaufenthalt zu verlängern.

Die Website des Autors findet ihr unter chigozieobioma.com

Dort findet ihr auch Informationen über seinen 2019 erschienenen Roman „Orchestra of Minorities“. Für diejenigen, die Englisch können, ist auch Obiomas Stadtporträt von Lagos im Guardian sehr lesenswert:

The Guardian

Booker prize nominee Chigozie Obioma loves Lagos, but shares the centuries-old fear that it may ‘spoil’. With 2,000 new people arriving every day, the city faces its toughest challenge yet

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